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Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Letztes Kapitel

Mai 7, 2013

Liebe Leser,

Nun ist es soweit. Alles hat ein Ende, auch der Roman Annelore, der Guru und die Liebe. Hat jemand von euch ihn tatsächlich Tag für Tag mitgelesen? Hat er euch gefallen? Über eine Rückmeldung hier oder unter norbert@giesow.de würde ich mich freuen.

 

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen habe ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog angeboten.

59. Kapitel: Alles wird gut?

Einige Wochen später wohne und arbeite ich in Hamburg und das Großstadtleben gefällt mir so richtig gut. Der innere Integrationsprozess, der durch das Tantra-Seminar angeregt worden ist, hat sich stabilisiert und ich fühle mich gut. Im Zen heisst es, zuerst sind Bäume Bäume, Berge Berge und Felder Felder, dann kommt das Erwachen, die Erleuchtung, und Bäume sind keine Bäume mehr, Berge sind keine Berge mehr und Felder sind keine Felder mehr, sondern etwas anderes. Wenn die Prozesse der Erleuchtung integriert worden sind, was im Zen durchaus etliche Jahre dauern kann, dann sind Bäume wieder Bäume, Berge wieder Berge und Felder wieder Felder. Genau an diesem Punkt stehe ich jetzt. Die Bäume sind wieder Bäume für mich, eine Ampel ist eine Ampel und die Stapel von Büchern, die ich jeden Tag sortieren darf, sind einfach nur Bücher. Also, alles ganz normal, könnte man meinen, aber ganz so ist es dann doch wieder nicht. Denn in mir ist etwas verschwunden, was mich im Grunde lange genervt hat. Was verschwunden ist, ist dieser ewig nörgelnde und alles kritisierende Teil, manche Leute sagen auch Ego dazu. Lebe ich jetzt ohne Ich und ohne Identität? Nein, so ist das nicht. Ich weiß, wer ich bin, und wenn mich jemand Roman ruft, dann drehe ich mich auch um. Aber die Abtrennung ist fort. Oft ist da eine Leere in mir. Diese ist aber nicht angsteinflößend, sondern sie fühlt sich richtig an. Und dieser Zustand hindert mich an gar nichts. Ich lebe mein Leben so wie alle anderen auch und das fühlt sich genau richtig an.

Ungefähr vier Wochen später sind Hamburg, meine Wohnung und die Arbeit für mich viel vertrauter geworden. Hier und da schleicht sich schon die Routine ein, aber es geht mir gut dabei, denn nach den Aufregungen der letzten Zeit tut mir Ruhe schon ganz gut. Wenn mein Leben ein Fluss ist, dann fließt dieser nach den Stromschnellen ruhig dahin. So ist es auch an diesem Abend, an dem ich Spätschicht habe und bis neun Uhr am Abend in der Buchhandlung bin. Ich mag diese letzte Stunde, wenn sich nur noch wenige Kunden in den Laden verirren und ich die Gelegenheit habe, etwas aufzuräumen und mir dabei das eine oder andere neue Buch mal kurz ansehen kann. In diesem Moment verspüre ich ein Erzittern der Macht, zumindest würde es Luke Skywalker in Star Wars so ausdrücken. Ich drehe mich um und sehe eine hübsche junge Frau, die mir den Rücken zudreht. Ihr langes dunkelbraunes Haar fällt über ihren Rücken und als sie sich zu mir umdreht, erkenne ich, dass es Annelore ist. Ich lasse das Buch, das ich in der Hand halte, fallen. Es berührt den Tisch und fällt zu Boden, aber diesen Moment erfasse ich schon nicht mehr, denn ich bin auf dem Weg zu ihr. Wir fallen uns in die Arme, küssen uns und für lange Momente sind da nur Emotionen pur. Erst später auf dem Weg in meine Wohnung erzählt sie mir, dass sie zwei Wochen frei hat und diese gerne mit mir in Hamburg verbringen möchte. Was ich davon halte? Ich bin glücklich. In gewisser Weise gehören Annelore und ich zusammen. Wie lange das anhält? Was nach den zwei Wochen passiert? Ob ich jemals wieder Meetings abhalten werde? Ob ich den Guru wieder aufsuchen werde? Ob der Zustand des inneren Friedens in mir anhält? Das alles sind Fragen, die das Leben beantworten wird, zu seiner Zeit, aber nicht Jetzt!

 

ENDE

 

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 58

Mai 6, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

58. Kapitel: Alltag

Da bin ich nun wieder. Das Tantra-Seminar war interessant, aber hat es das für mich gebracht, was ich mir erhofft habe? Weder Max, der mich gleich anrief, noch mir selber kann ich diese Frage wirklich beantworten. Ich fühle mich eher ausgebrannt, als integriert. Mit diesem Gefühl gehe ich zur Arbeit. Wieder ist es ein gutes Gefühl, mich damit ablenken zu können. Außerdem tut es gut, etwas Greifbares für andere Menschen tun zu können. So vergeht die Woche nach dem Seminar. Das Wochenende verbringe ich wieder in Hannover bei meiner Schwester. Ich gehe viel spazieren und obwohl alles ganz normal ist, fast ein wenig langweilig, werde ich das Gefühl nicht los, dass in mir etwas im Gange ist. Dieses Gefühl ist mehr eine Vorahnung, die davon spricht, dass die äußere Ruhe nur die Stille vor dem Sturm ist. Vielleicht passt das Bild des Sturms nicht wirklich dazu, denn es ist mehr ein Prozess als eine Naturkatastrophe.

Als ich am Sonntag Abend aus Hannover nach Hause komme, finde ich ein längere Mail von Annelore vor. Auch sie fragt nach meinen Erfahrungen, vermisst mich und erzählt von ihrem Alltag in Frankreich. Gerne wäre ich jetzt bei ihr. Auch in Deutschland wird das Wetter allmählich besser und  ich gehe so manchen Nachmittag auf längere Wanderungen. An einem Tag bin ich besonders lange unterwegs und komme über eine Wiese auf dem Weg nach Hause, als die untergehende Sonne mir plötzlich genau ins Gesicht scheint. Ich bleibe stehen und sehe zu, wie sie langsam versinkt. Dabei werde ich ganz still. Jegliches Denken und Analysieren verstummt und all die Geräusche der Welt werden immer deutlicher. Die Trennung zwischen innen und außen hört auf. Die Geräusche und die Welt sind nun in mir. Es gibt kein Außen und kein Innen mehr, da ist nur Bewusstsein. Es ist wie aus einem langen Traum zu erwachen. Plötzlich ist offensichtlich, dass alles ein Traum ist und die Realität ist so überwältigend, dass all die aufregenden Momente des Traums verblassen, nicht standhalten können. Ich stehe als Roman auf der Wiese, aber gleichzeitig ist das gesamte Universum in mir.

Diesmal weicht die Erfahrung nicht von mir. Ich laufe mit einem Gefühl herum, für das ich unter Umständen weggesperrt werden könnte. Denn in der Regel ist es nicht normal, keine Trennung zwischen sich und anderen zu empfinden, den Unterschied zwischen innen und außen nicht zu kennen und sich zu fragen, ob da überhaupt noch jemand zu Hause ist.

In den folgenden Tagen habe ich das erste Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl, innerlich heil und integriert zu sein. Ich arbeite und treffe mich mit den Freunden und führe ein normales Leben. Und doch merke ich, dass wieder etwas Neues ansteht. Die Flucht in die Kleinstadt nach dem Tod von Anna-Sophie war folgerichtig für mich gewesen, aber jetzt fühle ich, dass mir der Rahmen hier zu eng wird. Ich überlege, ob ich wieder nach Hannover gehen soll, aber da lauern zu viele Erinnerungen, also, warum nicht zurück nach Hamburg ziehen? Dort hatte ich im Grunde eine gute Zeit und eine Weile denke ich darüber nach.

An einem freien Tag fahre ich nach Hamburg und fühle mich dort gleich wohl. Ich besuche meine alte Buchhandlung und treffe dort Hannah, die sich sehr freut, mich zu sehen. Wir verabreden uns in ihrer Pause und erzählen uns, was in unseren Leben so passiert ist. Hannah hat jetzt einen Freund und scheint recht glücklich mit ihm zu sein. Sie fragt mich nach Annelore, meiner entzückenden französischen Freundin, wie sie sich ausdrückt. Ich antworte ausweichend, bin aber viel bestimmter, als ich sie frage, wie es mit einer erneuten Anstellung für mich in der Buchhandlung aussieht. Sie verspricht mir, mit dem Chef zu sprechen und sich dann bei mir zu melden.

Wieder zu Hause, gehe ich am Abend mit Max einen trinken und erzähle ihm von meinen Plänen. Er findet, dass es bei mir mal an der Zeit wäre, zur Ruhe zu kommen, denn es wäre schon auffällig, wie häufig ich in den letzten Monaten die Richtung meines Lebens gewechselt hätte. Aber er findet es gut, dass ich ihn diesmal in meine Pläne einweihe.

Am Abend darauf ruft mich Hannah an, sie hat ein Bewerbungsgespräch mit ihrem neuen Chef für mich arrangiert und meint, dass ich gute Chancen habe, eingestellt zu werden. Ich habe endlich wieder das Gefühl, dass sich mein Leben dahin bewegt, wo es sich für mich richtig anfühlt.

Das Gespräch in Hamburg läuft gut und ich bekomme eine Anstellung in der Hamburger Buchhandlung. Oftmals ist es im Leben so, dass wir gegen Mauern rennen, dass wir versuchen, Türen aufzudrücken, die sich nur nach Innen öffnen und manchmal gehen alle Türen für uns auf und wir haben so etwas wie einen Lauf. In der vergangenen Zeit habe ich oft gedacht, dass ich etwas Wesentliches verstanden habe und dass mir nichts und niemand dieses Verständnis wieder wegnehmen könne. Aber in einem Universum, das sich ständig bewegt und in dem es keinen wirklichen Ruhepunkt gibt, kann es so etwas gar nicht geben. Alles ist ständig im Fluss und jedes Anhalten, mag es noch so berechtigt sein, ist ein Rückschritt. Gut, manchmal müssen wir  zurücktreten, um überhaupt erkennen zu können, was sich um uns herum befindet, aber letztlich gibt es immer ein „weiter geht`s“. Und so geht es auch für mich weiter. Ich kündige meine Stelle im Altenheim, was letztlich niemanden wundert und gebe ebenso meine Wohnung auf. Am Wochenende bin ich mit Max in Hamburg und wir suchen mit Hilfe von Zeitungen, Stadtplan und dem Internet eine Bleibe für mich. Ja, ich sprach von den Türen, die sich öffnen und so scheint es, dass das Universum meinen Plan nach Hamburg zu gehen, unterstützen will, denn ich finde eine wirklich sehr nette kleine Wohnung nicht weit entfernt von der Buchhandlung. An diesem Abend lassen Max und ich es richtig krachen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 57

Mai 3, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

57. Kapitel: Tantra

Dann ist es soweit, das von mir lang erwartete Wochenende in Köln steht kurz bevor. Ich reise schon am Freitag Nachmittag an, dann kann ich mir Köln in Ruhe ansehen und bin schon akklimatisiert, wenn das Seminar beginnt. Komisch, dass ich so voller Vorfreude bin, da ich ja in Indien war und mit Rahula und dem Swami vor echten erleuchteten Meistern gesessen habe. Außerdem habe ich selber Meetings veranstaltet, aber wie Max immer zu sagen pflegt, was interessiert dich dein Essen vom Vortag, wenn du jetzt hungrig bist. Die Welt, das Leben, ist immer jetzt frisch und neu. Es sind nur unsere mentalen Gewohnheitsmuster, die der Welt eine scheinbar bekannte Struktur überstülpen.

Mit dem Zug komme ich wie geplant am Freitag Nachmittag in Köln an. Der Bahnhof liegt dort sehr zentral und es sind nur wenige Schritte zum Rhein und zum Kölner Dom, der auch mir immer wieder imponiert. Mein Hotel liegt ganz in der Nähe, ist einfach, aber gemütlich, und nachdem ich mein Gepäck abgeladen habe, mache ich mich auf, um irgendwo ein leckeres Kölsch zu trinken. Köln kommt mir sehr lebendig vor, überall wieseln Leute herum, es gibt Legionen von netten Kneipen, tolle Geschäfte und sogar das Wetter spielt mit. Es ist angenehm warm und ich bin guter Laune. Noch einmal denke ich darüber nach, was ich bei diesem Seminar eigentlich erwarte. Es geht mir weniger darum, irgendwelche geheimen Praktiken zu erfahren, sondern vielmehr möchte ich einen Weg finden, die unterschiedlichen Aspekte meines Wesens miteinander zu verbinden. Ich bin sehr gespannt, ob das Seminar mir diese Möglichkeit eröffnen wird.

Am nächsten Morgen bin ich zeitig beim Frühstücksbüffet. Neben sich anschweigenden Paaren und einigen müde wirkenden Geschäftsleuten befindet sich dort auch eine Gruppe von jungen Leuten, die so aussehen und wirken, als hätten sie gar nicht geschlafen. All das berührt mich nicht wirklich, ich betrachte es und frühstücke in aller Ruhe. Kurz darauf mache ich mich zu Fuß zum Seminargebäude auf. Die Luft ist warm und ich bin weiterhin voller Vorfreude. Am Eingang durchlaufe ich das übliche Prozedere und bin dann in einem nett eingerichteten Raum. Es stehen Stühle in einem Halbkreis, auf denen sich erst zwei weitere Menschen befinden. Ich bin allerdings  auch recht früh gekommen. Es sind zwei Frauen, die sich aber nicht zusammen gesetzt haben. Eine von beiden ist schon etwas älter, die andere grüßt mich freundlich und sieht sehr nett aus. Mit der Zeit treffen immer mehr Menschen ein, es sind eindeutig mehr Frauen als Männer und es ist sehr gemischt. Eine der Frauen sieht ausnehmend gut aus und wird von den meisten Männern sehr viel angesehen. Dann kommt auch Dagmar, die Seminarleiterin, zu uns. Sie begrüßt uns, stellt sich kurz vor und macht dann einige Körperübungen mit uns. Ich vermute, damit wir etwas lockerer werden und sich die fühlbare Spannung im Raum etwas auflöst. Dann lässt sie uns im Raum herumgehen und Kontakt mit allen aufnehmen, denen wir begegnen. Manche der Menschen schauen mich sehr freundlich an, andere wirken verängstigt oder verstockt. Ich frage mich, ob diese Menschen wirklich so sind, wie ich sie sehe oder ob sie nur meine Projektionen auf sie widerspiegeln. Nun sollen wir weiter durch den Raum gehen, dabei aber unsere Augen geschlossen halten und alle Menschen, denen wir begegnen, mit sanften Berührungen begrüßen. Hier und da kommt es zu Kontakten, die herzlich, aber meistens eher zögerlich sind. Eine Frau will gar nicht mehr von mir ablassen und auch ich finde ihre Berührungen angenehm. Ich blinzele kurz mit den Augen und sehe, dass es die Frau ist, die mir schon am Anfang positiv aufgefallen ist. Dagmar gibt in diesem Moment das Signal zum anhalten und wir bleiben zusammen mit dem Partner, der sich gerade bei uns befindet. Mir ist das Recht. In der Folge führen wir etliche partnerschaftliche Körperübungen durch, indem wir uns beispielsweise Rücken an Rücken stellen und gemeinsam in die Knie gehen und uns wieder aufrichten. Diese Übungen lockern merklich die allgemeine Anspannung und tun dem Klima in der Gruppe gut. Es wird viel gelacht und gescherzt und ich finde es gut, das Dagmar die Gruppe in dieser Phase so laufen lässt. Dann setzen wir uns wieder in einen Kreis und Dagmar erzählt von den weiblichen und den männlichen Energien, die sich in den Paaren verkörpern, die sich aber auch in uns gibt. Letztlich, so sagt sie, ist die Paarung im Außen nur der Versuch, dort etwas zu leben, was im Inneren nicht gelingt. Sie spricht von der wahren Alchemie, in der es nicht wirklich darum geht, Blei in Gold zu verwandeln, sondern darum, die mystische Hochzeit in unserem Inneren zu vollziehen. Nur dann, wenn die Gegensätze in uns vereint sind, kann es zu einem wirklichen Erlebnis der Einheit kommen. Wir können dieser inneren Hochzeit allerdings dadurch näher kommen, indem wir uns im Außen mit dem Partner konfrontieren, indem wir durch den Spiegel des Anderen unsere Schatten erkennen. Diese Theorie lässt uns alle still werden und viele hängen nun wieder ihren Gedanken nach. Ich sehe auch einzelne zweifelnde Gesichter, die entweder nicht glauben, was Dagmar sagt, oder es nicht verstehen oder ganz andere Vorstellungen haben. Dagmar legt flotte Musik auf und fordert uns auf, vor der Mittagspause zu tanzen. Ich nutze diese Gelegenheit, um aus dem Kopf herauszukommen und den Körper wieder mehr zu fühlen. Dann ist Mittagspause, die ich hauptsächlich dazu nutze, etwas spazieren zu gehen.

Nach der Pause teilen wir uns wieder in Paare auf und machen so genannte dyadische Arbeit. Dabei sitzen sich die Partner gegenüber und für eine vorgegebene Zeiteinheit spricht nur einer der beiden über ein ebenso vorgegebenes Thema. Wir beginnen damit, dass wir dem anderen erzählen, wer wir sind. Nach dem Wechsel geht es darum, dem anderen zu sagen, wer er in unseren Augen ist. Es ist anstrengend, es auszuhalten, Dinge zu hören, mit denen man vielleicht nicht einverstanden ist, aber nichts dazu sagen zu dürfen. Diese dyadische Arbeit machen wir sehr lange und bei einigen der Teilnehmer fließen auch Tränen. Nach einer erneuten kurzen Pause geht es dann an die Körperarbeit. Wieder arbeiten wir mit wechselnden Partnern. Diesmal erkunden wir den anderen Körper mit unseren Händen. Wir spüren, wo wir welche Energie wahrnehmen. Ich bekomme immer wieder zu hören, dass es sehr angenehm ist, meine Hände zu spüren und nahezu immer finde ich Stellen, die verkrampft oder schmerzhaft sind. Meine Berührung scheint dann die Verkrampfungen und Schmerzen zu lösen oder zumindest zu lindern. Mit einer Gruppenübung beenden wir diesen ersten Tag. Ich bin nicht enttäuscht, denn es war bisher sehr interessant und ich habe einiges Neues gelernt, bin aber einer wie auch immer zu bewerkstelligenden inneren Vereinigung meiner Gegensätze nicht wirklich näher gekommen.

Ganz bewusst schließe ich mich keinem der anderen Teilnehmer an, sondern gehe allein eine Pizza essen und dann in mein Hotel. Dort denke ich nicht nach, sondern überlasse mich dem Fernsehprogramm. Schnell bin ich müde.

Am nächsten Morgen bin ich wieder mit der Erste, der sich im Seminarraum einfindet. Nach und nach trudeln alle anderen ein und es scheint, dass sich schon Freundschaften gebildet haben, denn manche setzen sich zueinander und reden vom letzten Abend. Mit dem Eintreffen von Dagmar verstummen alle Gespräche. Sie fasst noch einmal den gestrigen Tag zusammen und gibt uns einen Ausblick auf das, was uns heute erwartet. Wir beginnen mit gemeinsamen Körperübungen und ich habe das zweifelhafte Glück mit der sehr gut aussehenden jungen Frau arbeiten zu können. Wieder machen wir zuerst eher anstrengende Übungen, die dann immer sanfter werden. Wechselseitig massieren wir uns den Rücken. Anhand einer Schautafel zeigt uns Dagmar verschiedene Stellungen, die dem gemeinsamen Energiefluss dienen können. Sie gibt uns klar zu verstehen, dass es hierbei für uns nicht um Sexualität geht und dass wir die Grenzen des anderen zu akzeptieren haben. Sie empfiehlt uns aber dann doch diese Stellungen im angezogenen Zustand auszuprobieren und genau hin zu fühlen, was dabei mit uns passiert. Ich sehe einige neidische Blicke, da meine Partnerin nicht nur sehr attraktiv ist, sondern auch keine Skrupel zeigt, alle Stellungen auszuprobieren. Dabei wird mir schon sehr heiß, aber Susanne, so heißt sie, scheint sich daran nicht zu stören. Am Anfang macht mir das und meine Nervosität zu schaffen, mit der Zeit kann ich mich aber immer mehr auf mein Gefühl einlassen und es ist verblüffend, was ich dabei alles wahrnehmen kann. Ziemlich erfüllt gehen wir in die Mittagspause, die ich entgegen meiner bisherigen Praxis gerne mit Susanne verbringe. Erstaunt stelle ich fest, dass sie nicht nur hübsch, sondern auch sehr nett ist. Wir reden über Attraktivität und Susanne spricht darüber, dass sie nie sicher sein kann, dass sie nicht nur aufgrund ihres Aussehens geliebt wird. Es ist wie mit dem Geld. Wenn du Geld hast oder berühmt bist, weißt du auch nicht, ob dich die Menschen nicht nur wegen des Geldes oder deiner Berühmtheit lieben oder um deinetwegen. Genau das ist auch einer der Gründe, warum Susanne bei diesem Seminar mitmacht.

Am Nachmittag läutet Dagmar eine neue Runde ein. Jetzt kommt es zur Gruppenphase. Alle setzen wir uns im Kreis auf den Boden. Dagmar sagt zuerst gar nichts und lässt uns schweigen. Schweigen und Stille können wunderschön sein, vor allem beim Wandern in der Natur kann ich das total genießen, aber in dieser Situation bekommt das Schweigen beinahe etwas Bedrohliches. Man beäugt sich gegenseitig und immer wieder richten sich die Blicke auf Dagmar, ob sie nicht etwas unternehmen will, um die Situation zu entschärfen. Tatsächlich fordert sie uns auf, uns der Gruppe zu stellen, wenn in uns ein Thema aufkommen will. Zuerst bleibt es sehr still, dann meldet sich eine Frau, die mir bislang nicht aufgefallen ist. Sie beklagt sich jämmerlich darüber, dass sie keiner wahrnimmt. Auch auf diesen Ausbruch will zuerst keiner reagieren, dann wird es einem Mann, der rechts von mir sitzt, wohl zu bunt. Jedenfalls sagt er ihr in harschen Tönen, dass das ja wohl ihr Problem sei und sie sei daran selber schuld. Dagmar lässt den Mann sich vor die Frau setzen und beide sollen sich in die Augen sehen und das zum Ausdruck bringen, was bei ihnen gerade da ist. Der Mann schaut die Frau, wie ich finde, sehr aggressiv an und wiederholt seine Worte. Die Frau fängt daraufhin an noch stärker zu weinen, und durch diese Szene regt sich auch etwas in mir. Ich finde es ungerecht, wie der Mann auf sie reagiert hat und ehe ich mich versehe, habe ich meine Hand gehoben und sage, was ich denke. Dagmar lässt nun mich und den Mann sich gegenüber setzen. Der Mann schaut jetzt auch mich recht aggressiv an und das wundert mich, kann ich mich doch gar nicht erinnern, ihm etwas getan zu haben. Bevor ich ihm sagen kann, dass ich ihn sehr aggressiv finde, fängt er an, mich auf das Übelste zu beschimpfen. Menschen wie ich sind dafür verantwortlich, dass er sich so klein fühlt. Meine Arroganz ist für ihn der Inbegriff des bösen Deutschen und anderes mehr. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll und mein Blick zu Dagmar bewirkt, dass sich erst eine und dann eine zweite Frau vor mich setzen und auch die beiden fangen an, mich zu beschimpfen. Von Anfang an haben sie gemerkt, dass ich nur als Voyeur in dieser Gruppe dabei bin, ich wäre innerlich gar nicht beteiligt und habe mich aus allem rausgehalten, und das würde sie total an ihren Vater erinnern, der auch immer so war. Nun wird es mir zu bunt, ich fühle mich ungerecht behandelt und möchte gern aus der Situation fliehen. In diesem Moment setzt sich Dagmar zu mir und fragt mich, was das in mir auslösen würde. Dabei reibt sie mir über den Rücken und ich merke, dass Gefühle und körperlicher Schmerz in mir aufsteigen wollen. Immer noch sitzen einige aus der Gruppe vor mir und es gesellen sich sogar noch zwei weitere dazu, die alle mehr oder weniger auf mich einreden. Dann bricht etwas aus mir heraus, ich brülle sie an, mich in Frieden zu lassen und fange dann auch direkt an zu weinen. All der unterdrückte und abgespaltene Schmerz der letzten Wochen und Monate bricht sich jetzt seine Bahn. Ich weine und rede unverständliches Zeug und es dauert eine ganze Weile, bis mein Ausbruch verebbt. Das Verhalten der Menschen ändert sich, als sie meinen Schmerz erkennen. Viele kommen und geben mir Trost. Susanne hält mich im Arm und auch Dagmar bleibt an meiner Seite. In mir passiert etwas. Der Teil, den ich nun schon länger verdrängt und abgespalten habe, löst sich endlich und wird sichtbar. Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder sitzen kann. Dagmar lässt noch einmal Pause machen und danach sitze ich in der Runde, beteilige mich aber nicht mehr. Das Geschehen läuft wie ein Film vor mir ab und ich erkenne, dass ich hier zwar sitze, aber andererseits auch nicht. Es scheint, als wenn mein Ausbruch bei allen für eine gewisse Linderung ihrer Emotionen gesorgt hat, denn die Gruppensitzung verläuft bis zu ihrem Ende am Abend viel ruhiger und sanfter. Ich nehme das alles wie durch einen Schleier wahr und bin froh, als es dann endlich auch offiziell zu Ende geht. Nachdem ich nun allen gut bekannt bin, will sich auch jeder angemessen von mir verabschieden und nur Susanne begleitet mich. Wir essen noch etwas zusammen, sind dabei aber jeder für sich und sehr schweigsam. Schließlich will sie dann doch wissen, was mit mir passiert ist. Ich erzähle ihr von Anna-Sophie und davon, wie ich den Schmerz verdrängt und abgespalten habe, und dass ich selber dadurch in mir selbst abgespalten war.

<<Und jetzt habe ich den Schmerz wahrgenommen und nun kann wieder zusammen kommen, was zusammen gehört.>>, sage ich ihr. Aber glaube ich mir selber auch? Ich weiß es nicht und nur die Zukunft kann es zeigen. Ich verabschiede mich von Susanne und fahre nach Hause.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 56

Mai 2, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

56. Kapitel: Und nun?

Viel zu schnell bin ich wieder in Deutschland, bin ich wieder bei meiner Arbeit im Altenheim, bin ich wieder in meinem Leben angekommen. Der Besuch bei Annelore hat im Grunde nicht wirklich etwas für mich geklärt. Immer wieder erlebe ich den Widerspruch zwischen der Identifikation mit der Person Roman und dem größeren Bewusstsein, von dem zwar Roman auch ein Teil ist, das ihn aber übersteigt. Es scheint so zu sein, dass ich weder in dem einen noch in dem anderen Zustand auf Dauer leben kann und ich fühle mich etwas ratlos, wie es nun weitergehen soll. Ich tauche wieder  in meinen Alltag ein, und versuche aus gewohnten Abläufen und Routine eine Form der inneren Sicherheit zu entwickeln. Ab und zu maile ich mit Annelore. Es ist schön, dass wir an unserem  Kontakt festhalten. Gefühlt lädt mich meine Schwester jeden zweiten Tag ein, sie zu besuchen, aber ich scheue mich, nach Hannover zu fahren. Andererseits bin ich letztlich doch immer da hingegangen, wo es weh tut, habe mir den Schatten angesehen und auch jetzt will ich das nicht anders haben. Also sage ich zu, sie am nächsten Wochenende zu besuchen.

Tatsächlich ist es gar nicht spektakulär, wieder in Hannover zu sein. Auch daran erkenne ich, dass die wirkliche Realität innen ist und das Außen nur Anreize gibt und Dinge antickt. Emil ist ganz aus dem Häuschen, dass sein geliebter Onkel wieder da ist und es dauert eine ganze Weile, bis er mir alle seine neuen Schätze gezeigt hat. Ich setze mich zu ihm in sein Zimmer und wir bauen gemeinsam richtig coole Autos aus Lego. Immer, wenn ich ein besonders gutes Exemplar gebaut habe, nimmt er es mir weg und behauptet, das noch verbessern zu können, indem er hier und da noch etwas Neues anbringt. So haben wir beide richtig Spaß miteinander. Auch Hanna freut sich sehr, mich zu sehen. Da beide etwas vorhaben, bleibt mir ein wenig freie Zeit, die ich nutze, um die Buchhandlung von Monika zu besuchen. Monika freut sich auch aufrichtig, mich zu sehen und wir klönen ein wenig von den aufregenden, vergangenen Zeiten. Sie bietet mir nahezu sofort an, wieder etwas für mich zu organisieren, aber ich lehne dankend ab und sage ihr, dass für mich etwas anderes ansteht. Dann kommen Kunden und ich stöbere in den Regalen. Es erstaunt mich immer wieder, welch eine Fülle an Literatur zum Thema Selbstfindung und Spiritualität entstanden ist und schon nach ein paar Minuten entdecke ich Bücher, die ich nie gesehen habe und Themen, die mir wenig sagen. Monika hat auch eine Ecke, in der Leute Flyer auslegen können, wo es auch eine Pinnwand gibt, an der die neuesten Termine und Seminare angekündigt werden. Ein Flyer fällt mir besonders auf. Dort ist eine Frau mittleren Alters abgebildet, die für mich etwas Besonderes ausstrahlt. Sie bietet eine Form des zeitgenössischen Tantra an. Ich stecke den Flyer ein, verabschiede mich von Monika und gehe in das nächste nette Café, um den Flyer genauer zu studieren. Es geht in der Methode von ihr weniger um Sex, als mehr darum, unsere gegensätzlichen inneren Seiten zu verbinden. Sie spricht von der weiblichen und der männlichen Seite, die wie in der Außenwelt auch in unserer Innenwelt oft unverbunden sind und für Spannungen sorgen. Auch das spricht mich an. Bei Hanna gehe ich ins Internet und besuche ihre Homepage. Diese macht einen guten Eindruck und es gibt ein Gästebuch, in dem sich unterschiedliche Leute zu ihren Seminaren äußern. Ein Mann schreibt von seiner inneren Zerrissenheit, die er nirgendwo so deutlich gesehen hat wie bei Dagmar. Das beeindruckt mich. Dagmars Vita ist auch sehr interessant. Sie hat Tantra-Kurse bei einem Inder besucht, dann aber in der Folge ihr eigenes System entwickelt, das sie nun schon seit einigen Jahren anbietet. Ich ertappe mich plötzlich dabei, wie ich mich für ein Wochenendseminar in der Nähe von Köln online anmelde. Als ich die Anmeldung verbindlich abschicke, bekomme ich einen leichten Schreck, der aber gepaart ist mit großer Vorfreude. Hanna und Emil sind nicht wenig erstaunt, mich in so guter Laune vorzufinden. Ich stehe in der Küche und mache Pasta für uns alle. Beim Essen erzähle ich Hanna von meinem Entschluss, dieses Seminar zu besuchen und sie freut sich mit mir. Nur Emil versteht nicht, was Tantra ist, aber seine Autos aus Lego sind dann auch sehr schnell viel interessanter für ihn.

Später, wieder zu Hause, berichte ich auch Annelore davon. Sie kennt sich aus mit Tantra, hat mal in Frankreich selbst ein Seminar besucht und war davon angetan. In ihrer Mail kommt soviel Verständnis für mich und meine Lage rüber, so dass ich mich wieder sehr verbunden mit ihr fühle und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, sie sogar vermisse. Häufig sehe ich ihr Lachen vor mir, den Schwung ihrer Haare oder ihre schönen Schultern. Dann denke ich, dass ich verrückt bin, denn erst stoße ich sie weg und nun sehne ich mich nach ihr. Zwiegespalten, uneins, innerlich zerrissen – genau das sind meine Gefühle. Und dann wieder eins, verbunden, glückselig. Ich besuche Max und erzähle ihm von meinen Gefühlen.

<<So eine Braut wie die Annelore hätte ich nicht von der Angel gelassen.>>, belehrt er mich.

<<Hast du nie Zweifel an dem, was du tust oder was du fühlst?>>, frage ich ihn.

Er zuckt mit den Schultern, antwortet dann aber doch.

<<Natürlich habe ich die. Ich denke, dass es jedem Menschen so geht. Allerdings sind die wenigsten so verbissen wie du.>>

<<Wo bin ich denn verbissen?>>, will ich von meinem Freund wissen.

<<Ja, du willst es ganz genau wissen. Du gibst dich nicht damit zufrieden, so einigermaßen klar zu kommen. Du gehst den extremen Weg. Viele Männer wären mit einer Beziehung, wie du sie zu Annelore hattest, total zufrieden gewesen. Aber du bist dir nicht ganz sicher, hinterfragst die Dinge, existenziell und wenn irgendetwas oder irgendwer deinen harten Kriterien nicht genügt, dann fliegt er, sie oder es raus.>>

Dies ist ein hartes, aber wie ich zugeben muss, auch wahres Statement von Max. Daraufhin weiß ich wenig zu sagen. Er öffnet wortlos zwei weitere Biere, legt eine alte CD von Soundgarden ein und die heftigen Gitarren und die unverwechselbare Stimme von Chris Cornell füllen sein Zimmer und auch bald unsere Köpfe.

<<Manchmal muss man einfach loslassen und es wummern lassen.>>, gibt er dann noch ein letztes Statement ab. Ich bestätige das nickend und bin froh, so einen Freund zu haben und ich bin ebenso froh, so ehrlich zu sein, dass ich der Wahrheit zumindest eine Chance gebe.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 55

Mai 1, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

55. Kapitel: Liebe

Ich finde tatsächlich Leute, die mich fast bis zu Annelore mitnehmen und schon bald stehe ich vor dem Haus. Es ist schon sehr spät, aber da ich in der Küche Licht sehe und auch sonst nicht weiß, was ich tun soll, klingele ich. Eine ganze Zeit lang passiert gar nichts. Dann öffnet sich die Tür und Annelore steht darin. Ich gehe auf sie zu, sie öffnet ihre Arme und eine halbe Ewigkeit stehen wir so Arm in Arm in der offenen Tür. Dann gehen wir hinein. Ich erzähle ihr, dass sich bei der Party etwas in mir gelöst hat und sie freut sich mit mir. In dieser Nacht finden wir kaum Schlaf, so aufgeregt sind wir beide, dass wir wieder zueinander gefunden haben.

Am nächsten Morgen erwachen wir als Liebende und mit diesem Gefühl leben wir die nächsten Tage, die gerade nach der schweren Zeit für mich zu den schönsten meines Lebens zählen. Wir denken wenig darüber nach, was aus uns werden wird oder was passiert, wenn ich wieder abfahren muss, sondern genießen unsere Zeit. Aber diese ist unerbittlich. Wenn wir wollen, dass sie schnell vergeht, wird sie langsam wie zäh fließender Klebstoff und wenn wir wollen, dass die Zeit sich verlangsamt, dann schießt sie davon wie ein Sportwagen. So ergeht es auch uns in dieser Zeit, allzu schnell ist der Tag vor meiner Abreise gekommen und nun ist es tatsächlich soweit, dass wir über uns sprechen müssen. Wir sorgen dafür, dass wir an diesem Abend allein sind. Ich kaufe eine gute Flasche Wein und gemeinsam kochen wir unser Abschiedsessen. Nachdem wir gegessen haben, sitzen wir mit unserem zweiten Glas Wein zusammen, genießen die Nähe des anderen und beginnen allmählich dieses schwierige Gespräch.

<<Ich bin nach den schwierigen Erfahrungen der letzten Zeit nicht bereit für eine feste Beziehung.>>, wage ich mich gleich zu Beginn aufs Glatteis, aber ich bin noch nicht fertig.

<<Trotzdem spüre ich Liebe für dich, aber mir wird wieder deutlicher, dass du zwar diese Liebe wach rufst, dass diese Liebe sich aber nicht wirklich auf eine Person beschränkt. So wie die Sonne auch nicht nur auf den einen oder anderen Menschen scheint, sondern unterschiedslos auf alle.>>

Nun greift Annelore ein.

<<Bist du nicht mit solchen Gedanken schon in der Vergangenheit gescheitert? Wo hat dich das hingebracht? Wäre es für dich nicht besser, mal ganz normal zu leben, und einfach eine Frau wie mich zu lieben? Und – vergiss nicht, dass uns viele Kilometer trennen, also so eng und ausschließlich kann unsere Beziehung ja gar nicht werden.>>

Genau das hatte ich mir auch schon gedacht, aber ich spüre in mir den starken Impuls, die Wahrheit zu leben und auszudrücken, auch wenn es unbequem wird. Und es ist nicht meine Wahrheit, dass ich die Dinge, die ich fühle, dahinter verstecke, dass ja die Fernbeziehung bestimmte Probleme von uns fern halten wird. Also versuche ich es ein weiteres Mal, ihr zu erklären, was in mir vorgeht. Ich spreche von unserer Zeit in Indien, wo mir klar geworden ist, dass die Person Roman nur eine Rolle in einem Stück ist. Ein Stück, das wir alle gemeinsam spielen und das sehr perfekt inszeniert ist. So perfekt ist dieses Stück inszeniert, dass wir alle gar nicht merken, dass es ein Stück ist, sondern es für die Wirklichkeit halten. Aber ab und zu wacht jemand auf und merkt, dass er nicht die Rolle, der Charakter, der Schauspieler, die Person ist, sondern etwas anderes. Mit diesem Prozess stirbt etwas und das ist der unzerbrechliche Glaube an die Person, an das eigene Ich. Auch wenn, wie in meinem Fall, schwierige Umstände und leidvolle Erfahrungen dafür gesorgt haben, dass ich den Glauben an meine Identität wieder aufgenommen habe. Aber es war immer klar, dass früher oder später die einmal erkannte Wahrheit sich wieder Raum verschaffen würde, und wenn du nicht mehr an die Person glaubst, kannst du nur schwer die Spiele um diese Person ernsthaft weiterspielen. Genau das ist das Problem, wo ich Schwierigkeiten habe, es Annelore zu erklären. Aber sie reagiert zuerst mit Vernunft und dann mit Verlustängsten. Sie hält mir vor, dass ich die Spiritualität dazu benutzen würde, mein Problem von Nähe und Distanz weg zu argumentieren. Dagegen wiederum lässt sich nur schwer etwas sagen, und so sitzen wir einander gegenüber und wissen nicht genau, wie es weitergehen soll. Ganz eindeutig fühle ich die Liebe, die trotz aller Gegensätze, zwischen uns fließt. Und doch sind wir wie gelähmt, können weder voran, noch zurück. Mir ist deutlich klar, dass ich Annelore liebe, aber mir ist genauso klar, dass diese personenbezogene Liebe nur ein Teilaspekt ist und dass es um sehr viel mehr geht. Je länger ich ihr gegenüber sitze, um so klarer und deutlicher wird mir, dass ich nicht die Person Roman bin, die um eine Lösung des Konflikts zwischen Nähe und Distanz ringt, sondern, dass ich auch der Raum bin, indem dieses Kammerspiel stattfindet. Diese Erkenntnis befreit mich, aber sie nimmt mir auch die Chance, eine persönlich erfüllende Liebesbeziehung mit Annelore leben zu können. Noch einmal mache ich den Versuch, es ihr zu erklären und diesmal reagiert sie anders als erwartet. Sie weint, nickt aber dabei und gibt mir zu verstehen, dass sie sehr wohl weiß, worüber ich rede und dass das die Wahrheit ist, die sie aber nicht sehen will. Es kämpfen in ihr das kleine Kind, das etwas haben möchte und nun Angst hat, dass es das nicht bekommt und die Erkenntnis, dass sie nicht dieses kleine Kind, dieses kleine Ich ist. Sie flüchtet sich in meine Arme und eine lange Zeit sitzen wir Arm in Arm und trösten uns in der Gegenwart des anderen.

Am nächsten Morgen reise ich ab. Es ist gleichermaßen der schlechteste und beste Moment dafür. Es gibt erneut Tränen, Küsse, Umarmungen und Versprechungen, die eingehalten werden oder auch nicht. Kurz darauf sitze ich im Zug nach Deutschland. Diesmal fahre ich die ganze Strecke mit dem Zug. Das gibt mir die Möglichkeit, in Ruhe über alles nachzudenken.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 54

April 30, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

54. Kapitel: Frankreich

Nach einer äußerst arbeitsreichen Woche habe ich nun ein paar Tage frei. Ich habe mich bei Annelore angemeldet und im Internet einen günstigen Flug ergattert. Von dort in Frankreich, wo ich landen werde, muss ich zwar noch über eine Stunde mit dem Zug fahren, aber insgesamt ist es so einfacher und billiger, als die ganze Strecke mit dem Zug zurückzulegen. Was nur unglaublich nervt, ist die strenge Kontrolle am Flughafen, auch wenn es zu unser aller Sicherheit ist. Und obwohl ich fliege, zieht es sich hin. Zuerst geht es nach Hamburg zum Flughafen. Netterweise fährt mich Max dorthin. Unser Gespräch im „Rest“ hat uns wieder sehr viel enger zusammen gebracht, und auf der Fahrt witzelt er darüber, dass ich ihm ja Annelore zuschustern könne, wenn ich sie nicht haben wolle. Mein Geisteszustand hat sich noch nicht stabilisiert. Das Gespräch mit Max hat mir zwar geholfen, trotzdem steigen immer wieder Bilder von Anna-Sophie auf und neulich habe ich sogar von ihr geträumt. Es ist ein richtiger Alptraum gewesen, in dem sie in einer Burg gefangen gehalten wurde und ich sie befreien wollte, was mir im Traum aber aus unterschiedlichsten Gründen nie gelang. Ich war schweißgebadet, als ich danach aufwachte. Inzwischen glaube ich nicht, dass der Traum aussagen sollte, dass Anna-Sophie in irgendeiner Zwischenwelt gefangen ist, sondern er reflektiert mehr meine eigenen Ängste darum. Nichtsdestotrotz ist das für mich ein klares Zeichen, dass ich mit dem Thema noch nicht durch bin. Andererseits fühle ich mich nicht mehr so konsequent in mir eingeschlossen und manchmal scheint sich der Raum zu öffnen, aber es ist nicht mehr so, wie nach meiner Rückkehr aus Indien. Interessant ist, dass ich weiterhin Einladungen zu Meetings bekomme und dass auch Britta und Monika aus Hannover ihre Bereitschaft bekundet haben, jederzeit wieder mit mir arbeiten zu wollen. Aber das kann ich mir im Moment so gar nicht vorstellen. Jetzt schaue ich in Richtung Frankreich und Annelore und dann wird man weitersehen. Max liefert mich am Flughafen ab, wir umarmen uns zum Abschied, und schon bald sitze ich im Wartebereich. Gerade auf Flug- und Zugreisen kann ich gut beobachten, wie alles aus sich heraus geschieht. Wie willenlos wird man von einem Ort zum anderen verschifft. Hier hat man sich anzustellen, dort zu warten, hier sitzt man eine Weile, dann wird man aufgerufen und trippelt wie die Lemminge zum Flugzeug, dort sitzt man bald wieder. Das Flugzeug hebt ab, fliegt und landet, man wird durch die Gepäckabfertigung und den Zoll gelotst. In dem Moment, wo ich die Schalterhalle des doch eher kleinen Flugplatzes in Südfrankreich betrete, habe ich das erste Mal wieder das Gefühl, selbst bestimmen zu können. Es ist angenehm warm, die Menschen sehen gut aus und ich höre an allen Ecken das vertraute Französisch. Ich gönne mir in klassischer Manie einen Milchkaffee und ein Croissant. Jetzt fühle ich mich in Frankreich. Ich wähle die Nummer von Annelore und sie ist sofort dran, so als hätte sie nur auf meinen Anruf gewartet, was ja auch richtig ist und sie überrascht mich positiv, indem sie sagt, dass sie mich abholen kommt. Sie fährt jetzt los und wird in ungefähr einer Stunde bei mir sein. Wieder einmal fügt sich alles zum Besten. Ich kaufe mir eine Zeitschrift, trinke noch einen Kaffee und warte auf ihr Erscheinen.

Fast spüre ich sie mehr, als dass ich sie sehe. Aber sie zu sehen, ist wieder einmal ein Erlebnis. Sie betritt den Flughafen und ich habe mich extra so hingesetzt, dass ich sehen kann, wenn jemand hereinkommt. Ihr Erscheinen ist fast wie ein Auftritt. Sie sieht einfach fantastisch aus. Sie trägt die Haare länger und offen und diese wehen hinter ihr her, als sie auf mich zuläuft. Sie ist modisch angezogen, trägt braune Stiefel, einen dunklen kurzen Rock mit einem breiten Gürtel und darüber eine weiße Bluse mit einer dunklen Strickjacke. Sie läuft auf mich zu, ich stehe auf und wir fallen uns in die Arme und das so dekorativ, dass die Menschen in unserer Umgebung das mitbekommen. Aber wir sind in Frankreich und dort liebt man das Ausleben und Zeigen von Gefühlen, und während ich sie in meinen Armen halte, ihren süßen Geruch einatme und ihre schönen Haare mein Gesicht kitzeln, kann ich den einen oder anderen Franzosen lächeln sehen, und einer von ihnen deutet sogar ein Klatschen an. Es tut gut, Annelore zu spüren und für einen wunderbaren Moment hält die Zeit an und Glück und Frieden sind da.

Sie fragt mich, ob wir los wollen und wir gehen zu ihrem Wagen. Wir haben viel miteinander zu reden und das Gespräch ist anregend und lustig. Annelore freut sich aufrichtig mich zu sehen und lacht viel. Schon jetzt ist mir klar, warum ich mich in sie verliebt hatte und ich erfreue mich an diesem Gefühl. Wir sind auf dem Weg zu Annelore`s Wohnung. Die Fahrt ist kurzweilig. Ich vermeide bewusst alle ernsten und traurigen Themen, ich will unser Wiedersehen nicht gleich damit belasten. Außerdem macht Annelore solch einen glücklichen Eindruck und das möchte ich nicht zerstören.

Sie wohnt weiterhin in der Wohngemeinschaft mit Maya und Virginie. Beide sind zu Hause und stürmen auf uns zu. Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, denn plötzlich sind drei hübsche Frauen um mich, küssen mich auf die Wangen und reden französisch auf mich ein. Annelore macht dem ein Ende, indem sie Maya sagt, dass sie Kaffee kochen und Virginie, dass sie Brot holen soll. Schon bald darauf sitzen wir in der Küche, trinken Kaffee, essen Brot mit Marmelade und unterhalten uns. Später zeigt mir Annelore, wo ich schlafen kann, es gibt in der WG einen kleinen Raum, den sonst keiner nutzt und der als Abstellkammer dient. Dahin werde ich also abgestellt. Es ist etwas mühsam, das auf französisch zu erklären, aber als es gelungen ist, finden es alle lustig. Natürlich gibt es am Abend noch eine Party, zu der wir alle hingehen und zu der ich selbstverständlich auch eingeladen bin.

Am Abend ziehe ich also dann mit drei wunderschönen Frauen auf die Party. Die drei haben sich richtig ins Zeug gelegt und sich fantastisch zurecht gemacht, vor allem Annelore sieht zum Anbeißen aus, aber ich kann die ausgelassene Party-Stimmung nicht wirklich teilen. Ich gebe mir zwar Mühe, dass es nicht so offensichtlich ist, aber in mir laufen viele Prozesse ab und ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht wirklich hier bin. Es ist so, als wenn es mehrere parallele Wirklichkeiten gibt und ich in allen präsent bin, doch meine Hauptenergie ist in einer anderen Realität und deswegen bleibt für diese nur wenig übrig. Annelore bekommt schon mit, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Ein paarmal schaut sie zu mir rüber, und dabei lässt sie die Partymimik fallen und echte Gefühle zeigen sich auf ihrem schönen Gesicht, aber ich kann und will in dieser Situation nicht mit ihr darüber sprechen. Vor allem auch, weil ich gar nicht so genau weiß, was eigentlich passiert, ich merke nur, dass etwas passiert. Die Party ist laut, wild und vollgestopft mit Menschen. Maya und Virginie mischen sich sofort unters Volk, Annelore bleibt etwas unschlüssig bei mir stehen. Es läuft irgendeine verrückte französische Rap- oder Funkmusik, überall stehen Getränke und Aschenbecher. Der Schutz der Nichtraucher wird hier sehr klein geschrieben. In allen Räumen  wird getanzt. Ich sage zu Annelore, dass ich auf Toilette muss, gehe aber auf den Balkon. Auch hier stehen viele Leute rum, ich sage schüchtern hallo und werde gleich auf meinen Akzent angesprochen. Um das Gespräch davon wieder weg zu lenken, frage ich nach einer Zigarette. Ich habe zwar aufgehört, habe jetzt aber ein großes Verlangen nach einer Zigarette. Ein als Punk der alter Schule aufgemachter Typ bietet mir stattdessen einen Joint mit den Worten, <<Rauch man lieber das!>>, an.

Da kann ich nicht nein sagen und ziehe an dem Ding. Nahezu sofort bin ich total stoned. Die Gedanken, die mich eben noch beschäftigt haben, sind weg. Stattdessen bin ich ganz in der Gegenwart und nehme die Schönheit der Menschen um mich herum wahr, auch die Musik hat ihren Schrecken verloren und kommt mir jetzt sehr rhythmisch vor. Ich verlasse den Balkon, nehme mir ein Bier und tanze ein wenig. Ich habe dabei die Augen geschlossen und lasse mich von dem Beat und meinen Gefühlen leiten. Ich öffne die Augen und Maya tanzt direkt neben mir, ich lächele sie an, sie lächelt zurück. Später bin ich in der Küche, trinke ein weiteres Bier und beteilige mich am Gespräch über die Unterschiede der europäischen Völker in dieser modernen und verrückten neuen Zeit. Auch wenn mir oftmals die richtigen französischen Worte fehlen, hören mir viele Leute zu. Nach einiger Zeit flüchte ich aus der Küche, obwohl mich einige zurückhalten wollen. Ich trinke noch ein Bier und suche Annelore. Ich finde sie auf einer Tanzfläche. Ich schreie ihr zu, dass ich sie gesucht habe und sie schreit zurück, dass sie mich gesucht hat. Als ich zu ihr sage, dass wir uns ja jetzt gefunden haben, stoppt die Musik für einen Moment und meine Worte kommen lauter heraus, als ich das beabsichtigt habe. Daraufhin legt Annelore mir beide Arme um den Hals und küsst mich auf den Mund. Ich spüre Liebe und Verlangen und erwidere den Kuss. Wir stehen bestimmt einige Minuten mitten auf der Tanzfläche und küssen uns. Es ist wunderschön. Es ist genauso, wie es sein soll und dann kommen wieder Bilder in mir hoch, von Anna-Sophie und ihrem zerschmetterten Körper und abrupt löse ich mich aus der Umarmung. Ich stammele nur, dass ich das nicht kann und renne raus. Ich spüre mehr, als dass ich es höre, dass mir Annelore ein paar Schritte lang folgt, doch ich knalle die Tür hinter mir ins Schloss. Ich renne ohne Luft zu holen einige Minuten, dann halte ich an. Das Bier, der Joint, die Küsse, die Musik, alles in mir ist wie ein Brei, der in Aufruhr geraten ist. Ich hole tief Luft und allmählich beruhige ich mich. Etwas hat sich gelöst. Ich kann den Prozess zwar nicht überblicken, aber irgendetwas ist passiert. Ich spüre, wie sich der Komplex um den Unfall von Anna-Sophie gelöst hat, da ist jetzt wieder mehr Raum in mir. Ich weiß, dass diese Geschichte mich den Rest meines Lebens begleiten wird, aber sie wird mich nicht mehr einnehmen können. Ich bin tatsächlich frei, aber ich bin auch breit und mir ist kalt. Also gehe ich zur Party zurück, Annelore ist aber schon gegangen. Ich setze mich an die Tanzfläche, trinke ein Wasser und lasse alles an mir vorüberziehen. Es geht mir gut. Natürlich ist es sehr schade, dass Annelore nicht mehr da ist, aber ich werde schon einen Weg finden, zu ihr zu kommen und dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 53

April 29, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

53. Kapitel: Soll ich oder soll ich nicht?

Am Abend maile ich mit Annelore und erzähle ihr von meinen Erlebnissen mit Rahula. Sie ist begeistert, freut sich für mich und schlägt mir erneut vor, sie in Frankreich besuchen zu kommen. Da ich aber noch nicht so lange wieder arbeite, kann ich keinen Urlaub nehmen, merke aber, dass ich mir nach dem Abend mit Rahula eine Reise nach Frankreich gut vorstellen kann. Am späteren Abend höre ich Musik von David Sylvian und denke konkret darüber nach, wie es wäre, Annelore in Frankreich zu besuchen. Soll ich oder soll ich nicht fahren? Das ist hier die Frage.

Am nächsten Tag treffe ich meine Chefin auf dem Weg zur Arbeit. Wir gehen ein Stück gemeinsam und reden miteinander. Ich frage sie, ob es möglich ist, dass ich ein paar Tage voll arbeite und dann ein paar Tage frei mache, da ich gern meine Freundin in Frankreich besuchen möchte. Sie verspricht mir, darüber nachzudenken und später, kurz vor Feierabend, bittet sie mich in ihr Büro und bejaht meinen Vorschlag. Passt ihr ganz gut, sagt sie, da sie nächste Woche eher unterbesetzt und die Woche darauf eher wieder überbesetzt sind. Dann steht meinen Reiseplänen ja nichts mehr im Weg. Außer meinen Gedanken natürlich, denn ich bin über Anna-Sophie noch nicht hinweg, und wenn ich zu Annelore fahre, dann ist es leicht möglich, dass zwischen uns etwas läuft und das empfinde ich als Betrug an Anna-Sophie. Andererseits möchte ich Annelore gern wiedersehen und will mich nicht künstlich blockieren. So bin ich hin und hergerissen und weiß nicht recht weiter. Also rufe ich Max an und frage ihn, ob er am Abend Zeit für mich hat.

Wir treffen uns in seinem Stammlokal, dem „Rest“. Rest ist tatsächlich ein merkwürdiger Name für eine Kneipe und die Geschichte dazu ist so: Als die Vorbesitzer pleite waren, hatte Hotte den Laden übernommen, da aber ein Teil des Inventars schon weg war, hat er den Laden dann den „Rest“ genannt und so sieht es dort auch aus. Aber man kann dort in Ruhe sitzen, günstiges Bier trinken und Musik aus den siebziger Jahren hören. Als ich ankomme, ist Max schon da, sitzt am Tresen und schnackt mit Hotte. Wir umarmen uns etwas unbeholfen zur Begrüßung, denn unsere Freundschaft ist noch nicht wieder das, was sie früher war. Nach ein paar Sätzen zur Einleitung komme ich relativ schnell auf den Punkt.

<<Max, ich muss mal mit jemanden reden.>>, beginne ich das Gespräch. Max lässt mich meinen nächsten Satz gar nicht erst anfangen und kommt selber mit einem Thema.

<<Interessant, dass du mich jetzt wieder um Rat fragst. Als großer Guru hattest du das ja wohl nicht nötig!>>, sagt er und ich erkenne, wie tief verletzt er sein muss, denn Max ist im Grunde ein pflegeleichter Freund, den nichts so schnell aus der Bahn wirft, der einem wenig übel nimmt und nie beleidigt ist. Ich zucke mit den Augenbrauen und weiß nicht recht, was ich sagen soll.

<<Mensch Roman, du bist mein bester Freund. Ich kenne dich, seit du ein kleiner Junge warst und ja, du warst immer irgendwie merkwürdig. Du hast da Fragen gestellt, wo keiner Antworten hatte. Und ja, unsere Gespräche waren mir oft zu hoch, ich konnte dir da oft nicht folgen, aber es hat mich auch bereichert.>>

Ich unterbreche ihn an dieser Stelle und sage: <<Max, nun lass mal die Kirche im Dorf….>>

<<Nee, das muss jetzt auch mal gesagt werden.>>

Ich will ihn wieder unterbrechen, aber er nimmt meinen Arm, wie, um mir auch körperlich zu demonstrieren, dass er jetzt dran ist. Doch er wird unterbrochen, denn wir bekommen die nächsten Biere und immer wieder kommen Leute in den Laden und latschen an uns vorbei. Max kennt die meisten und viele bleiben stehen, um kurz mit ihm oder uns zu quatschen, dann nimmt er den Gesprächsfaden wieder auf, als wäre nichts gewesen.

<<Roman, wenn du eine Band hast, dann ziehen alle am gleichen Strang. Man probt gemeinsam, versucht sich musikalisch zu verbessern und vielleicht hat man dann hier und da einen kleinen Auftritt. Das funktioniert solange gut, wie alle Mitglieder der Band ungefähr gleich gut sind. Wenn sich aber herausstellt, dass einer einfach mehr Talent hat, zu Höherem berufen ist, dann ist das Schicksal der Band besiegelt. Du bist so jemand mit einem besonderen Talent. Das warst du schon immer, da kannst du fragen, wen du willst. Und für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis du aufwachst und etwas daraus machst.>>

Hier macht er eine Pause, um einen kräftigen Schluck aus seinem Glas zu trinken. Ich hüte mich, schon jetzt etwas dazu zu sagen. Hotte legt „Free“ auf und der alte Gassenhauer „Allright now“ fegt durch die Kneipe. Hier und da singen einige mit, Max trommelt den Rhythmus mit seiner Bierflasche auf dem Tresen mit, wendet sich dann wieder mir zu und fährt fort:

<<Als du nach Frankreich, nach Hamburg, nach Indien und schließlich nach Hannover gegangen bist, war das für mich nur folgerichtig. Endlich, habe ich gedacht, und wenn du dich gemeldet hättest, wäre ich auch mal zu einem deiner Vorträge gekommen.>>

Ich verbessere ihn an dieser Stelle nicht, frage mich beim Zuhören aber selber, warum ich mich eigentlich nicht bei ihm oder den anderen gemeldet habe. Die einfache, wie auch verstörende Antwort ist, dass ich nicht daran gedacht habe. Ich war so vollständig in der Gegenwart, dass die Vergangenheit nicht nur nicht für mich existierte, sondern sogar die Vorstellung einer Vergangenheit  nicht vorhanden war. Aber auch das sage ich nicht, sondern lasse Max seinen Monolog zu Ende bringen.

<<Mensch, ich war immer über dich und deine Aktivitäten informiert. Ich habe sogar Annelore gemailt und war geschockt, dass ihr euch in Indien getrennt habt. Im Internet habe ich deine Sachen verfolgt und war stolz darauf, dass mein Freund es so weit gebracht hat, auch wenn ich von dem Zeugs, was du da gemacht hast, nichts verstehe. Als ich dann ein Foto von dir und Anna-Sophie gesehen habe, dachte ich, ja, jetzt hat er es geschafft, er sieht glücklich aus. Was dann passiert ist, tut mir leid für dich, aber nun bist du da und willst meinen Rat. Gut. Ich stehe dir zur Verfügung, nur, das musste ich mal loswerden.>>

Ich bin gerührt und verlegen gleichermaßen. Wieder geht mir der Ausspruch des Buddha durch den Kopf, in dem er die Wichtigkeit edler Freundschaft betont.

<<Danke Max, das bedeutet mir viel, was du gesagt hast.>>, sage ich, wir schauen uns einen Moment lang an, nehmen dann wie abgesprochen unser Bier, stoßen an… <<auf die Freundschaft!>>, und für einen Moment ist Stille. Auch die Musik hört für einen Moment lang auf und ich spüre die Verbundenheit zwischen Max und mir, zwischen den Menschen in der Kneipe und mir und bin eins mit allem. Der Moment vergeht, die Musik setzt mit einem Deep Purple Kracher wieder ein und Max fragt mich, was ich denn ursprünglich eigentlich von ihm wissen wollte.

<<Bevor ich zu meinem endlosen Monolog angesetzt habe.>>, scherzt er.

Ich besinne mich und erzähle ihm von meinem Konflikt mit der Reise nach Frankreich. Ich setze ihm auseinander, dass ich einerseits Annelore gern wiedersehen möchte, dass ich aber auch das Gefühl habe, Anna-Sophie zu verraten. Nachdem ich ihm die ganze Geschichte erzählt habe, verblüfft mich Max erneut, indem er sagt:

<<Predigst du nicht immer, dass wir im Jetzt leben und zu den Gefühlen stehen sollen, die eben jetzt da sind. Fahr doch hin und dann siehst du vor Ort, was wirklich wirklich ist.>>, sagt er und grinst.

<<Na, bin ich ein guter Schüler?>>, setzt er noch nach und ich erwidere:

<<Ein besserer als der Lehrer selbst.>>

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 52

April 26, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

52. Kapitel: Eine bedeutsame Begegnung

So wie der Herbst voranschreitet, wachse ich in mein neues und gleichzeitig altes Leben hinein. Den halben Tag arbeite ich im Heim, die andere Hälfte habe ich frei. Ich lese viel, gehe spazieren und lasse es zu, dass die Wunden allmählich heilen. Ich schreibe regelmäßig mit Annelore und unsere Mails sind mir jeden Abend wieder eine große Freude. Sie konzentriert sich auf ihr Studium und lädt mich jeden zweiten Abend zu sich nach Frankreich ein. Ich besuche jetzt regelmäßig meine Eltern, und selbst mein Vater lässt sich ab und zu dazu herab, sich mit uns an den Tisch zu setzen und dem Gespräch zuzuhören, was meine Mutter und ich bestreiten. Am letzten Wochenende bin ich das erste Mal wieder in Hannover. Ich bin ganz bewusst an all die Stellen gegangen, die mit meiner Vergangenheit zu tun haben. Ich habe meine alte Wohnung und Brittas Buchhandlung besucht. Sie hat sich sehr gefreut und mich erneut zu ihrem spirituellen Gesprächskreis eingeladen, was ich aber abgelehnt habe. Ja, und ich bin an der Unfallstelle gewesen. Das ist ein schwerer Gang für mich gewesen und ich war ganz zittrig danach. In einem Café in der Nähe habe ich einen Kaffee und zur Beruhigung einen Cognac getrunken, dann habe ich mich soweit gefasst, dass ich zu Hanna und Emil gehen konnte. Hanna hat mir sofort angesehen, dass ich mit meiner Vergangenheit zu tun habe und hat vorgeschlagen, dass wir drei in den Zoo gehen sollten. Natürlich ist es dort sehr voll gewesen, so dass wir kaum die begehrtesten Tiere zu sehen bekommen haben, aber Emil hat sich nach vorne gedrängelt und hat hinterher davon berichtet, wie aufregend Löwe, Elefant und Krokodil gewesen sind. Dieser Ausflug hat absolut seinen Zweck erfüllt, denn er hat mich abgelenkt, mich auf andere Gedanken gebracht. So kann ich den Besuch in Hannover als Erfolg und als einen weiteren Schritt auf dem Weg zur inneren Genesung verbuchen. Auf dem Rückweg habe ich ein Plakat mit der Information gesehen, dass Rahula wieder unterwegs ist. Auch ein Termin in Hamburg ist dabei, den ich mir gleich gemerkt habe.

Nun zurück zu Hause, denke ich darüber nach, nächste Woche nach Hamburg zu fahren und Rahula zu begegnen. Die Begegnung mit ihm hat damals so einiges in Gang gebracht, vielleicht kann seine Präsenz mir helfen, noch mehr zu mir zu finden, denn eine Sache hat sich seit dem Unfall nicht geändert oder verbessert. Immer noch fühle ich mich von der Quelle abgeschnitten, habe das Gefühl, in mir eingesperrt zu sein, aber im Gegensatz zu vielen anderen, die von diesen Dingen so gar nichts wissen, kann ich mich gut an das Gefühl erinnern, verbunden zu sein.

Wieder zeigt sich das Phänomen im Leben, dass alles in Zyklen und Kreisen verläuft. Mit der Begegnung mit Rahula sind viele wichtige Dinge in meinem Leben in Gang gebracht worden und jetzt steht ein weiteres Treffen mit ihm bevor. Ich bin aufgeregt, aber auf eine andere Weise als damals. Mit dieser Begegnung erhoffe ich mir Aufschluss darüber, ob der Zustand der Trennung so bleiben wird oder ob seine Präsenz dafür sorgen kann, dass eine neue Verbindung wiederhergestellt wird. Vielleicht ist Rahula einmal mehr ein Bote, ein Botschafter des Göttlichen und kann hoffentlich in meinem Fall als Katalysator wirken. Dementsprechend nervös bin ich, als ich in Hamburg den Raum betrete. Ich sehe, dass mich der eine oder andere erkennt und mancher winkt mir sogar freundlich zu. Trotzdem oder gerade deswegen bin ich froh, als ich einen Platz finde und mich setzen kann und ein wenig in der Anonymität der Menge verschwinde. Dann beginnt wieder das so heilsame Warten darauf, dass der Meister erscheint. Bei uns im Westen kennen wir das so wertvolle Verhältnis vom Schüler zum Meister, zum Guru nicht. Das kommt in unseren religiösen Wurzeln nicht vor und wird deswegen häufig sehr misstrauisch beäugt. Guru heißt wörtlich übersetzt, der, der die Dunkelheit vertreibt. Mit Dunkelheit ist hier die innere Dunkelheit gemeint, die uns davon abhält, unsere wahre Natur der Göttlichkeit zu erkennen. Stattdessen glauben wir, dass wir die Person, dass wir der Körper sind und aus diesem Irrglauben heraus entstehen alle möglichen Ängste, von denen die Angst vor dem Tod die größte ist. Unglaublich viele Dinge werden nur aus dem Grund unternommen, um die Angst vor dem Tod zu verdrängen oder um möglichst viel aus dem Leben herauszuholen, bevor es zu Ende ist. Dabei sind wir nicht der Körper und wir sind auch nicht die Person, die den Körper bewohnt, wir sind grenzenloses Bewusstsein und für uns gibt es keinen Tod. Ich hatte das große Glück, diese Erfahrung machen zu können und damit war auch die Angst vor dem Tod und alles, was damit zusammenhängt, zu Ende. Doch nun fühle ich mich wieder in mir eingeschlossen und zum Spaß habe ich neulich sogar gesagt, dass ich nur Körper bin. Doch damit habe ich die Verkapselung, in die ich durch das traumatische Erlebnis um den Tod von Anna-Sophie gekommen bin, nur humorvoll oder zynisch verpackt. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich darauf warte, dass Rahula erscheint. Neben mir sitzt eine Frau, die tief versunken erscheint und wieder einmal wird mir klar, dass wir nicht in andere Menschen hineinsehen können. Ich gehe jetzt zwar davon aus, dass sie tief versunken ist und dabei wunderbare Seinszustände erlebt, aber das ist im Grunde nichts anderes als eine Projektion von mir, denn vielleicht ist sie von tiefsten depressiven Gedanken geplagt und sieht nur so versunken aus. Mit dem Verklingen dieses Gedanken bemerke ich, dass ein Raunen und ein Rücken durch den Raum geht und das ist meistens ein Zeichen dafür, dass etwas geschieht und das kann in diesem Fall nur bedeuten, dass Rahula den Raum betreten hat. Und so ist es auch. Wie immer verbeugen wir uns vor ihm und er sich vor uns. Er sagt, dass wir damit das Göttliche in ihm ehren und er das Göttliche in uns. Ich bemerke, dass ich darauf warte, dass irgendetwas Besonderes in mir geschieht, aber dieses Warten blockiert alles, was geschehen könnte. So ist es sicherlich vielen Menschen in meinen Meetings ergangen. Auch sie haben beobachtet, wie ihre Nachbarn tolle Gefühle erlebten und fragten sich dabei, was mit ihnen verkehrt ist, dass es ihnen nicht so ergeht.

Rahula setzt sich und es beginnt eine Phase der Stille. Auch in der Stille schaffe ich es, weiter zu denken. In den alten Schriften, den Veden und ähnlichen, steht, dass Trennung eine Illusion ist und dass alles Bewusstsein ist. Manch einer geht aber noch weiter und sagt, dass da letztlich nur die Stille ist. Eine Stille, die in sich potentiell alles enthält. Davon bin ich im Moment weit entfernt, denn philosophische Gedanken wechseln sich mit Überlegungen zu meinem Alltag ab. Tatsächlich ist da Stille, aber diese ist für mich nur im Außen, innen ist da eher Fülle. So bin ich ganz erleichtert, als Rahula diese Phase beendet und anfängt zu sprechen. Wie ich es schon so oft erlebt habe, scheint er genau meine Problematik anzusprechen, denn sein Thema ist der Wechsel zwischen Erwachen und Schlafen. Ähnlich wie der Normalbürger es Tag für Tag erlebt, so sagt Rahula, dass sich wache Phasen mit Schlaf und Traum abwechseln, so ist es für viele auch in ihren inneren  Prozessen. Man macht eine Erkenntnis und freut sich und denkt, jetzt habe ich es, und dann passiert etwas und die tolle Erkenntnis verschwindet wieder dahin, woher sie gekommen war. Ich nicke lebhaft mit dem Kopf und bin jetzt sehr gespannt, was er als nächstes sagen wird.

<<Und>>, so holt er aus, <<ist das schlecht, dass es so ist? Nein, denn ebenso wie der Wechsel von Wachzustand und Schlaf gewollt und gesund ist, ist auch hier der Wechsel zwischen Momenten der höheren Einsichten und welchen scheinbar größerer Verblendung so gewollt. <<Denn>>, hier macht er eine Pause und sieht einige Menschen für längere Momente still an. <<denn, wenn es nicht so von der Schöpfung, von Gott, vom Kosmos, gewollt wäre, dann wäre es nicht so. Das Ego ist also nicht verantwortlich, dass wir auch im Leben wieder einschlafen, statt immer wach zu sein, sondern das Ego kommt ins Spiel, weil es das, was ist, ablehnt. Immer, wenn wir etwas ablehnen, machen wir uns zu weniger, als wir sein könnten und das, was wir ablehnen, sind wir ja auch und so spalten wir uns und sind daher selbst für die Trennung verantwortlich, unter der wir dann so leiden.>>

Wieder macht Rahula eine längere Pause und sieht diesmal auch mich an, es durchfährt mich dabei, als wenn sich ein Laserstrahl durch all meine Schichten, Gefühle und Gedanken bohrt und erst da zu stehen kommt, wo ich nicht mehr bin. Aber er ist noch nicht fertig, es gibt noch mehr zu sagen.

<<Ja und was können wir jetzt tun? Wir können uns, unser Leben und all die darin befindlichen Prozesse annehmen und sogar lieben.>>

Da regt sich Protest in mir. Ich soll lieben, was mit Anna-Sophie passiert ist, ich soll meinen Absturz annehmen. Alles mit der spirituellen Paste des alles-ist-gut-so-wie-es-ist zudecken. Das kann ich nicht und das will ich auch nicht. Ich ich ich. Ich werde noch verrückt. Aber Rahula ist immer noch nicht fertig.

<<Liebe ist die größte Kraft im Universum, sie ist das Universum. Letztlich sind wir alle nichts anderes als individuelle Ausformungen der Liebe und es ist die größte denkbare Ironie, dass es Menschen gibt, die auf der Suche nach Liebe sind. Das ist dann wirklich so ähnlich wie der Fisch, der das Wasser sucht und jeden, den er auf seiner Suche trifft, sagt ihm, es umgibt dich, du befindest dich genau darinnen. Du musst das Wasser nicht suchen. Wir müssen die Liebe nicht suchen, wir sind Liebe, wir sind von ihr umgeben und durchdrungen. Deshalb gilt es immer wieder dahin zurückzukehren und sich der Liebe zuzuwenden. Alles andere ist nur Verblendung.>>

Damit schließt Rahula seinen wirklich inspirierenden kleinen Vortrag und steht für Fragen zur Verfügung. Freundlich lächelnd fordert er uns auf, davon Gebrauch zu machen. Eine mittelalte Frau steht auf, lässt sich das Mikrophon reichen und erzählt, dass ihre kleine Tochter vor drei Jahren an Leukämie gestorben ist. Niemand konnte etwas machen, trotz intensiver und schmerzhafter Behandlung im Krankenhaus ist sie schließlich gestorben. Sie war ihr einziges Kind, und ihr Mann hat das alles nicht verkraftet und sie schlussendlich verlassen, und nun ist sie ganz allein. Sie versteht nicht, warum das Göttliche sich an solchen grausamen Geschichten freut und wie sie das bitte schön lieben soll. Wieder bin ich verblüfft, weil das im Prinzip genau meine Frage ist. Eine Woge von Traurigkeit und Mitgefühl schwappt durch die Menge und ich sehe einige, die sich verstohlen oder ganz offen die Tränen aus dem Gesicht wischen. Ich bin einfach nur gespannt, was Rahula darauf antwortet. Er hört der Frau genau zu, ist ihr zugewandt und lässt sie dann zu sich nach vorne bringen. Dort streicht er ihr mit seiner Hand mehrfach über Schultern und Rücken, worauf die Frau anfängt zu weinen. Er lässt sie, legt ihr, als sie sich etwas beruhigt hat, die Hand auf dem Kopf und lässt sie da eine ganze Weile liegen.

<<Nicht immer sind Worte hilfreich. Oft ist es wichtiger, dass wir für den anderen da sind und ihm auch körperlich zeigen, dass wir für ihn da sind. Wenn der Schmerz zu stark ist, können wir oft Erkenntnisse nicht zulassen, lehnen diese sogar als herzlos ab. Später können wir erkennen, welches Geschenk wir durch diese traumatischen Erlebnisse eigentlich bekommen haben. Denn sie helfen uns zu erkennen, wer wir wirklich sind. Auch, wenn es hart klingt, brauchen manche von uns einen etwas lauteren Weckruf. Aber versteht mich nicht falsch, das soll kein Argument gegen Mitgefühl sein, ganz im Gegenteil.>>

Bei diesen Worten von Rahula passiert etwas in mir. Als er Weckruf erwähnt, spüre ich, wie sich eine Verkrampfung, ein Klammern, in mir löst, das etwas los lässt. Der Raum öffnet sich wieder etwas mehr und ich fühle mich sofort nicht mehr so eingesperrt, so isoliert. Während der weiteren Fragen schaut mich Rahula ein weiteres Mal direkt an und ich lächele ihn an und nicke ihm zu und er nickt zurück. Der Abend endet für mich sehr viel positiver, als er begonnen hat und ich bin sehr froh, dass ich da gewesen bin.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 51

April 25, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

51. Kapitel: Zurück auf Start

Viele Menschen würden es als Niederlage sehen, wenn sie in ihre Heimatstadt zurückkehren und den Job wieder übernehmen müssten, den sie für etwas besseres aufgegeben hatten. Mir geht es nicht so. Als ich zurückkomme, habe ich eher das Gefühl, nach langer Krankheit eine Kur anzutreten. Meine paar Sachen habe ich schnell in meiner Wohnung verstaut, die Vorstellung bei der Altenpflegestelle ist problemlos, da ich noch viele dort kenne. Ich rufe Max an. Nach meinem Wegzug mit Annelore hatten wir nur wenig Kontakt, trotzdem freut er sich sehr, als ich mich bei ihm melde und ihm sage, dass ich wieder da bin. Er organisiert für den Abend einen Kneipenbummel mit ein paar alten Freunden. Es ist lustig und heilsam, die alten Kumpanen wieder zu treffen und zuerst, als wir noch nüchtern sind, muss ich von meinem Leben erzählen. Sie schütteln den Kopf, als ich von Indien und meinen Meetings erzähle und sind mit mir traurig, als sie  von Anna-Sophie erfahren. Aber schon bald helfen die vielen Biere und wir sind beim alten Ton angekommen. Max und Sven rauchen nicht und so fällt es auch mir relativ leicht, es zu lassen. Nachdem mich Annelore wieder aufgebaut hat, habe ich gleich versucht, das Rauchen wieder aufzugeben, was mir erstaunlicherweise sehr leicht fiel, auch, weil ich ja nur wenige Tage wieder geraucht hatte.

<<Die Leute haben Geld dafür bezahlt, dass du ihnen Weisheiten erzählt hast?>>, will der schon recht angetrunkene Sven wissen.

<<Nun ja, es lief meistens auf Spendenbasis.>>, werfe ich ein, aber Max springt für mich in die Bresche.

<<Erinnere dich, Roman hat man auch in der Schule schon zugehört…>>, die anderen nicken. <<Und haben die meisten von uns sich nicht gewundert, dass er nicht mehr aus sich gemacht hat.>>

<<In die Politik!>>, ruft Simon dazwischen.

<<Kannst du immer noch machen.>>, greift Max den Faden auf.

<<Ganz ruhig Jungs, aber lasst mich doch erstmal zur Ruhe kommen, alles andere findet sich dann schon.>>, versuche ich dieses Gespräch zum Abschluss zu bringen.

<<He, und was ist mit Annelore?>>, will wieder Simon wissen und zwinkert mit dem Auge. Die anderen scheinen ihm beizupflichten.

<<Eine echt heiße Braut, wenn du mich fragst.>>, sagt Sven.

<<Ja, aber ich frage dich nicht, wenn ihr es denn unbedingt wissen wollt, sie ist wieder in Frankreich und studiert dort Politik und Soziologie.>>

Damit geben sie sich zufrieden und wir wenden uns allgemeineren Gesprächsthemen zu. An solch einem Abend in einer so kleinen Stadt trifft man immer Leute, wenn man unterwegs ist, und so wundert es mich kaum, dass wir auch Catrin begegnen. Sie freut sich aufrichtig, mich zu sehen und bleibt ein wenig zu lange in der Umarmung, als wir uns begrüßen. Sie sieht gut aus, hängt an meinen Lippen und würde gern mit uns gemeinsam weiterziehen, aber die Jungs wimmeln sie ab. <<Reiner Männerabend, tut uns leid.>>, rufen sie ihr nach.

Es wird ein bunter und lustiger Abend, der mir am nächsten Morgen zwar Kopfschmerzen, aber auch das Gefühl vermittelt, wirklich wieder zu Hause zu sein. An dem Tag besuche ich meine Eltern, die sich ebenfalls freuen mich mal wieder zu sehen. Ich erzähle ein wenig, esse gemeinsam mit ihnen und bin erstaunt, wie leicht das alles geht.

Ein paar Tage später habe ich meinen ersten Arbeitstag. Seit längerer Zeit arbeite ich wieder  mit meinem Körper und es ist harte Arbeit, aber man kommt dabei wenig zum Denken. Außerdem bin ich nach vier Stunden schon fertig und kann mir überlegen, was ich mit dem Nachmittag anfange. Der Buddha wurde der Legende nach als Prinz geboren und seinem Vater war geweissagt worden, dass sein Sohn entweder ein weltlicher Führer oder ein Asket, ein der Welt Entsagender werden würde. Das Letztere wollte der Vater des zukünftigen Buddha gerne vermeiden, also hielt er alles, was seinen Sohn an die Vergänglichkeit und das Leiden der Welt erinnern konnte, vor ihm verborgen. Selbst die herabgefallenen Blätter wurden nachts zusammengefegt und entfernt. Kurz vor seinem 21. Geburtstag machte Siddhartha nacheinander vier Ausfahrten, auf denen ihm Alter, Krankheit, Tod und ein Asket begegneten. Diese Erfahrungen sorgten dann dafür, dass er an seinem 21. Geburtstag seinen Palast, seine Frau und seinen neugeborenen Sohn verließ, um einen Zustand jenseits des Leidens, die Erleuchtung zu suchen. In unserer modernen Gesellschaft sind wir inzwischen so wie der Vater des Buddha. Auch wir versuchen, Alter, Krankheit und Tod zu verbannen, so dass wir diese Dinge nicht ansehen müssen und uns in der Illusion sicher fühlen können, dass diese Dinge nichts mit uns und unserem Leben zu tun haben. Menschen, die nach der Erleuchtung suchen, werden als Spinner oder Esoteriker verlacht und lächerlich gemacht. Nun hat mich das Schicksal aber an einen Ort geführt, an dem diese Dinge jeden Tag offensichtlich sind. Die alten Menschen sind pflegebedürftig, einsam, krank, leiden an Verwirrung und haben seelische und körperliche Schmerzen. Die meisten rechnen täglich mit dem Tod und einen Ausweg gibt es für keinen von ihnen und wie mir immer deutlicher klar wird, auch nicht für mich.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 50

April 24, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

50. Kapitel: Verarbeitung

Annelore hat sich frei genommen und kann ein paar Tage bei mir bleiben und mit ihrer Hilfe und der Unterstützung von Hanna bekomme ich allmählich mein äußeres Leben wieder in den Griff. Ich werde nicht mehr ständig von Schuldgefühlen geplagt, habe aber auch nicht mehr das Verbundenheitsgefühl aus der Zeit vor dem Unglück. Im Grunde fühle ich mich, wie vor der Reise nach Indien. Annelore ist mir eine große Hilfe und ungern lasse ich sie nach Frankreich ziehen, aber sie muss Klausuren schreiben, ansonsten würde sie ein ganzes Jahr verlieren.

<<Besuch mich doch!>>, bietet sie mir an.

Ich zucke mit den Schultern und bringe sie zum Flughafen, von wo sie wieder aus meinem Leben verschwindet. Und ich bin wieder allein, allein, höre ich in meinem Inneren einen bekannten Song aus dem vergangenen Jahr oder so. Tatsächlich stellt sich mir nach Annelore`s Abflug die Frage, was ich nun mit meinem Leben anfangen soll. Mir ist sehr bewusst, dass ich kleinere Brötchen backen will, und dass ich etwas Bodenständiges brauche. Ich hole mir Rat von dem Menschen, der mich in der letzten Zeit am meisten erlebt hat und das ist meine Schwester Hanna. In langen Gesprächen, die natürlich nicht die spirituelle Tiefe haben, wie jenes mit Annelore in meiner Wohnung, die aber auch schon dieses Bodenständige haben, was ich suche, gehen wir diesen Punkten nach.

<<Ich könnte wieder in einer Buchhandlung arbeiten.>>, schlage ich ihr vor, aber sie hat eine ganz andere Idee.

<<Oder du machst eine Zeitlang wieder den Altenpfleger, da hilfst du Menschen und bodenständiger geht es ja kaum noch.>>

Bei diesen Worten von Hanna wird etwas in mir angestoßen und ich fühle, dass damit mein kommender Weg beschrieben ist. Ich komme auf die Idee, meine alte Chefin aus der Altenpflegestätte in Norddeutschland anzurufen.

Am nächsten Morgen tue ich genau das. Sie erinnert sich an mich, fragt, was ich so getrieben habe und freut sich, dass ich wieder in diesem Beruf arbeiten will. Ich gebe ihr klar zu verstehen, dass das nur eine Übergangslösung für mich ist, worauf sie sagt, dass ihr das bei mir immer schon klar war. Sie führt das dann noch weiter aus.

<<Ich habe Ihnen regelrecht angesehen, dass es sie noch woanders hintreibt, aber sie waren trotzdem mit Herz bei den Menschen und deswegen ist es für die Menschen und für sie gut, wenn sie hier wieder zurückkehren, für welche Zeitdauer auch immer.>>

Mit diesen Worten öffnet sie mir alle Türen, und das Beste hebt sie sich für den Schluss unseres Gespräches auf.

<<Sie können sofort hier wieder anfangen, wenn auch am Anfang nur in Teilzeit.>>

Ich sage sofort zu. Ich werde also wieder zurück gehen. Das Leben verläuft gern in Zirkeln und Kreisen und ich finde diese Entwicklung total passend. Außerdem habe ich vielleicht die Gelegenheit, an meine alten Freundschaften anzuknüpfen. Es ist zwar nicht unbedingt mein Traum, aber es wird mir helfen, wieder zu mir selbst zurückzufinden.

In den folgenden Tagen regele ich meine Sachen in Hannover, ich kündige die Wohnung und verabschiede mich von Britta und Monika, die nachdem ich ihnen alles erklärt habe, Verständnis für mein Verhalten und meine Entscheidung zurück in den Norden zu gehen zeigen. Am härtesten ist es einmal mehr, mich von Emil zu verabschieden, als aber Hanna ihm erklärt, dass sie mich besuchen können und ich nicht weit vom Meer wohne, beruhigt er sich. Da ich mich in der Stadt gut auskenne, in der ich so lange gewohnt habe, finde ich per Internet eine kleine, aber für mich, voll ausreichende Wohnung und schon bald ist alles soweit geklärt.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 49

April 23, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

49. Kapitel: Die Wende

Sturzbäche aus Verzweiflung, Trauer und Selbsthass bahnen sich ihren Weg und fließen aus mir heraus. Es ist ein regelrechter Zusammenbruch. Alle Dämme brechen und Annelore weiß gar nicht, wie ihr geschieht. Sie nimmt mich in den Arm und lässt mich all die Tränen vergießen, die sich aufgestaut haben. Zwischendurch stammele ich einzelne Worte oder Phrasen, ohne recht zu wissen, was ich da von mir gebe. Immer wieder frage ich warum und mit den Gefühlen, die ich nun wirklich zulasse, erkenne ich, dass ich mich vor allem schuldig fühle, weil ich Anna-Sophie an diesem Tag allein gelassen habe. Ich beginne Annelore die ganze Geschichte zu erzählen und beginne mit dem Ende. Ich erzähle vom Stalker, von seinen Aktionen, von Anna-Sophie und ihrer Angst. Ich erwähne unsere glückliche Zeit und dass ich sie allein gelassen habe und dass dann dieser Mörder sie einfach umgefahren hat.

<<Weil ich unbedingt zum Steuerberater musste… Ich hätte doch jeden anderen Tag gehen können.>>

<<Das konntest du nicht wissen und außerdem sagst du, hat sie dich aufgefordert zu gehen.>>, hält Annelore dagegen. Ich weiß, dass sie mich aufbauen und mir die Schuld nehmen will. Aber sie ist noch nicht fertig.

<<Du selbst hast doch davon gesprochen, dass die Dinge vorgegeben sind, dass das Drehbuch des Lebens längst geschrieben wurde und in ihrem Drehbuch stand nicht, dass du zur Stelle warst, um sie zu retten.>>, erklärt Annelore mir die Weltsicht, die ich tatsächlich vor kurzem noch selber vertreten habe.

<<Ja, aber, vielleicht hatte ich damit Unrecht und wir haben doch mehr Einfluss oder den freien Willen und dann hätte ich sie retten können.>>, sage ich und weine wieder dabei.

Der stinkende, versoffene Typ weint und klagt, aber ich kann nicht anders. Zu weit habe ich mich vorgewagt und jetzt ist es nicht mehr zu stoppen. Hanna hat die Situation klar erkannt und das einzige gemacht, was ihr einfiel, sie hat Annelore angerufen.

<<Das ist doch Unsinn, Roman, was du da sagst. Du weißt genau, dass wir diesen Einfluss nicht wirklich haben. Anna-Sophie war glücklich und was ihr dann passiert ist, ist ihr Karma. Da konnte niemand etwas ändern.>>, macht Annelore ihren Standpunkt klar.

Viele Menschen würden uns oder sie dafür verurteilen, wie sie denkt, denn die meisten von uns sind davon überzeugt, dass sie im Großen und Ganzen ihr Leben selbst bestimmen. Solche Theorien, wie wir sie vertreten, sind für sie nur die Fantasien von Spinnern oder Esoterikern. Aber selbst moderne Naturwissenschaftler kommen immer mehr dahinter, dass die Dinge geschehen, aber dass da keiner ist, der sie geschehen macht. Der Buddha zeigt auf, dass die Erkenntnis des Nicht-Ich wesentlich  zur Erfassung der Wirklichkeit und Grundbedingung für die Erleuchtung ist. Klar ist, wenn wir nicht wissen, ob wir einen freien Willen haben, ob wir die Dinge willentlich beeinflussen können, solange können wir auch davon ausgehen, dass wir diesen haben und uns dementsprechend verhalten. Aber auch aus dieser Sichtweise heraus ist es sinnlos, sich für vergangene Ereignisse die Schuld zu geben, es sei denn man hätte aus böser Absicht heraus gehandelt, und das ist bei mir ja ohne Zweifel nicht der Fall. Dann gehe ich aber doch auf das ein, was Annelore gesagt hat:

<<Ja, vielleicht hast du Recht, aber trotzdem ist in mir dieses Gefühl von Schuld.>>

<<Aber das ist nur dein Ego, das sich groß fühlt, wenn du klein bist. Angst und Schuld sind doch die besten Mittel, um sich getrennt zu fühlen und daraus bezieht das Ego seine Energie.>>, wirft sie ein und mit Tränen in den Augen frage ich sie, woher sie diese Weisheit hat.

<<Ich habe dir gut zugehört.>>, sagt sie zu mir.

<<Wie konnte ich den Leuten so lange etwas vormachen, denn ich bin nicht anders, eher noch schlimmer als sie es sind.>>, jammere ich weiter.

<<Erstens sind die Leute gar nicht schlimm und was hast du den Leuten denn vorgemacht? Du hast Stille mit ihnen geteilt, du hast sie ihre Fragen stellen lassen und hast dich bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen ihnen zur Seite zu stehen. Und das wichtigste darfst du nicht vergessen.>>, und nun lässt sie eine Lücke, in die ich sehr gern hineingehe, denn die Wendung, die unser Gespräch nimmt, gefällt mir.

<<Nun sag schon, was ist das Wichtigste?>>, will ich wissen.

<<Roman, du warst in diesen Momenten, im Grunde wohl in der ganzen letzten Zeit, in einem anderen Bewusstseinszustand, du warst, wie nennst du es selber immer, verbunden mit der Quelle.>>, zeigt diese junge Frau namens Annelore ihre ganze Weisheit. Aber ich bin immer noch nicht überzeugt.

<<Und warum lässt mich die Quelle dann im Stich, wo ich sie am Nötigsten brauche?>>

<<Wenn ich dem glauben schenke, was du immer gesagt hast und was ich in Ansätzen in Indien und in den Wochen zuvor  erfahren habe, dann ist die Quelle immer da, auch jetzt, nur der Schock vom Tod deiner Freundin hat dich aus dem Bewusstsein der Einheit herauskatapultiert und dich in dein altes Selbst versetzt.>>, erklärt sie mir die Welt.

Worte haben Macht, sie können geistig in uns etwas anstoßen. Auch Worte können wie Ereignisse unser Bewusstsein verändern. Obwohl, das stimmt nicht ganz, denn das Bewusstsein ist immer das Gleiche, es ist die Ausrichtung des Bewusstseins, die sich verändert. Die weisen Worte von Annelore verändern auch die Ausrichtung meines Bewusstseins und zum ersten Mal seit dem Tod von Anna-Sophie erahne ich einen Hauch von dem Frieden, der mich ja so lange begleitet hat. Ich lasse mich wieder in Annelore`s Arme sinken und genieße die Nähe eines lieben Menschen. Das ist vielleicht mit das wichtigste, was es gibt, Menschen, die mit uns Momente der Nähe leben. Aber eine Sache will ich dann doch noch wissen:

<<Woher hatte denn Hanna deine Nummer?>>

Aber das weiß Annelore auch nicht und findet es auch nicht wichtig. Eine ganze Zeit bleiben wir so, dann löst sie sich langsam von mir, geht auf die Toilette und kommt naserümpfend wieder.

<<Deine Toilette und du selbst, das geht gar nicht.>>, sagt sie.

Sie schickt mich zum Rasieren und Duschen und beginnt damit, das Chaos in meiner Wohnung zu beseitigen. Kurz darauf bin ich frisch gewaschen und rasiert, trage saubere Kleidung und fühle mich sehr viel besser.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 48

April 22, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

48. Kapitel: Der umgekehrte Milarepa

Der berühmte tibetische Tantra-Meister Milarepa lebte einen Teil seines Lebens mit dem Gebrauch von schwarzer Magie. Das war sehr übel und kostete sogar einige Menschen das Leben. Nach mehreren einschneidenden Erlebnissen änderte er sein Leben und trug in der Folge mühevoll sein schlechtes Karma ab und konnte schließlich seine wahre Natur verwirklichen. Ich bin eher so eine Art von umgekehrtem Milarepa. Ich habe gut angefangen und bin jetzt dabei, mein gutes Karma aufzubrauchen und mich selbst mit schwarzer Magie zugrunde zu richten. Nur noch Hanna versucht zu mir durchzudringen, alle anderen habe ich erfolgreich abgewehrt. Seit fast zwei Wochen bin ich aus der Sächsischen Schweiz wieder da und habe kaum meine Wohnung verlassen, obwohl wir einen wirklich schönen Herbst haben. Ich schlafe so lange, wie es nur geht, dann setze ich mich vor den Fernseher. Es gibt zwei wunderbare neue Eigenschaften, die ich mir angewöhnt habe. Ich trinke und ich rauche. Morgens beginne ich meistens mit Bier, wechsele dann am Nachmittag zu Wein und auch mit dem Rauchen habe ich wieder angefangen. Auch das ist interessant, denn es ist viel schwerer mit dem Rauchen aufzuhören, als damit wieder anzufangen. Nach wissenschaftlichen Studien soll die Tabakmischung in den Zigaretten schneller und effektiver süchtig machen als der Gebrauch von Heroin. Stimmt ja auch in gewisser Weise, denn, wenn man einmal ein Raucher war, dann lässt einen das so richtig nie wieder los und wenn man damit anfängt, hat man zu Beginn ja eigentlich gar nichts davon. Gut, der Kreislauf wird hochgefahren und ein gewisses Schwindelgefühl stellt sich ein, aber Rauchen schmeckt nicht, man muss husten und bekommt einen schlechten Atem und trotzdem macht man damit weiter. Auch ich hatte einige Jahre geraucht und es mir dann abgewöhnt, weil ich merkte, dass meine Kondition nachließ und weil meine damalige Freundin Asthma hatte und schon vom Rauch in meinen Klamotten Atembeschwerden bekam. Doch jetzt ist mir das alles so egal. Neulich im Supermarkt, als ich mein Frühstück in Form von Bier und Wein einkaufte, schaute mich ein Päckchen Tabak so verführerisch an, dass ich es mitnahm. Die ersten Zigaretten wurden zwar etwas fest, aber nun habe ich das Drehen wieder voll drauf und kann es blindlings während des Fernsehens. Wie kann man sich so gehen lassen? Ja, da gibt es eine gewisse Lust am Niedergang. Nur gestern tat es ein wenig weh, denn am Nachmittag klingelte es an der Tür und diesmal machte ich sie auf, warum auch immer. Da stand Hanna mit Emil und wollte mich besuchen. Emil schluckte seine Vorfreude auf seinen lustigen Onkel runter, als er sah, in welchem Zustand sein Onkel an die Tür kam. Ich trug die Jogging-Hose, die ich jetzt immer anhabe und die inzwischen einer Landkarte meiner Ernährung gleicht, dazu ein fleckiges altes Neil-Young-T-Shirt. Ich habe mich die zwei Wochen nicht rasiert, was aber nicht den gepflegten Bart eines Gurus hervorgebracht hat, sondern eher wie Dreck im Gesicht aussieht. Außerdem hatte ich schon einiges getrunken und das roch man auch und ich öffnete die Tür mit einer Zigarette in der Hand. Also, humorvoll gesprochen, hat Emil den Yeti gesehen, aber so lustig ist das gar nicht, denn er hat dann sehr schnell geweint und die beiden sind gar nicht reingekommen. Hanna meinte nur, dass es nun wirklich an der Zeit wäre, mich zu besinnen und wieder auf die Füße zu kommen und dass ich mein Ziel endlich erreicht hätte, denn auch sie würde sich jetzt nicht mehr um mich kümmern. Mir ist das zwar nicht egal, aber ich finde keine Stärke mehr in mir, etwas zu ändern, also mache ich so weiter bis bisher.

Drei Tage später, vermute ich, denn ich zähle die Tage nicht, klingelt es wieder an der Tür. Aufgrund meiner Erfahrung mit Hanna und Emil versuche ich das Klingeln zu ignorieren, aber derjenige scheint auf der Klingel zu stehen, denn es hört nicht auf. Gut, denke ich, auch diesen Störenfried werde ich mit meiner dem Yeti gleichenden Erscheinung schon davonjagen können und gehe an die Tür. Der Störenfried ist weiblich, sehr hübsch und wirkt sehr zornig. Es ist Annelore. Sie gibt mir keine Möglichkeit, mich zu äußern, sondern rauscht in meine Wohnung, stemmt die Hände in die Hüften und schreit mich an:

<<Jetzt ist Schluss. Dies ist hier eine Schweinerstall!>>

Ich murmele nur: <<Das heißt Schweinestall, Süße.>>

Aber das hätte ich lieber nicht sagen sollen, denn nun folgt eine Schimpftirade, die es wahrlich in sich hat. In einem Gemisch aus deutsch und französisch macht Annelore mich derart zur Schnecke, dass ich es nicht mehr lustig finde. Am Anfang versuche ich noch, es mit der einen oder anderen Bemerkung ins Flapsige zu ziehen, aber dann bleibt mir die Luft weg und ich merke, dass unglaublicher Druck in mir aufsteigt, und ich fange an zu weinen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 47

April 19, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

47. Kapitel: Bad Schandau

Mit der Bahn fahre ich nach Bad Schandau. Dieser Ort liegt auf der anderen Seite der Elbe und mit einer Fähre überquert man dieselbe. Überall im Ort sind Marken angebracht, die zeigen, wie verheerend hoch die Stände der Flut in den vergangenen Jahren in dieser Gegend gewesen sind. Hier zeigen sich sanfte Spuren des Tourismus, aber es ist wie an vielen Stellen im Elbsandsteingebirge erfrischend unaufdringlich. Mit den berühmten gelben Wagen der ebenso berühmten Kirnitzschtalbahn fahre ich bis zum Lichtenhainer Wasserfall. Die Fahrt führt durch eine wunderschöne Naturlandschaft und wäre ich nicht in dieser desolaten Verfassung, würde diese mich stark berühren, aber ich habe mich gegen alles Schöne und Heilsame abgeschottet und wenn meine Gedanken sich auf etwas anderes richten, kommen sofort Bilder von Anna-Sophie in mir hoch. Immer wieder sehe ich die eingebildeten Bilder davon, wie sie unbeschwert mit dem Rad durch die Stadt fährt und brutal überfahren wird. Eine ältere Frau, die mir in der Bahn gegenübersitzt, erschreckt regelrecht, als sie mir in diesem Moment ins Gesicht sieht. Ich erschrecke vor mir selbst. Am Lichtenhainer Wasserfall verweile ich nicht lange, sondern beginne eine Wanderung durch die zum Teil bizarre Landschaft, die sich vor mir auftut. Immer wieder sind kleinere Steigungen zu bewältigen, aber die körperliche Erschöpfung tut mir gut und ich fordere mich bis zum Äußersten. Ich gelange an einen Pfad, auf dem ich für Stunden keinem Menschen begegne, wo ich mit mir, den Steinen, den Vögeln, den Bäumen und der Natur allein bin. Immer wieder eröffnen sich grandiose Ausblicke, aber wie ein Aussätziger wandere ich und verschandele die Landschaft mit den leprösen  Auswürfen meiner Gefühle und Gedanken. In einem klaren Moment, den ich auf einem vorgelagerten Felsen mit Bilderbuch-Ausblick verbringe, frage ich mich, warum ich die Geschehnisse nicht einfach hinnehme. Mir ist doch bewusst, dass unser ganzes Leben nur eine Illusion ist, dass es den Tod eigentlich gar nicht gibt, sondern dass in diesem kosmischen Drehbuch die Charaktere auf- und wieder abtreten. Wir sind nicht unser Körper, wir sind nicht die Person, wir sind das, was alles beseelt, aber dieses Wissen ist jetzt nur gedacht und nicht mehr wirkliches Sein für mich. Wie kann man gleichzeitig wissen, dass man nicht existiert und doch so an dieser Existenz leiden. Der Mensch als das Fleisch gewordene Paradoxon. Was hat sich die Schöpfung bloß dabei gedacht? Aber vielleicht ist es auch genau entgegengesetzt, was gedacht werden kann, kann auch Schöpfung werden. Für einen Moment lasse ich den Gedanken zu, mich einfach vom Felsen in die Tiefe zu rollen, aber die Selbsterhaltungskräfte des Körpers sind dazu viel zu stark. Unwillkürlich geht dieser ein paar Schritte zurück. Meine Füße schmerzen in den neuen Schuhen und so beschließe ich umzukehren. Auf dem Rückweg begegnen mir auch wieder Menschen, die in der Regel freundlich grüßen, es scheint, dass allein das Wandern in dieser Landschaft eine Art von Verwandtschaft erzeugt. Die Kirschnitzschtalbahn bringt mich zurück nach Bad Schandau, wo ich den Nachmittag in der Therme ausklingen lasse. Ach, was könnte es einem gut gehen, wenn es einem gut gehen würde. Wieder so ein paradoxer Gedanke, der mich beim Schweben im dunklen und salzhaltigen Schwimmbecken überkommt. Hier und da fange ich Blicke von Frauen auf, die sich wundern, was dieser Mann hier wohl allein so macht, aber das interessiert mich überhaupt nicht, käme mir wie ein Frevel vor, wie eine Entweihung.

Den Abend verbringe ich mit meinen beiden Freunden Rotwein und Fernseher, beide beschweren sich nicht über meine Laune, auch wenn der eine der beiden immer leerer wird. Am nächsten Morgen habe ich keinerlei Motivation überhaupt aufzustehen, nur die Bedürfnisse meines Körpers zwingen mich dazu. Ich sitze stumpfsinnig vor dem Fernseher, während draußen ein wunderbarer Tag vorüberzieht und ich hasse mich für meine offensichtliche Destruktivität. So kann es hier nicht weitergehen, also verlasse ich das Hotel und nehme die nächste Bahn zurück nach Hannover.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 46

April 18, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

46. Kapitel: Graue Tage

Diesmal träume ich. Ich schwimme im Meer und nirgendwo ist Land. Ich bin ganz verzweifelt und schreie um Hilfe, aber niemand hört mich. Dann sehe ich doch Land und schwimme darauf zu. Nach einer Zeit werde ich von einer Welle an den Strand gespült. Nachdem ich wieder zu Atem gekommen bin, erkunde ich die Insel und komme zu einem Dorf, in dem nur Hippies in selbstgebauten Hütten wohnen. Vor einer Hütte sitzen Anna-Sophie und Annelore. Ich bin total aus dem Häuschen, dass ich die beiden dort treffe und frage Anna-Sophie, ob es ihr gut geht. Sie sagt, dass sie tot sei, aber ansonsten wäre alles in Ordnung. Ich nehme das so hin und frage Annelore,was sie denn hier machen würde.

<<Aber wir gehören doch zusammen, weißt du das denn nicht?>>, sagt sie mir.

Ich will sie noch fragen, ob sie meint, dass sie und ich oder dass sie und Anna-Sophie zusammen gehören, aber da beginnt die ganze Insel zu wackeln, als wenn ein Riese sie in ihrer Hand hätte und ich wache total verschwitzt auf und weiß zuerst gar nicht, wo ich denn bin. Ich will den Traum nicht deuten. Ich will gar nichts.

Die folgenden Tage verbringe ich hauptsächlich im Bett, ich vernachlässige mein Äußeres und mache lange Spaziergänge in der Umgebung von Hannover. Bewaffnet mit Kapuzen-Pullover und Mütze setze ich mich in irgendeinen Bus, fahre bis zur Endstation und laufe so lange, bis ich nicht mehr kann. Sporadisch melde ich mich bei Hanna, ignoriere alle Anfragen nach meinen Meetings und meinem Befinden. So geht das die ganze Woche, bis der Freitag der Beerdigung kommt. An diesem Morgen habe ich etwas vor, also rasiere und wasche ich mich und gehe in die Innenstadt, kaufe mir einen schwarzen Anzug und ein Ticket nach Dresden.

Es ist das erste Mal, dass ich in die Gegend um Dresden reise und es passt zum Anlass und zu meiner Stimmung, dass es die ganze Zugfahrt über regnet und Dresden mich für die Jahreszeit kalt, nass und unfreundlich empfängt. In einem Hotel treffe ich Jens, den Bruder von Anna-Sophie und viele Leute, die ich nicht kenne, die mich nicht kennen und das Verhältnis von mir zu Anna-Sophie nicht einordnen können. Eine Tante von ihr kommt auf mich zu:

<<Ich war immer ihre Lieblingstante.>>, so begrüßt sie mich.

<<Und Sie sind der Freund von ihr gewesen, der so tolle Vorträge hält. Ja, sie hat mir von Ihnen erzählt.>>, sagt sie und schweigt, um mir die Gelegenheit zu geben, auch etwas dazu zu sagen. Mir fällt absolut nichts ein und so spreche ich über das Wetter.

<<Ist das hier immer so furchtbar?>>, will ich von ihr wissen und weise mit der Hand zum Fenster, an dem der Regen in Strömen herabrinnt.

<<Aber nein, das ist hier oft ganz schön, Dresden ist so eine schöne Stadt und die Umgebung erst. Sie wandern doch gerne? Sie müssen einfach mal in das Elbsandsteingebirge reisen.>>

Zum Glück geht es jetzt los und ich kann mich aus der Umklammerung der Lieblingstante lösen. Zur Beerdigung selbst gibt es nicht viel zu sagen, außer, dass wir alle nass wurden, dass der Pastor die üblichen nichts sagenden Floskeln vorbrachte, dass ich unzählige Hände schüttelte, überzuckerten Kuchen aß, zu früh zu viel trank und mich wie nach einem Rausch vor dem Fernseher des kleinen Hotels in Dresden wieder finde. Dort wird mir bewusst, dass nun auch die Beerdigung vorbei ist. Anna-Sophie ruht jetzt in der Erde, und ich werde sie nie wiedersehen, sie nie mehr fühlen können, nicht mehr mit ihr lachen, sie kitzeln, meine Lieblingsstelle an ihrer Hüfte streicheln und vieles mehr. Aber eine Sache bleibt mir und diese kultiviere ich so richtig, mein Selbstmitleid. Ich weiß gar nicht, warum die Menschen das so schlecht finden. Besser voller Selbstmitleid als verlogen. Fast muss ich lachen, denn auch im Wort Selbstmitleid steckt das Selbst. Nahezu automatisch spüre ich zur Quelle, was immer mein inneres Wort für das Selbst war, aber da ist nichts und so sage ich zu mir, da war auch nie etwas, außer Einbildung.

Nun, wo auch die Beerdigung vorbei ist, weiß ich erst recht nicht mehr, was ich noch soll. Im Hotel gehe ich ins Internet und checke, wie meine finanzielle Situation ist. Ich bin überrascht, wie gut ich damit dastehe und ein Plan reift in mir. Warum bleibe ich nicht einfach hier in der Gegend, wo sie gelebt hat und verlebe hier die intensive Trauerphase. Mich bedauern kann ich doch auch im sagenumwobenen Elbsandsteingebirge. Ich rufe Hanna an und erzähle ihr, dass ich noch hierbleiben werde. Sie reagiert etwas verwundert, wünscht mir aber alles Gute.

Am nächsten Morgen kaufe ich mir einen Reise- und einen Wanderführer, setze mich in ein Café und mache mich mit der Gegend vertraut. Laut Reiseführer ist Pirna das Tor zur Sächsischen Schweiz und dort soll mich mein Weg auch hinführen. Ich kaufe noch ein paar Klamotten, denn trotz aller Trauer und all den negativen Gedanken möchte ich nun doch nicht im schwarzen Anzug herumklettern. Mit der Bahn bin ich kurz darauf in Pirna. Dort ist schnell ein nettes Hotel gefunden, wo sie mir auch gern ein Fahrrad leihen. Nun bin ich vollständig ausgerüstet und kaum sind die ablenkenden Aktivitäten vorbei, öffnet sich der innere Krater der schmerzhaften Gefühle. Immer wieder sehe ich das Bild von Anna-Sophie vor meinen Augen und ich frage mich, warum das passieren musste. Ich erinnere mich an meine schlauen Antworten in den Meetings, wenn mich andere Menschen genau das gefragt haben. Ja, es gibt keine Antworten auf die Warum-Frage. Mit ihr suchen wir im Verstand nach Antworten, wo es keine Antworten gibt. Wie gut kann ich jetzt die Menschen verstehen, die unzufrieden waren, die nach Trost und Verstehen gesucht haben. Wie ich mich selbst in meiner Arroganz verachte. Ich muss etwas tun, sonst werde ich verrückt. Ich ziehe meine neue Freizeitkleidung und die neuen Wanderschuhe an, steige aufs Rad und fahre an der Elbe  und dann in Richtung Elbsandsteingebirge. Die Bewegung tut mir gut und selbst der Dauerregen macht eine Pause und für einen Moment kommt die Sonne durch, aber sie erreicht mich nicht. Dumpfe Gedanken und schmerzhafte Gefühle lassen mich wünschen, dass es wieder regnen möge, denn das würde viel besser zu meiner Stimmung passen. Tatsächlich fängt es an zu regnen und ich stelle mich unter und schaue auf die Elbe, die unbeeinflusst von meinen Gedanken in ihrem Bett fließt und sich über den Zuwachs zu freuen scheint, im Gegensatz zu den Bewohnern, die hier schon etliche Überschwemmungen erleiden mussten. Einen überfluteten Keller kann man wieder trocken legen, aber eine überflutete Seele? An diesem Tag hat ein Weiterfahren keinen Sinn mehr und ich kehre um und erreiche völlig durchnässt das Hotel. Zuerst habe ich damit zu tun, meine Sachen zu trocknen, ich dusche heiß und gehe dann im Hotel etwas essen. Außer mir scheint es hier nur ältere Menschen zu geben, jeder von ihnen hat seinen Partner dabei. Wieder hadere ich mit dem Schicksal, wieder kommt die Warum-Frage in mir hoch, warum musste ich sie erst finden, um sie dann so grausam zu verlieren? Aber da sind keine Antworten, da ist nur eine große Leere. Den Rest des Abends verbringe ich vor dem Fernseher und mit Hilfe einer Flasche Wein kann ich dann auch etwas schlafen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 45

April 17, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

45. Kapitel: Der tiefe Fall

Anna-Sophie ist tot. Zuerst fühle ich gar nichts. Die totale Leere, die Lautlosigkeit des Weltalls, doch dann kommt es mit Brausen und Tosen und überflutet mich total. Mit einem Schub bin ich von der Quelle abgeschnitten und da ist nur noch Leiden, Hadern und Schmerz. Tintenfische werden auf grausige Art und Weise von innen nach außen gestülpt. Damit ist das zu vergleichen, was mir passiert, alles was mir vor kurzer Zeit noch etwas bedeutet hat, ist vergangen, aus Fülle wird Leere, aber es ist nicht die nette philosophische Gleichung Fülle entspricht Leere aus der Herz-Sutra des Buddha, es ist wahre Leere, die Abwesenheit von allem Guten. Wie konnte ich nur in diese Psychose gelangen. Das Erlebnis am Berg war nichts als ein Schub, eine Verdrehung der Wirklichkeit, um das Ich zu erhöhen mit dem famosen Trick, dem Ich die Auflösung seiner Selbst als höchste Form der Manifestation zu verkaufen, und seitdem täusche ich mich und die Leute. Man kennt das von der Einnahme von Drogen, dem Gehirn kann alles mögliche vorgegaukelt werden, plötzlich sind da Formen und Farben, die es vorher nicht gab. Wir können uns viel einbilden, aber in Wirklichkeit gibt es nur das Alter und den Tod, die uns mit der Zeit alles nehmen. All diese schönen Geschichten vom Übergang in eine andere Welt sind wunderbare Märchen, die uns trösten sollen, aber die Wahrheit ist, dass ich nichts mehr von Anna-Sophie spüre, rein gar nichts. Es ist so, als wäre sie nie da gewesen. Ich renne wie ein Berserker durch meine Wohnung, suche jeden Gegenstand, der ihr gehört hat oder den sie berührt hat, rieche daran, berühre ihn, um mich und meine Sinne an sie zu erinnern und mir wird dabei schmerzlich bewusst, dass ich sie nie wieder berühren werde. Schon bald ist meine Wohnung ein Schlachtfeld, ständig klingelt das Telefon, ich reiße es raus, schmeiße mein Handy in die Ecke. Das alles ist reines Gefühl, aber auch der rationale Verstand schweigt nicht still. Er kommt mit seinen ganz eigenen Argumenten. Im Grunde kenne ich Anna-Sophie noch nicht lange. Wenn sie vor ein paar Monaten umgebracht worden wäre, dann wüsste ich es jetzt gar nicht. Selbst die so echten Gefühle von Trauer und Verlust sind nichts als momentane Inszenierungen meines Unbewussten, um etwas Spannung zu erzeugen, um dem total sinnlosen Universum etwas zu bieten. Ich fühle, also bin ich. Nur ich bin und der Schmerz. Mit dem letzten Kleidungsstück von ihr, das noch ein wenig ihren Geruch trägt, schmeiße ich mich ins Bett und weine. Es klingelt an der Tür, Hanna, meine Schwester, ruft nach mir. Ich schicke sie weg. Sie gibt nicht auf, ich schreie sie solange durch die verschlossene Tür aus an, bis sie geht. Ich trinke den Rotwein in großen hastigen Schlucken direkt aus der Flasche solange bis ich in einen kurzen rauschartigen Tiefschlaf falle, dabei träume ich nichts, vor allem nicht von ihr, denn sie ist weg. Endgültig weg. Endgültig.

Das Erwachen ist grausam. Die Erinnerung an das, was geschehen ist, kommt schlagartig zurück, dazu kommen infernalische Kopfschmerzen und das Gefühl des absoluten Getrennt-Seins. Aus dem Gefühl des Getrennt-Seins heraus gesehen, ist das Gefühl der Verbundenheit nicht einfach nur nicht da, es ist so, als hätte es ein solches Gefühl niemals gegeben, besser, die bloße Vorstellung, es könnte ein Gefühl der Verbundenheit, der Einheit überhaupt existieren, ist nicht möglich. Plötzlich bin ich wie im Wahn und habe Energie. Entschlüsse wachsen in mir. Ich suche mein Handy, setze den Akku wieder ein und rufe Monika an. Alle Beileidsbekundungen schmettere ich ab. Ich gebe ihr nur den Auftrag, alle Veranstaltungen abzusagen. Bis auf weiteres, will sie wissen, aber ich sage: <<Nein, das ist endgültig!>>

<<Willst du dir das nicht noch einmal überlegen, du bist doch im Schock.>>, beschwört sie mich, aber ich will davon nichts wissen.

<<Monika, ich bin fertig damit, es war alles eine große Lüge und die ist mit dem Tod von Anna-Sophie geplatzt.>>

Ich bitte sie noch, Britta und den anderen Bescheid zu geben und ich vereinbare ein Treffen nach der Beerdigung, um alles zu klären. Dann lege ich einfach auf. Ich rufe auch Hanna an, lüge ihr vor, dass ich mich wieder gefangen habe und das ich mich später bei ihr melden werde. Unsere Gesellschaft hat das toll gelöst. Wenn in unserem Leben ein Unglücksfall, eine persönliche Katastrophe eintritt, dann haben wir so viel zu tun, dass gar keine Zeit bleibt, um zu fühlen. Und das gilt im Besonderen für den Tod. Ich kenne keine Verwandten von Anna-Sophie, ich habe keine Ahnung, was nun geschehen soll, wer sich um die Formalitäten und die Beerdigung kümmert. Ich weiß nichts. Für einen Moment ist da der Impuls, mich wieder in das verwühlte und verschwitze Bett zu werfen und alles zu vergessen, aber der innere Manager hat längst die Kontrolle übernommen und weist alle Gefühlsduseleien von sich. Er lässt mich die bekannte Nummer der Polizei wählen und auch der bemühten Beamtin lüge ich vor, dass ich mich gefasst habe. Das Lügen  geht von mal zu mal leichter. Auf mein sanftes Drängen hin erzählt sie mir nicht nur, dass es einen Bruder von Anna-Sophie gibt, der sich um alles kümmert, sondern gibt mir sogar dessen Nummer. Und ich Idiot habe es die ganze Zeit mit Wahrheit und Aufrichtigkeit versucht, welche Verschwendung!

Ohne Umschweife rufe ich den mir unbekannten Bruder Jens an. <<Fischer>>, meldet er sich mit belegter Stimme. Schnell informiere ich ihn darüber, dass ich Anna-Sophies letzter Freund war, dass wir uns geliebt haben, und dass ich gerne involviert sein möchte. Wir verabreden uns für den Nachmittag in der Innenstadt. Damit habe ich auch einen Grund, mich zu rasieren und zu waschen. So sehe ich einigermaßen gepflegt aus, als ich mich aus der Wohnung in die Stadt traue. Der Bruder von Anna-Sophie ist vor mir da und ich kann ihn einen Moment lang mustern, bevor er mich sieht. Tatsächlich kann ich Anna-Sophie in ihm sehen und der Schmerz schießt in mir hoch, so dass ich stehenbleiben und mich sammeln muss, bevor ich ihm gegenüber treten kann. Wir begrüßen uns mit Handschlag und tauschen die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus. Nachdem ich ihm die kurze Geschichte von Anna-Sophie und mir erzählt habe, befrage ich ihn nach den Umständen der Beerdigung. Da ihre Eltern nicht mehr leben, kann und muss er alles allein entscheiden und er möchte gern, dass sie in ihrer Heimatstadt und nicht an dem Ort, an dem sie so schrecklich gestorben ist, beerdigt wird. Ich verspreche ihm dorthin zu kommen und schon nach kurzer Zeit verabschieden wir uns voneinander. Er hat viel zu tun und wir haben wenig miteinander zu reden. Danach suche ich Hanna auf. Emil springt sofort an mir hoch und will mit mir spielen und ist zumindest etwas verwundert, warum sein Onkel so ernst ist und nicht auf ihn eingeht. Ich erzähle Hanna, dass ich den Bruder von Anna-Sophie getroffen habe und dass die Beerdigung am Freitag in einer Woche in der Nähe von Dresden stattfinden wird.

<<Roman, wie geht es dir wirklich?>>, will sie wissen und legt ihre Hand auf die meine, ganz die   besorgte Schwester. Ich beruhige sie, dass es mir ganz gut geht, dass ich aber alle meine Veranstaltungen bis auf weiteres abgesagt habe. Sie hat dafür Verständnis. Ich danke ihr und gebe ihr zu verstehen, dass ich jetzt gerne eine Zeitlang allein sein möchte, um das alles zu verarbeiten. Ich gehe in meine verwüstete Wohnung und mache das, was ich schon den ganzen Tag tun wollte, ich lege mich in voller Kleidung in das nicht gemachte Bett und schlafe sofort ein.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 44

April 16, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

44. Kapitel: Angst

Die folgenden Tage sind ein Rückfall für das seelische Befinden von Anna-Sophie, denn wir hören nichts von der Polizei und da der Stalker uns so leicht in dem Café gefunden hat, kann er uns überall aufspüren, so dass sie sich nirgends mehr sicher fühlt und überhaupt nicht mehr allein sein mag, was auch mich und meine Arbeit zu behindern beginnt. Man könnte sagen, dass unser Leben von Angst bestimmt ist. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen fühle ich mich ihr sehr verbunden und stehe diese Phase gerne mit ihr durch. Immer wieder versucht der Stalker auch über das Internet, ihr nachzustellen. Sie bekommt schreckliche Mails und in den Foren und sozialen Netzwerken, in denen sie aktiv ist, verbreitet er Lügen über sie. Anna-Sophie fühlt sich zu Recht verfolgt. Eines Nachmittags ruft die Beamtin von der Polizei bei uns an, denn faktisch wohnt Anna-Sophie jetzt bei mir. Die Polizei hat den Typ aufgegriffen, als er recht auffällig letzte Nacht vor meiner Wohnung lungerte. Er wurde ermahnt und ihm wurde auch eine Haftstrafe angedroht, wenn er sein destruktives Verhalten Anna-Sophie gegenüber nicht aufgeben würde. Ich fühle mich erleichtert und glaube, dass ihm das vielleicht einen Schreck eingejagt hat und er nun aufgibt, aber Anna-Sophie glaubt nicht daran. Jetzt wird er nur noch wütender sein, vermutet sie. Wieder verbringen wir einige Tage, die unter dem Zeichen der Bedrohung stehen. Dann kommt ein Brief von ihm, in dem er Anna-Sophie Gewalt androht, wenn sie mich nicht verlässt und zu ihm zurückkehrt. Mit dem Brief gehe ich wieder zur Polizei und wieder nimmt die Beamtin die Sache sehr ernst und meint, dass der Brief zwar anonym abgefasst sei, trotzdem ausreichen würde, um einzuleiten, dass er inhaftiert werden könnte. Damit gebe ich mich zufrieden. Anna-Sophie sagt, dass sie erst wieder ruhig schlafen kann, wenn der Typ hinter Gittern sitzen würde. Immer, wenn ich im Inneren danach frage, warum uns solche Dinge geschehen, kommt immer wieder die gleiche Antwort: Habe Vertrauen. Und darauf verlasse ich mich auch.

Am Abend findet ein Meeting in Hamburg statt und wie immer in letzter Zeit begleitet Anna-Sophie mich. Ich habe uns ein schönes Hotelzimmer in Hamburg gemietet, damit sie mal auf andere Gedanken kommt. Beim Meeting ist es brechend voll, und die Stimmung ist irgendwie aufgeheizt, viele Menschen haben Fragen, machen sich Sorgen und sind überhaupt uneins mit sich selber. Auch in ihren Beziehungen brodelt es und viele sehen nur noch wenig Sinn in ihrem Leben und für sie sind solche Meetings wie eine Art Strohhalm. Im Anschluss an die Stille spreche ich über die Herausforderungen unserer Zeit, die uns aber auch die einmalige Chance geben, zu erkennen, wer oder was wir in Wirklichkeit sind. So wird es recht spät, bis wir ins Hotel kommen. Anna-Sophie ist völlig begeistert von der Veranstaltung und bringt mir gegenüber zum Ausdruck, dass sie wirklich etwas verstanden hat. In dieser Nacht erleben wir die absoluten Höhen, die zwei Menschen wohl miteinander erleben können und frohgemut kehren wir am Morgen nach Hannover zurück. Ich habe einen Termin mit meinem Steuerberater und Anna-Sophie macht es anscheinend nichts aus, allein in meiner Wohnung zu sein.

<<Ich schließ mich ein, aber vielleicht hole ich dich auch nachher mit dem Rad ab. Irgendwie habe ich nicht mehr so viel Angst vor ihm.>>, sagt sie und küsst mich.

Der Termin beim Steuerberater zieht sich dann etwas hin, aber wir finden gute Lösungen für die offenen Fragen. Anna-Sophie ist aber dann nicht da, um mich abzuholen. Ich denke mir, dass sie dann wohl doch zu Hause geblieben ist. Auf dem Weg dahin kaufe ich etwas ein, bin dann aber doch erstaunt, sie nicht in der Wohnung vorzufinden. Es gibt auch keine Nachricht. Auf ihrem Handy meldet sie sich nicht. Ich schaue im Keller nach und tatsächlich ist das Rad nicht mehr da. Dann haben wir uns wohl verpasst, denke ich und warte auf sie, aber sie kommt nicht. Ich beginne unsere gemeinsamen Freunde anzurufen, aber niemand hat sie gesehen. Nun mache ich mir richtige Sorgen und ich rufe bei unserer Polizeibeamtin an, die ich auch sofort erreiche. Nachdem ich die Sachlage beschrieben habe, macht auch sie sich ihre Gedanken und versichert mir, dass sie der Sache nachgehen und sich wieder bei mir melden wird. Ich soll derweil zu Hause bleiben, damit Anna-Sophie einen Anlaufpunkt hat. Nun beginnen die vielleicht längsten Stunden meines Lebens. Hanna bietet mir an, mit Emil vorbeizukommen, aber ich schlage deren Angebot aus. Ich verbinde mich mit der Quelle, rutsche aber immer wieder in Sorge und Gedanken zurück. Ich schenke mir sogar ein Glas Wein ein, etwas, das ich allein nahezu nie mache. Dann klingelt endlich das Telefon. Schon an der Nummer erkenne ich, dass es die Polizei ist. Unsere Beamtin ist dran. Ich spüre und weiß, bevor sie etwas gesagt hat, dass etwas Schlimmes passiert ist. Es ist ein Gefühl, als wenn alles Blut den Körper für einen Moment verlässt und dann auf einmal wieder zurückströmt.

<<Es tut uns leid Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Bekannte Anna-Sophie Fischer heute bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.>>, so der nüchterne Wortlaut der Beamtin.

Ein Autofahrer hat sie auf dem Rad frontal über den Haufen gefahren. Sie war anscheinend sofort tot, der Fahrer hat Fahrerflucht begangen und wird bereits polizeilich gesucht. Mir ist sofort klar, dass es kein Unfall war, sondern dass er es war, der sie getötet hat. Die Polizistin widerspricht mir kaum, als ich ihr meinen Verdacht mitteile. Dann bin ich allein. Stille.

Eine gute Stunde später ist die Polizistin wieder am Telefon. Obwohl sie es mir eigentlich nicht sagen dürfte, wollte sie dann aber doch mitteilen, dass sie den Typ gefunden haben. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass es der Stalker ist, der Anna-Sophie umgefahren hat. Er selbst ist dann auf der Landstraßen gegen einen Baum gefahren und ist auch tot. Da es keinerlei Bremsspuren gibt, geht die Polizei davon aus, dass es Selbstmord war.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 43

April 15, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

43. Kapitel: Fülle

In der nun folgenden Zeit klappt einfach alles, was ich anpacke. Ich erlebe eine wunderbare Zeit mit Anna-Sophie, meine Meetings sind voll und die Menschen scheinen zu spüren, dass ich – wenn das überhaupt möglich ist – noch erfüllter bin. Anna-Sophie ist oft dabei, hält sich aber dezent im Hintergrund, obwohl manche der Menschen, die schon länger zu mir kommen, ahnen und sehen, was passiert. Wenn ich mit Anna-Sophie zusammen bin, dann gibt es kein Morgen, keine eingebildete Zukunft, kein modelliertes Wir, sondern nur die Gegenwart, das Jetzt. Als ich meinen Termin in Kiel habe, nutzen wir die Zeit und fahren für ein paar Tage nach Dänemark, um uns noch besser kennenzulernen. Für mich ist es einfach schön, mit ihr zusammen zu sein und ich genieße die Zeit. Am Tag laufen wir am Strand entlang, immer neben uns die rastlose Nordsee oder wir nehmen uns einen Strandkorb und lesen oder unterhalten uns. Abends kochen wir etwas und freuen uns aneinander. Es ist eine Zeit der Fülle, des unbeschwerten Seins. Aber in einer Welt der Gegensätze, der Polaritäten, kommt es immer wieder zum Ausgleich und die Dinge verändern sich. In den Tagen nach Dänemark scheint das schöne Leben mit Anna-Sophie so weiterzugehen. So fällt es mir leicht, den Menschen in meinen Meetings Hoffnung und Freude zu vermitteln. Eines Abends kommt Anna-Sophie völlig aufgelöst zu mir. Sie stammelt nur, <<er ist wieder da>>, und es dauert eine ganze Weile, bis ich heraus bekomme, was sie meint. Er ist ein Ex-Freund von ihr, der es nie begriffen und verwunden hat, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein will. Seit langer Zeit verfolgt er sie und sie hat in einer anderen Stadt bereits Anzeige gegen ihn erstattet und ihm war verwehrt worden, sich ihr zu nähern. Trotzdem war sie nach Hannover umgezogen und hatte die Hoffnung gehabt, ihn endgültig losgeworden zu sein, aber jetzt gerade hat sie einen Zettel in ihrem Briefkasten gefunden, auf dem nur steht: „ich habe dich gefunden. Bis bald.“ Nur mühsam kann ich sie beruhigen und sie hört erst auf zu weinen, als sie einschläft.

In den nächsten Tagen wohnt sie bei mir und kann sich kaum beruhigen. Ich betrachte Moment für Moment und spüre ihre Angst, kann aber die Vehemenz ihrer Gefühle nicht wirklich nachvollziehen. Sie ist nun immer bei den Meetings dabei und allmählich fängt sie sich wieder. An einem Nachmittag gehen wir ins Kino und sehen einen französischen Film, der von verrückter Liebe handelt. Danach sitzen wir in der Kneipe nebenan und essen eine Pizza. Anna-Sophie erzählt davon, dass französische Filme für sie immer etwas Be- und Entfremdendes haben und dass ihr Leben ihr im Moment wie ein französischer Film vorkommt. Ich gehe auf die Meta-Ebene und sage ihr, dass das ganze Leben ein Film ist und wir erkennen müssen, dass wir nicht der Film sind, sondern das Bewusstsein, welches den Film erst möglich macht. Sie kann diese Erkenntnis nachvollziehen und zieht dadurch etwas Angst und Beklemmung von ihrer Person ab und wird wieder ruhiger.

Wenn man einen Schock erlebt hat, dann helfen einem gut gemeinte Sprüche wie „die Zeit heilt alle Wunden“ in diesem Moment meistens so gar nicht weiter, aber speziell dieser Ausspruch ist wahr, denn ähnlich wie der Schnee im Winter alles leise zudeckt, so relativiert die Zeit alles Erleben. So ergeht es auch Anna-Sophie. Je mehr Tage vergehen, in denen der Typ sich nicht bei ihr meldet, desto normaler werden ihr Leben, ihr Alltag und dann auch sie selbst wieder. Eines späten Abends erwischen  wir uns nach einer intensiven körperlichen Vereinigung dabei, wie wir sogar darüber lachen können. Am nächsten Morgen habe ich frei und lade sie zum Frühstück in ein sehr beliebtes Café ein, wo es besonders leckere vegetarische Speisen gibt. Wir haben gerade etwas davon gegessen, als sich plötzlich jemand an unseren Tisch setzt. Bevor ich die Person mustern kann, sehe ich die aufgerissenen Augen von Anna-Sophie und ahne, was uns jetzt bevorsteht. Der Typ, der sich mit <<mein Name tut nichts zur Sache>>, vorstellt, wirkt unsauber. Er ist unrasiert und seine Augen haben etwas Unstetes, denn sie können nichts lange fixieren. Ich verbinde mich mit der Quelle und sende ihm liebevolle Energie, dann spreche ich ihn an:

<<Wie können wir Ihnen behilflich sein?>>

<<Ich kann dir gleich mal helfen und nur damit das klar ist, Anna gehört zu mir!>>, blökt er mich an. Ich bin zwar nicht wütend, aber alarmiert, Anna-Sophie ist längst aufgestanden und an den Tresen gegangen, und auch der Typ steht schon auf. Ich stehe mit ihm auf. Er schubst mich grob und nur der Griff an den Stuhl bewahrt mich davor, hinzufallen. Dann stößt er noch eine Warnung aus:

<<Lass sie besser in Ruhe, wir sehen uns wieder.>>

Nachdem er das ausgestoßen hat, geht er. Ich nehme Anna-Sophie in den Arm und tröste sie so gut es geht. Ich schlage vor, direkt zur Polizei zu gehen. Anna-Sophie nickt nur, sie steht offensichtlich unter Schock. Kurz überlege ich, ob ich sie zum Arzt bringe, finde es aber wichtig, dass sie bei der Polizei mit dabei ist. Das nächste Polizeirevier ist nicht weit weg, aber die für solche Angelegenheiten zuständige Beamtin ist nicht da und wir müssen eine Zeitlang warten. Der Polizist gibt uns zu verstehen, dass das in den Bereich Stalking fällt, und da wäre seine Kollegin die Fachfrau, aber wir können natürlich Anzeige wegen Körperverletzung stellen. Ich will erstmal mit seiner Kollegin sprechen und rede sanft auf Anna-Sophie ein. Allmählich beruhigt sie sich und schöpft offensichtlich Hoffnung daraus, dass wir schon auf dem Revier sitzen. Nach gut einer Stunde kommt die Polizistin, die einen netten und kompetenten Eindruck macht, uns gleich in ihr Amtszimmer führt und uns erzählen lässt. Sie macht sich Notizen und horcht auf, als Anna-Sophie die Vorgeschichte und die schon erfolgte Anzeige erwähnt. Die Beamtin erläutert uns, dass solche Aktionen, überhaupt Stalking, sehr stark zunehmen, und dass es, immer mehr Kollegen wie sie gibt, die sich speziell in diesem Gebiet schulen lassen. Wir vereinbaren, erneut Anzeige zu erstatten und dass eine Suchmeldung über ihn rausgeht. Der Stalker wird sich, wenn die Polizei ihn finden sollte, erst einmal vor den Beamten rechtfertigen müssen. Es wird auf jeden Fall eine mündliche Verwarnung geben.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 42

April 12, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

42. Kapitel: Die Wohnung

Die Welt steht nie still, und wenn wir unseren Blick von dem Horizont, auf den er meistens gerichtet ist, erheben und ihn auf den Himmel richten, kann uns klar werden, dass wir auf einem Planeten, im Grunde einem Raumschiff, sitzen, der sich mit hoher Geschwindigkeit um den Stern dieses Systems dreht. Mit ein wenig astronomischem Wissen kann einem klar werden, dass sich in diesem Universum alles bewegt. Dadurch geschieht auch immer wieder etwas Neues. In meinem Fall ist es nun soweit, ich ziehe in meine neue Wohnung. Auch wenn Emil weint und traurig ist, merke ich Hanna doch an, dass sie ganz froh ist, ihren verrückten Bruder wieder los zu werden. Die Wohnung liegt recht zentral, ist noch sehr neu und für meine Zwecke völlig ausreichend. Nach langer Zeit habe ich wieder einen Platz für mich selbst, für mich allein. So bin ich recht ausgefüllt mit meinen Meetings, dem Einrichten der Wohnung und meinen Besuchen bei Hanna und Emil. Eines Abends erfülle ich mein Versprechen und lasse Emil bei mir schlafen. Auch wenn Hanna besorgt erscheint, geht alles gut, wir haben viel Spaß und ich muss Emil versprechen, dass wir das bald wiederholen werden. Zu meiner Verblüffung erscheint Anna-Sophie nicht zu meinem nächsten Treffen in Hannover und dabei wird mir klar, dass ich öfter an sie gedacht habe und mich auch ein wenig darauf gefreut habe, sie wieder zu sehen. In den nächsten Tagen bin ich in Hamburg und Kiel und habe viel zu tun, so dass ich nicht weiter darüber nachdenke.

Aber dann treffe ich sie zufällig auf der Straße. Nicht weit von meiner Wohnung entfernt, als ich beim Einkaufen bin, läuft sie mir fast in die Arme. Diese Begegnung ist so spontan, dass wir uns sogar kurz in den Arm nehmen. Auch sie scheint einkaufen zu wollen, denn sie ist sehr salopp gekleidet, trägt ihre Haare offen und sieht vielleicht gerade deswegen umwerfend aus. Auch die kurze Umarmung löst etwas aus, das ich gar nicht benennen kann. Es entsteht ein Moment, in dem wir beide nicht recht wissen, was wir sagen sollen. Als sie das zweite Mal ansetzt, mir zu sagen, wie sehr sie sich freut, mich zu sehen, und dass sie eigentlich unbedingt auch zum letzten Meeting kommen wollte, lade ich sie spontan zum Kaffee ein. Kurz darauf sitzen wir uns im nächst gelegenen Café gegenüber und sind beide komisch verstockt, was ich mir selber gar nicht erklären kann. Sie trägt ein verwaschenes T-Shirt mit dem Emblem von Deep Purple und ich beobachte mich dabei, wie ich ihre Bewegungen verfolge und mir vorstelle, wie sie ohne dieses T-Shirt wohl aussehen mag. Es ist unübersehbar, dass sie eine gute Figur hat, sportlich und doch weiblich, so wie ich es mag. In diesem Moment ist mir klar, dass auch sie merkt, dass da etwas zwischen uns ist. Sie streicht ihre Haare nach hinten und schaut mich intensiv an.

<<Was denkst du von mir?>>, will sie wissen.

Ich bin seit langer Zeit mal wieder in der Situation, in der ich nicht weiß, ob ich wirklich die Wahrheit sagen will. Der Moment der Stille zieht sich hin und diesmal ist es keine beruhigende Stille. Ich fühle mich nervös und aufgeregt und mir wird klar, wie Begierde den Geist einnimmt.

<<Ich fühle mich von dir angezogen.>>, bringe ich schließlich heraus.

<<Aber…>>

<<Du hast Angst, mein altes Muster auszulösen.>>, unterbricht sie mich.

<<Ja, da hast du dich in einem von mir gestalteten Rahmen geöffnet und erzählt, dass du Angst hast, dass die Menschen dich nur wegen deines Äußeren lieben würden und nun komme ausgerechnet ich und …>>, wieder unterbricht sie mich.

<<Und bei dir ist es etwas anderes.>>, sagt sie, rückt mit ihrem Stuhl an mich heran und küsst mich einfach. Alle Gedanken sind in diesem Moment verschwunden, da ist nur noch Energie, Liebe und Verlangen. Fast im Laufschritt bezahle ich und wir bewegen uns immer wieder anhaltend und uns küssend in meine Wohnung. Mit einem Fußtritt lasse ich die Tür ins Schloss fallen, ziehe sie mit einem Arm an mich heran, greife mit beiden Händen in ihr wunderbares Haar und küsse sie leidenschaftlich. Für einen irritierenden Moment taucht das Bild von Annelore in mir auf, aber ich verdränge es und schiebe mit beiden Händen ihr T-Shirt hoch. In dem folgenden ekstatischen Wirbel verlieren sich Raum und Zeit und zwei Menschen erleben das Gefühl, eins zu sein, wenn auch nur für Momente. Momente, die aber äußerst kostbar sind. Ich freue mich, dass ich eine eigene Wohnung habe, in der ich unkontrolliert Besuch haben kann. So können Anna-Sophie und ich uns ungehemmt unserer Lust hingeben. Auch danach ist es wunderschön, sie da zu haben und wir genießen Momente der ungestörten Intimität. Es ist schön auch mit allen Sinnen das Leben erfahren zu können. Beide stellen wir keine Fragen nach dem Danach und als sie geht, sagt sie nur <<bis bald>>.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 41

April 11, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

41. Kapitel: Anna-Sophie

Das Festival in Berlin ist ein großer Erfolg für mich gewesen und in der Folge kommt es zu immer mehr Anfragen nach einem Meeting mit mir. Tatsächlich hängt das auch mit dem Internet-Fernsehen zusammen, denn viele Menschen bekommen dadurch die Gelegenheit, sich die Meister und Lehrer anzuschauen und können so herausfinden, wer ihnen gefällt. Die beiden Meetings aus Berlin werden auch dort eingestellt und es scheint viele Menschen zu geben, die sich dafür interessieren. Ich freue mich Hanna und Emil wieder zu sehen und in der Folge organisiere ich die weitere Meetings. Immer auch gibt es dabei Veränderungen, denn manche Menschen, die mir helfen, finden andere Dinge interessanter. Meistens finden sich schnell neue Leute, die gerne helfen wollen. Nur Monika ist unermüdlich und eines Tages frage ich sie danach.

<<Roman, ich habe viele Meister und selbsternannte Propheten gesehen, aber du bist meiner Meinung nach total echt und solange das anhält, möchte ich gern, dass möglichst viele Menschen daran partizipieren können. Du weißt, dass ich keine Geldprobleme habe und Zeit genug. Mir macht das Spaß.>>

<<Und wir machen das nur solange, wie wir daran Spaß haben.>>

In Hannover findet weiterhin das regelmäßige Treffen statt, mit dem alles angefangen hat und immer wieder kommen neue Leute, obwohl es einige gibt, die sogar von Anfang an dabei sind. Beim heutigen Treffen ist eine alte Bekannte dabei. Als ich den Raum betrete, fällt mir sofort Anna-Sophie auf. Diese Frau ist eine Versuchung für jeden Mann, sie trägt eine weiße Bluse, ihr schwarzes Haar ist zusammengebunden und sie sieht fantastisch aus. Als sie bemerkt, dass ich sie ansehe, lächelt sie mich schüchtern an. Irgendetwas ist mit ihr passiert, sie wirkt in ihrer Persönlichkeit verändert. Ich fühle mich ein wenig verwirrt, weil sie so einen großen Raum in mir einnimmt. Mit diesem Gedanken gehe ich in die Stille. In der Stille fällt es mir noch leichter mit der Quelle zu verschmelzen. Im Grunde ist es eher ein Ablegen der Trennung und ein nach Hause kommen. Alles ist perfekt so wie es ist, wenn ich in diesem Zustand bin und in Wirklichkeit bin ich, ist jeder, ständig in diesem Zustand. Nur scheint es in der Stille noch dichter zu sein. Wir alle genießen diese Momente des gemeinsamen Sitzens.

Nach der Stille setzen wir uns im Kreis zusammen und jeder kann das äußern, was ihm durch den Kopf geht. Eine Frau fragt mich, ob es mich in irgendeiner Weise berührt, dass sich immer mehr Menschen an mich wenden. Ich nehme diese Frage sehr ernst und spüre in mich hinein, ob es dort Dünkel oder Stolz gibt, aber ich finde nur das Strömen des Gefühls lebendig zu sein. Nachdem eine Frau lang und breit ihre Lebensgeschichte erzählt hat, in der es vor allem um ihre Beziehung zu ihrem Ex-Mann geht, sind alle etwas müde. Leider ist diese Frau keiner Anregung von mir oder den anderen gegenüber offen. Mit unglaublicher Penetranz wiederholt sie ihre Gedanken des Leidens und merkt noch nicht einmal, dass sie sich einen Großteil ihres Leidens  dadurch selbst erzeugt. Dann meldet Anna-Sophie sich.

<<Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst…>>, wendet sie sich direkt an mich.

Ich nicke ihr zu, um ihr einerseits zu signalisieren, dass ich mich erinnere und ihr andererseits  den Mut zu geben, mit ihrer Geschichte fortzufahren. Sie erzählt in der Folge von der schweren Erkrankung ihrer Mutter und dass sie versucht hat, für sie da zu sein und wie sie dadurch an ihre Grenzen gekommen ist.

<<Weißt du…>>, sie wendet sich an den ganzen Kreis, der ihr nun wieder aufmerksam zuhört .

<<Wisst ihr, als ich das erste Mal bei Roman war, ich glaube das war noch bevor er angefangen hat, Satsang zu geben, da war ich eine echte Zicke…>>

Sie macht eine Pause, fast so, als wolle sie einem von uns die Möglichkeit geben, sie zu bestätigen. Aber ich reagiere nicht, schaue sie nur an und sie schluckt einmal, greift sich mit der Hand an den Hals, als wolle sie die nächsten Worte herausdrücken.

<<Versteht mich bitte richtig, die zickige Art war immer eine Art Waffe für mich, um mich zu verteidigen. Wenn man so aussieht wie ich…>>, dabei richtet sie, wohl eher unbewusst, ihren Oberkörper auf und bringt sich damit voll zur Geltung <<dann wollen die Männer immer nur das Eine, sie wollen diese schöne Frau besitzen und du, also ich, weißt dann nie, ob sie auch dich lieben oder nur das tolle Aussehen, diesen Körper.>>

Während sie das sagt, streicht sie mit ihren Händen über ihren Oberkörper, um zu demonstrieren, was sie damit meint. Ich kann nicht anders, als ihre Ausdrucksweise faszinierend zu finden. Sie hat eine Art, das, was sie sagt, mit ihrem Körper auch gleichermaßen auszudrücken. Es ist mir schon klar, dass sie mit dem, was sie sagt, Recht hat. Sie hat eine unglaublich erotische Ausstrahlung.

<<Und die Frauen…>>, so fährt sie fort und schaut dabei die Frauen im Kreis an <<mögen mich natürlich auch nicht, denn zum einen mache ich alle Männer verrückt und zum anderen findet keine der anderen Frauen sich selber noch attraktiv genug. Da ist es schwer, gelassen und freundlich zu sein, denn auch ich möchte wie alle geliebt werden. Also habe ich mir diese zickige Art antrainiert, um mir die Menschen vom Leib zu halten. Und ich hatte ganz vergessen, dass ich das ja eigentlich nicht bin. Bei dem Treffen in der Buchhandlung…>>, und nun sieht sie mich an <<haben ein paar deiner Worte etwas in mir getroffen, dass wir nicht unsere Gedanken sind, sondern etwas anderes. Zu Hause habe ich noch darüber nachgedacht, was dieses Andere wohl sein könnte. Ja, kurz danach ist meine Mutter sehr krank geworden. Jetzt geht es ihr etwas besser, aber so wie früher wird es nie wieder werden. Da habe ich erkannt, dass es wichtigere Dinge gibt als äußere Schönheit und den Wunsch, Anerkennung zu bekommen. Jetzt …>>, sie nickt mir und den anderen zu <<komme ich zum Ende, möchte ich hier bei dir etwas lernen oder von meinem wahren Wesen erfahren.>>

Sie schließt den Mund und lehnt sich etwas zurück. Diese Beichte muss ihr sehr schwer gefallen sein. Ich vergewissere ihr, dass sie bei uns willkommen ist. Viele der Anwesenden nicken mit dem Kopf und als ich den Tisch verlasse und damit dieses Treffen beende, kann ich sehen, dass sich manche der Frauen zu ihr hingesetzt haben, und eine drückt sogar liebevoll ihre Schulter. In der Regel ist es so, dass ich nach den Meetings ganz im Hier und Jetzt bin, fokussiert auf das, was ist. Selten nehme ich etwas mit, aber heute ist es anders. Anna-Sophie hat etwas in mir angeregt und ich ertappe mich dabei, wie ich über sie noch nachdenke, als ich schon auf den Weg nach Hause bin.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 40

April 10, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

40. Kapitel: Berlin

Mit Monika, meinem Fahrer und zwei weiteren Frauen fahre ich im Sommer nach Berlin. Die Stadt brodelt und ist sehr laut. Das Festival findet auf einem Messegelände statt und ist gut organisiert. Dort treffe ich andere Satsang Lehrer, die mir wie im richtigen Leben zum Teil sehr freundlich, aber auch misstrauisch, abweisend und eifersüchtig begegnen. Ich finde es interessant, auch andere Menschen bei dem, was ich tue, zu beobachten und häufig ernte ich erstaunte Blicke, wenn man bemerkt, dass ich selber die eine oder andere Veranstaltung besuche. Das ist etwas, das kaum einer der anderen Lehrer macht. Bei einem älteren Herrn, der selber bei seinem Guru in Indien einige Jahre gelebt hat, fühle ich mich besonders wohl. Nach seinem Satsang sitzen wir eine Zeitlang zusammen und er nötigt mich so lange, bis ich ihm mein Erlebnis am Berg Arunachala erzählt habe. Wir gehen sehr freundschaftlich auseinander. Dann kommt der Nachmittag, an dem ich eins meiner zwei Meetings habe und ich freue mich, dass der Raum sich gut füllt. Auch das Internet-Fernsehen ist da, um mich aufzunehmen. Die Menschen sind sehr freundlich und offen und es macht Spaß, mit ihnen zusammen zu sein. Am Ende kommt ein junger bärtiger und vor allem zorniger Mann und fragt:

<<Wie kannst du dich erdreisten, dich vor uns zu setzen und so zu tun, als wüsstest du etwas, was wir nicht wissen. Denkst du, dass du ein besserer Mensch bist?>>

Ich schaue ihn lange an und wie so oft werden unsere Energien eins und ich erkenne den tiefen Schmerz in ihm. Die göttliche Energie lindert seinen Schmerz. Ich habe auch ein paar Worte für ihn:

<<Du und ich, wir sind nicht verschieden. Ja, dein Körper ist anders als meiner. So trage ich keinen Bart. Auch unsere Geschichte und unsere Herkunft ist eine andere, aber in der Essenz, in unserer wahren Natur sind wir eins und ungetrennt. Ich fühle deinen Schmerz und teile ihn mit dir.>>

Ich spüre, dass er nicht wirklich besänftigt ist, aber er tritt erst einmal zurück, als sich eine junge hübsche Frau meldet und in gebrochenem Deutsch fragt:

<<Hast du auch persönliche Liebesbeziehungen?>>

Ich antworte ihr nicht, denn ein Teil von mir hatte sie von Anfang an gespürt und jetzt erkenne ich sie auch. Zum Erstaunen des Publikums stehe ich auf und gehe zu ihr hin. Wir fallen uns in die Arme und es fühlt sich sehr vertraut an, Annelore wieder zu spüren.

Irgendwie bringe ich die Veranstaltung zu Ende und dann setzen wir uns zusammen, um zu reden. Sie erzählt mir, dass sie erst seit kurzem aus Indien zurück ist und zur Zeit bei einem Freund in Berlin wohnt, und dort hat sie das Plakat des Festivals gesehen und hat dann dazu im Internet meinen Namen gefunden. Sie will wissen, ob ich daran glaube, was ich mache. Ich berichte ihr von meinen Erlebnissen am Berg Arunachala und wie sich seitdem alles wie von allein entwickelt hat. Die alte Magie ist sofort wieder zwischen uns da, aber in mir ist keinerlei Impuls, irgendetwas zu fixieren oder die Vergangenheit neu heraufzubeschwören. Ungefragt berichtet Annelore, dass ihr deutscher Freund in Berlin nicht ihr Liebhaber ist, obwohl dieser das wohl wollen würde. Das kann ich gut nachvollziehen, denn sie ist eine Augenweide und ihr französischer Charme, der sich in Deutschland besonders abhebt, trägt dazu bei, dass man sich leicht in sie verlieben kann. Immer wieder werden wir am Teestand, wo wir uns hingesetzt haben, von Leuten gestört, die bei meinem Meeting waren und mit mir in Kontakt treten wollen.

<<Da hast du einen ganz schönen Weg vom Aushilfs-Buchhändler zum Satsang Lehrer zurückgelegt.>>, raunzt sie mir zu.

<<Ja, kann ich manchmal selber kaum verstehen.>>, sage ich ihr. Wir verabreden uns für den Abend zum Essengehen, sie gibt mir Küsschen auf beide Wangen und ist fort. Ich beobachte, wie ihr Weggehen eine emotionale Lücke reißt, aber das ruft keine negativen Gefühle in mir hervor,   dennoch bemerke ich es. Ich erkläre Monika und meinen Helfern, dass ich Annelore getroffen habe, die Frau mit der ich in Indien war, und dass ich am Abend mit ihr essen gehen werde. Ich bemerke, dass die Leute enttäuscht sind, denn sie waren davon ausgegangen, dass wir alle zusammen etwas unternehmen würden, aber ich vertröste sie auf das gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen. Kurz darauf begebe ich mich ins Hotel, mache mich etwas frisch und gehe ins Internet. Es gibt sogar schon erste Reaktionen auf mein Meeting am Nachmittag. Die meisten sind sehr freundlich und positiv gehalten. Kurz darauf muss ich los. Einen Großteil des Weges zum Restaurant gehe ich zu Fuß, was an diesem milden Sommerabend in Berlin eine reine Freude ist. Sei es, weil es so ein schöner Abend ist oder liegt es an meiner inneren Gestimmtheit, die Menschen kommen mir freundlich vor, viele lächeln, freuen sich und sind gut drauf, was man auch nicht jeden Tag in einer solchen Großstadt wie Berlin erlebt. Annelore hat ein gutes asiatisches Restaurant ausgesucht und ich bin als erster da und gönne mir ein Bier und lebe den Moment der Stille zwischen dem Gang hierher und dem Auftauchen von Annelore. Ich bin mit der Quelle verbunden und fühle mich sehr wohl. Ich habe mich so hingesetzt, dass ich sehen kann, wenn jemand hineinkommt und so erlebe ich den Auftritt von Annelore mit. Sie trägt ein schwarzes wunderschönes Kleid, ihre Haare trägt sie offen, und mit einem Lächeln kommt sie an meinen Tisch. Wir umarmen uns und als wir uns auf die Wangen küssen, so wie es in Frankreich üblich ist, dreht sie den Kopf, so dass sich beim Kuss unsere Lippen treffen. Dabei lacht sie kurz auf. Mir wird schon jetzt ganz heiß dabei, aber ich genieße den Moment und mache mir keine Gedanken. Beim Warten auf das Essen unterhalten wir uns und ihr raffiniert geschnittenes Kleid gibt mir interessante Einblicke. Es ist lange her, dass ich mit einer Frau intim war, und als ich es mir erlaube, daran zurückzudenken, ist es tatsächlich Annelore, mit der es das letzte Mal passiert ist. Diesen Gedanken teile ich ihr mit und sie freut sich, aber ich bemerke auch, dass es in ihr arbeitet und es ist für mich offensichtlich, dass ihr bewusst ist, dass es bei ihr nicht so ist. Ich frage sie, was sie in Zukunft vor hat. Sie will noch etwas in Berlin bleiben und dann zurück nach Frankreich, ihr Leben wieder aufnehmen, es sei denn sie findet etwas, was sie hier hält. Dabei schaut sie mich an, lächelt und lässt scheinbar offen, wie sie das meint. Offensichtlich flirtet sie mit mir und ich habe nichts dagegen. Nach dem Essen schlendern wir durch die Berliner Innenstadt. In einem netten Lokal kehren wir ein und trinken eine Flasche Wein zusammen. Während ich das Gefühl habe, völlig nüchtern zu bleiben, wird Annelore immer lustiger und das heißt in ihrem Fall auch immer charmanter. Sie sucht immer wieder den Körperkontakt und es ist nur folgerichtig, dass wir uns küssen. Welch Überschwang an Energie, welche Süße im Zusammenkommen der Körper, welche Ekstase im Schweigen des Verstandes. Natürlich landen wir kurz darauf in meinem Hotel im Bett und es ist wunderschön.

Am nächsten Morgen ist es nicht leicht für mich, Annelore und mein Bett zu verlassen, aber ich will zum gemeinsamen Frühstück mit meinen Leuten. Monika und die beiden anderen Frauen warten schon auf mich, mein Fahrer ist nicht dabei. Alle werten die gestrige Veranstaltung als Erfolg und heute Nachmittag bin ich wieder dran. Es fällt keine anzügliche oder abwertende Bemerkung wegen meines Wegbleibens letzte Nacht. Nach dem Frühstück finde ich Annelore nicht mehr vor, dafür aber einen Zettel mit einer Notiz, dass wir uns noch sehen werden.

Am Nachmittag steht das zweite Meeting an. Auch diesmal kommen sehr viel mehr Leute, als wir erwartet haben, denn es gibt parallel auch andere interessante Veranstaltungen. Wie immer beginne ich das Meeting mit einer Phase der Stille, danach erzähle ich vom Leben aus dem Herzen.

<<Wir können aus dem Herzen leben. Wie es Castaneda seinen „Guru“ Don Juan sagen lässt, ist nur ein Weg mit Herz ein guter Weg. Wir alle haben ein Gefühl dafür. Es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, was unser Herz uns sagen will, es ist nur so, dass wir auch gern anderen Stimmen in uns folgen. Da gibt es die Stimme, die immer nur auf unseren vermeintlichen Vorteil aus ist. Diese Stimme, dieser Anteil in uns, rechnet ständig ab. Wenn ich das tue, was habe ich dann davon? Wenn ich das lasse, welchen Vorteil bringt mir das. Früher als Kinder, wenn wir zu einem Geburtstag eingeladen waren, gab es oft eine innere Gleichung, die lautete, ich muss auf dem Geburtstag das essen und an Preisen bekommen, was ich für mein Geschenk ausgegeben habe. Anstatt uns zu freuen, dass wir eingeladen sind und dem anderen eine Freude machen, rechnen wir hier ab. Wenn wir abrechnen, dann trennen wir uns von unserer inneren Großzügigkeit, von unserer inneren Weite, von unserem Herzen. Diese Trennung kann tatsächlich als der Sündenfall angesehen werden. Der in der Bibel geschilderte Sündenfall, indem Eva Adam den Apfel gibt, dessen Verzehr ihm die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ermöglicht und letztlich zur Vertreibung aus dem Paradies führt, dieser Sündenfall ist kein geschichtliches Ereignis, er findet hier und jetzt statt. Er findet in jedem von uns statt, wenn wir uns von der Qualität unseres Herzens trennen und den anderen Stimmen folgen. Da gibt es keinen bösen Geist, der uns aus dem Paradies, aus der Einheit schmeißt, das sind wir immer selber. Wir selber verursachen es, dass wir der Einheit nicht mehr gewahr sind. Es geht nicht darum, dass wir uns wie in einem Mantra sagen, ich muss aus dem Herzen leben oder ich muss im Jetzt sein. Es ist so, dass wir immer aus dem Herzen leben und wir sind im Jetzt, aber wenn wir diesen Tatbestand zum Dogma erheben, dann sorgt genau das dafür, dass wir uns trennen, dass wir das Paradies verlassen. Es ist immer hier, immer jetzt, für jeden jederzeit erreichbar, weil wir alle das sind!>>

Mit diesen starken Worten beende ich meine kurze Rede, die aus mir herausfließt, die ich nicht konstruiere, sondern die genauso da ist, wie das, auf das ich verweise. Irgendwie scheine ich die Menschen mit den Worten oder mit der Stille zuvor erreicht zu haben, denn es dauert eine Zeitlang, bis die ersten Fragen kommen, aber sie kommen. Fast eine Stunde lang trete ich in den Dialog mit den Menschen, die das Bedürfnis danach haben, dann müssen wir den Raum räumen, denn die nächste Veranstaltung beginnt in Kürze. Annelore ist nicht dabei. Macht mich das traurig, nein, ich registriere es. Wir wollen noch an diesem Abend zurück nach Hannover fahren und auch unser Fahrer ist wieder aufgetaucht. Im Hotel wird mir eine Nachricht von Annelore ausgehändigt.

<<Ich liebe dich. Konnte nicht kommen, Melde mich bei dir in Hannover.>>

So ist es dann wohl.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 39

April 9, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

39. Kapitel: Satsang

Die folgenden Wochen und Monate werden sehr interessant, denn ich beginne tatsächlich Satsang zu geben. Aus Respekt nenne ich es nicht Satsang, sondern Meeting. Und so definiere ich es auch. Menschen auf der Suche treffen einen anderen Menschen und tauschen sich aus. Es beginnt mit einer wöchentlichen Veranstaltung bei Monika. Schon beim ersten Mal sind fast zwanzig Leute da. Ich beginne den Abend mit einer Phase der Stille und im Anschluss können Fragen gestellt werden, denen ich dann gemeinsam mit den Menschen nachgehe. Häufig sage ich auch, dass ich es selber keine Antwort habe, was wiederum vielen imponiert. Andere, die als Lehrer auftreten, geben sich den Anschein, alles zu wissen, und jede Frage beantworten zu können. Schon beim dritten Treffen bekomme ich eine Anfrage aus Hamburg und so bin ich bald zwei Tage in der Woche in Hamburg und den Rest in Hannover. Hanna findet die ganze Sache sehr merkwürdig, freut sich aber, dass nun etwas Geld hereinkommt. Ich nehme nur Spenden, aber fast jeder, der kommt, gibt auch etwas. Hanna kann es nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die ihren jüngeren Bruder für so weise halten, dass sie sich ihm zu Füßen setzen. Oft haben wir abends Gespräche darüber und immer wieder erkläre ich ihr, dass nicht ich es bin, der die Fragen beantwortet, sondern dass die Antworten aus mir heraus kommen. Aber damit kann sie noch weniger anfangen. Neben Monika und Britta gibt es bald zwei, drei andere Leute, die mir helfen wollen. Oft habe ich mich in der Vergangenheit gefragt, wie diese Organisationen entstanden sind, die zu einem reibungslosen Ablauf des Satsangs notwendig sind. Jetzt erkenne ich, dass auch das von ganz allein entsteht. Der arbeitslose Mann einer Frau, die zu fast allen Veranstaltungen mit mir kommt, fährt mich für kleines Geld nach Hamburg und zurück. Auch Monika muss ich regelrecht Geld aufzwingen für ihre Mühen. Eines Tages kommen mehr Menschen zu ihr, als in ihr Wohnzimmer passen und in der Folge organisieren wir einen Raum in einer Schule, den wir günstig nutzen können. Eine weitere Frau arbeitet als Graphikerin und erstellt mir Flyer und Visitenkarten, ein Freund von Britta baut mir eine Webseite. Da ich persönlich wenig brauche, kann ich das eingenommene Geld unter den Leuten, die mir helfen, wieder verteilen. Immer wieder gibt es Menschen, die mich während der Meetings angreifen,  indem sie mich herausfordern. Fast immer fällt es mir leicht, freundlich zu bleiben und gemeinsam zu klären, was sie so wütend und aggressiv macht. Mit den Wochen fällt es mir immer leichter, die Meetings zu machen, weil es mir Spaß macht, mit den Menschen zusammen zu kommen. Eines Tages bekomme ich eine Anfrage aus Kiel und meine Helfer und ich verbringen ein erweitertes Wochenende an der Ostsee, so wie früher. Dabei treffe ich auch viele alte Freunde wieder, die neugierig und skeptisch sind, als sie hören, was ich mache. Ihre Zweifel berühren mich nicht wirklich. Wenn ich jemanden treffe, komme ich mit ihm oder ihr in diesem Moment zusammen und dann geschieht das, was eben gerade angesagt ist. Kurz nach diesem Wochenende in Kiel erreicht mich eine Anfrage aus Berlin von einem großen Festival, das dort veranstaltet wird. Viele Satsang Lehrer und spirituelle Meister werden dort zu Gast sein und die Veranstalter fragen auch mich, ob ich dabei sein möchte. Inzwischen sehe ich mich in Hannover nach einer eigenen Wohnung um, obwohl Emil immer anfängt zu weinen, wenn er hört, dass ich wegziehen werde. Ich kann ihn damit beruhigen, dass er mich dann immer besuchen kann und auch mal bei mir übernachten darf.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 38

April 8, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

38. Kapitel: Der Gesprächskreis

Am Freitag Abend gehe ich eine halbe Stunde früher zum Gesprächskreis, um mir die Buchhandlung in Ruhe anzusehen. Sie ist gemütlich, klein und überschaubar, Britta hat aber doch etliche gute Bücher in ihren Regalen. Ich trete vor die Abteilung mit den spirituellen Meistern und ich finde sogar das Buch von Ramana Maharshi. In dem Moment kommt Britta zu mir, die vorher noch mit einer Kundin gesprochen hat.

<<Das Buch von dem Ramana habe ich auch angefangen, aber nicht wirklich verstanden.>>, gibt sie zu und bevor ich etwas dazu sagen kann, klingelt das Telefon und mit einem Schulterzucken geht sie zum Kassentresen und hebt ab. Kurz darauf schließt sie den Laden und wir haben Gelegenheit, uns zu unterhalten. Ich erkläre ihr, dass es für unseren Verstand gar nicht möglich ist, die Gespräche mit Ramana Maharshi zu verstehen, weil er ja gerade auf etwas hinweist, das jenseits des Verstandes ist. Britta ist begeistert und möchte, dass ich genau solche Dinge zum Gesprächskreis beisteuere. Dann verschwindet sie im hinteren Teil des Ladens, um Tee zu kochen. Ich helfe ihr, die Stühle zu holen und aufzustellen. Nach und nach trudeln die ersten Leute ein, die meisten scheinen sich schon länger zu kennen, denn sofort beginnen erste kleine Kommunikationen, die den Raum mit einer gewissen betriebsamen mentalen Aktivität füllen. Letztlich sind es nachher zwölf Teilnehmer, und außer mir gibt es nur einen Mann, der allerdings etwas unglücklich wirkt und ich vermute, dass seine Begleiterin ihn mitgebracht hat. Wir setzen uns in einen Kreis, die meisten haben sich einen Becher voller Kräutertee genommen. Britta eröffnet die Runde, indem sie darauf verweist, dass dieser Kreis keiner speziellen Religion oder Weltanschauung verpflichtet ist und jeder sich frei fühlen soll, beizutragen, was sie oder ihn beschäftigt. Dann stellt sie mich vor, als Bruder einer Freundin, der trotz seiner Jugend eine ihrer Meinung nach erstaunliche spirituelle Reife mit sich bringt und bittet dann die anderen, sich auch kurz vorzustellen. Nachdem Britta mich mehr oder weniger in den Mittelpunkt gestellt hat, schauen die meisten mich an, während sie sich vorstellen. Ich schaue freundlich zurück und höre mir an, mit welchen Vorstellungen und Bedürfnissen die Menschen sich in einen solchen Kreis begeben. Eine Frau zieht meine Aufmerksamkeit besonders auf sich. Sie ist die Begleiterin des anderen Mannes, scheint noch recht jung zu sein und ist ausnehmend hübsch. Ihre offenkundige Attraktivität bringt scheinbar eine gewisse Aggressivität mit sich. Jeder Mensch hat einen Sinn für Ästhetik in sich, auch wenn dieser bei vielen verkümmert erscheint. Wir finden bestimmte Dinge, Proportionen schön oder ansprechend und diese Dinge haben eine gewisse Anziehung auf uns. Wenn Menschen attraktiv sind, finden wir diese grundsätzlich anziehend und wenn dieser Mensch dazu noch unser inneres Suchbild aktiviert, ist es um uns geschehen. Wie oft habe ich mit schönen Menschen gesprochen, die Angst haben, nur wegen ihrer Attraktivität geliebt zu werden und die gleichermaßen Angst haben, dass dieses Geliebt werden dann aufhört, wenn ihre Schönheit vergeht. Ähnlich ergeht es auch oft Menschen, die vermögend oder reich sind. Auch diese sind sich nie sicher, ob sie oder ihr Geld geliebt werden. Im Gegensatz zum Geld ist es bei Schönheit aber so, dass es früher oder später offensichtlich wird, wenn eine äußere Schönheit nicht mit einem dementsprechenden inneren Pendant einhergeht, auch wenn das wieder nur von den Menschen bemerkt wird, die einen Sinn dafür haben. Jedenfalls ist mir sofort klar, dass Anna-Sophie genau diese Problematik in sich trägt. Vielleicht ist ihr Interesse für Spiritualität nur ein Ausdruck dafür, dass sie nicht nur Hülle ist, sondern auch innere Werte hat. Auch ihre Kleiderwahl unterstreicht dieses Thema, denn sie ist zwar sehr gut angezogen, auch so, dass es ihre Attraktivität unterstreicht, aber andererseits nicht aufreizend oder zu sexy wirkt. Ihr Begleiter scheint nur Staffage zu sein, denn allein wollte sie wohl nicht kommen. Natürlich sucht sie trotzdem oder auch gerade deswegen die Bestätigung durch den einzigen anderen männlichen Teilnehmer, durch mich. Die anderen durchweg älteren Frauen zeigen auch gleich das typische Abwehrverhalten, wenn eine Frau im Raum ist, die durch ihre Erscheinung die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zieht. All diese Dinge ziehen in Bruchteilen von Sekunden durch mein Gehirn. Es ist nicht, dass ich das bewusst analysiere, es passiert von ganz allein und so kenne ich Anna-Sophie schon, bevor sie das Wort an mich richtet. Ihre Aggressivität zeigt sich dann auch gleich in ihrer Ansprache an mich, obwohl sie sich sofort bemüht, diese wieder herauszunehmen.

<<Worin besteht denn deine spirituelle Reife?>>, will sie wissen und funkelt mich an. Sie hat erstaunliche grüne Augen und am liebsten würde ich ihr sagen, dass alles gut ist, es antwortet dann aber doch anders aus mir:

<<Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen dir und mir, oder zwischen euch und mir. Gut, ich war in Indien und habe dort bestimmte Erfahrungen gemacht, aber deswegen bin ich nicht reifer oder weiter als ihr es seid.>>, sage ich und schaue einmal im Kreis herum, um am Ende Anna-Sophie tief in die Augen zu schauen. Erstaunlicherweise hält sie dem Blick lange stand, schiebt aber eine weitere Frage hinterher:

<<Was für tolle Erfahrungen hast du denn in Indien gemacht?>>

Ich wende mich an alle Menschen und frage, ob das von allgemeinem Interesse ist, und als die meisten es bejahen, erzähle ich von meiner inneren Suche und dem Gefühl, anders als die anderen zu sein, von meiner Bekanntschaft mit Annelore, einer verwandten Seele und unserem Wunsch in das Heimatland der Spiritualität, Indien, zu fahren, um herauszufinden, wer wir wirklich sind. Im Folgenden beschränke ich mich dann auf meine eigenen Erfahrungen und bin, während ich erzähle, selber ganz verblüfft, dass ich ausgerechnet in diesem Kreis so viel von mir und meinen Erfahrungen berichte. Mir wird klar, dass es nach meiner Wiederkehr nach Deutschland das erste Mal ist, dass ich so ausführlich davon erzähle. Ich fahre fort, indem ich von meinem Besuch im Ashram und vom Swami erzähle und andeute, was dort und später am Berg Arunachala mit mir passiert ist. Wie immer können Worte nur unzulänglich beschreiben, was wirklich ist, aber irgendwas scheint trotzdem bei den Menschen anzukommen, denn als ich aufhöre zu sprechen und freundlich in die Runde blicke, sind alle still und scheinen zum Teil in sich versunken zu sein. Selbst Britta und Anna-Sophie sagen nichts. Eine Frau zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie sagt:

<<Ich bin das erste Mal in diesem Kreis und ich war auch schon mehrfach in Indien, auch in Tiruvannamalai am heiligen Berg und kann das bestätigen, was du sagst. Und trotzdem ist es anders, denn ich bin weiterhin unglücklich und mein Verstand steht nicht still.>>

<<Da kannst du gar nichts machen, außer es zu akzeptieren und zu verstehen, dass du nicht dein Verstand bist. Schau, auch der Regen hört nicht auf, nur weil uns das vielleicht gerade nicht passt.>>

Diese Worte kommen aus mir heraus, und ich fühle mich eins mit ihr, kann ihr Anliegen so gut verstehen und sie ist nur einen Fingerbreit davon entfernt, selber zu verstehen. Monika hat dann wohl das Eis gebrochen, denn nun kommt richtig Energie in den Kreis und es entsteht ein sehr interessantes Gespräch darum, warum es uns so schwer fällt, einfach zu sein. Ohne mein aktives Zutun wird das Wort immer wieder an mich gerichtet und ich antworte, ohne darüber nachzudenken und es passiert etwas mit den Menschen. Es scheint, als ob die Qualität des Seins sich über mich auch in ihnen deutlicher zu zeigen beginnt. Wenn jemand noch nie einen Apfel gegessen hat, dann kann er viele Bücher darüber lesen, wie ein Apfel wohl schmeckt, er kann viele Menschen befragen, die schon einmal einen Apfel gegessen haben, aber wirklich wissen, wie der Apfel schmeckt, wird er erst, wenn er selber einen gegessen hat. Es scheint, als wenn durch mich – und das ist nichts anderes als Gnade und hat mit mir als Person so gar nichts zu tun – dieser Geschmack des Apfels erfahrbar wird.

Am Ende des Abends kommen alle noch einmal zu mir, um sich zu bedanken, dass ich meine Erfahrungen mit ihnen geteilt habe. Auch Anna-Sophie ist dabei.

<<Es war nett, dich kennengelernt zu haben.>>, sagt sie und lächelt sogar ein wenig. Ich spüre deutlich, dass sie ein wenig mit mir flirtet, um herauszubekommen, ob auch ein „heiliger“ Mann wie ich auf sie reagiert. Auch ich lächele sie an:

<<Geht mir genauso, wir werden uns wiedersehen.>>

Das sage ich ohne nachzudenken und ich habe keine Idee, woher ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden, aber ich weiß, dass es so sein wird. Sie scheint daraufhin verunsichert, geht dann aber. Zum Schluss sind nur noch Britta und Monika da und fragen mich, ob sie mich noch auf einen Wein einladen dürfen. Ich sage ja. Besonders Monika ist sehr beeindruckt und immer wieder sucht ihr Blick den meinen. Sie ist der Meinung, dass dieser Abend kein Einzelfall bleiben sollte, sondern dass ich anfangen sollte, Satsang zu geben. Als sie diesen Vorschlag so offen ausspricht, möchte der alte Persönlichkeitsanteil von mir sofort einwenden, dass ich das nicht kann, zu jung bin, nicht erfahren genug, selber auch nicht mehr weiß als andere, aber es ist offensichtlich, dass ich nicht dieser Anteil bin. Das, was ich bin, sagt innerlich sofort ja, denn ich weiß, dass der Weg genau dort hinführen wird, ob mein eingebildetes Ego das nun will, gut heißt oder nicht. In diesem Sinn gibt es tatsächlich keinen freien Willen, denn die Dinge geschehen, wie sie nun einmal geschehen. Das kann man sehr gut an dieser Wendung sehen. Nach außen hin äußere ich mich etwas vorsichtiger und frage Monika, wie sie sich das konkret vorstellt. Sie hat gleich klare Ideen.

<<Zuerst machen wir das bei mir, ich habe ein großes Wohnzimmer, kenne durch meine Arbeit viele an diesen Dingen interessierte Leute und organisiere das für dich.>>, meint sie und holt auch Britta mit ins Boot, die in ihrem Laden dafür werben wird. Es kann dann also beginnen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 37

April 5, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

37. Kapitel: Britta

Britta hat ein sehr nettes Café für unser Treffen ausgesucht. Es war mir bis dahin unbekannt. Ich habe mich während des Tages auf das Treffen gefreut, habe aber keine besonderen Erwartungen. Ich bin als erster da und bestelle mir einen Milchkaffee. Kaum ist dieser gekommen, betritt auch Britta den Laden. Sie freut sich aufrichtig mich zu sehen und wirkt ein wenig nervös. Und tatsächlich beginnt sie unser Gespräch mit genau diesen Worten.

<<Ich bin ein wenig nervös, weil ich nicht möchte, dass du mich falsch verstehst.>>, sagt sie, macht an dieser Stelle eine Pause und schaut mich an. Ich frage mich, ob ich in einem Quiz bin und ihren Satz für sie beenden muss. Aber das kommt gar nicht in Frage, stattdessen schaue ich sie offen an und warte, was jetzt passiert.

<<Also, das soll jetzt kein Date oder so sein.>>, fährt sie fort und jetzt erlöse ich sie, indem ich ihr versichere, dass ich das auch nicht denken würde. Aber so ganz kann sie es immer noch nicht lassen.

<<Ich bin ja auch nicht in deinem Alter.>>, fügt sie noch an.

Nun nehme ich das Heft in die Hand und sage ihr, dass wir uns einfach nur so treffen, weil wir vielleicht ähnliche Interessen haben und erwähne, dass ich jetzt weiß, dass sie einen esoterischen Buchladen führt. Britta scheint sehr empfindlich zu sein, denn bei dem Wort esoterisch verzieht sie die Mundwinkel.

<<Also esoterisch würde ich ihn nicht nennen, ich ziehe heute spirituell vor.>>, erklärt sie mir.

<<Das ist doch nur das Etikett, wichtig ist doch mehr, was du inhaltlich damit verbindest.>>, sage ich und habe anscheinend einen besonderen Nerv in ihr getroffen, denn von da an ist sie offener und berichtet mir unaufgefordert von ihrem Leben und dass sie nun seit fast 20 Jahren auf der spirituellen Suche sei, aber – und da beantwortet sie wieder eine Frage von mir, die ich aber gar nicht gestellt habe – <<ich war noch nie in Indien. Zumindest nicht in diesem Leben>>, fügt sie verschmitzt hinzu und schaut mich erwartungsvoll an. Ich schaue erwartungslos zurück. Es entsteht eine Pause im Gespräch, die ich als sehr angenehm empfinde, denn so, als würde die ganze Welt in Form dieses Cafés mit uns mit hören, schweigen plötzlich alle. Es ist so, als würde die Welt für einen Moment innehalten und das allem zugrundeliegende Selbst offenbaren. Aber so köstlich dieser Moment auch ist, so schnell ist er auch wieder vorbei und Britta schaut mich mit offenen Mund an und fragt:

<<Was war das denn?>>

<<Die Welt hat für einen Moment angehalten. Kannst du bei Rudolf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse von höheren Welten“ nachlesen.>>, doziere ich.

<<Wer bist du?>>, fragt sie mich daraufhin. Und ich kann nicht anders und sage:

<<Wer bin ich? muss es heißen, dann kommst du der Sache näher.>>

Britta ist jetzt voll da, sie beugt sich über den kleinen Tisch, der uns voneinander trennt, und mustert mich. Sie vermutet ein Geheimnis in mir, aber da ist nichts.

<<Was hast du in Indien gefunden?>>, will sie es jetzt ganz genau wissen. Ich gebe ihr das, wonach sie verlangt, aber sie kann es nicht erkennen, obwohl ich es ganz deutlich zeige. Letztlich ist es für jeden offensichtlich, der es wahrnehmen kann und scheinbar verborgen für denjenigen, der es übersieht.

Ich ermuntere sie von ihren spirituellen Aktivitäten zu berichten und erfahre, dass sie Yoga macht, viele Bücher liest, zu Vorträgen geht und einen spirituellen Gesprächskreis in ihrem Laden veranstaltet. Manchmal lädt sie bekannte oder weniger bekannte Lehrer aus der spirituellen Szene dazu ein. Ich muss kein Prophet sein, um zu erkennen, was als nächstes passieren wird. Tatsächlich lädt sie mich zu ihrem nächsten Treffen ein. Ohne darüber nachzudenken, sage ich zu. Danach verflacht unser Gespräch ein wenig. Ich frage sie, ob sie Rahula kennt und ob dieser schon einmal in Hannover war. Der Name sagt ihr nichts, aber sie merkt auf und ich weiß, dass sie ihn nachher googeln wird. Auf ihre Frage, ob ich einen Guru in Indien habe, antworte ich ihr wahrheitsgemäß und erzähle ein wenig vom Swami, beteuere aber auch, dass man nicht nach Indien fahren muss, sondern dass es auch alles hier in Hannover geben würde.

<<So wie dieser Rahula?>>, will sie wissen und damit ist klar, dass unser Treffen für heute zu Ende geht. Als hätte sie es gespürt, schaut Britta etwas hektisch auf die Uhr, entschuldigt sich mehrfach bei mir, sie müsse nun los, es sei sehr, sehr interessant gewesen und sie freue sich auf mich am Freitag Abend zum spirituellen Gesprächskreis. Ich freue mich auch, einfach so ohne Grund und für einen Moment vergisst sie ihre Zeitnot und freut sich mit mir. Die gemeinsame Freude gehört nach den Worten des Buddha zu den vier heiligen Verweilzuständen und gilt als äußerst förderlich. Aber dann schaltet sich ihr kontrollierendes Ich wieder ein und sie wundert sich, warum sie sich so freut, obwohl es dafür doch keinen Grund gibt. Sie umarmt mich und weg ist sie. Ich lächele ihr hinterher und freue mich weiter, freue mich wieder oder freue mich neu. Das ist schön, denn in der Freude ist alles immer neu und frisch.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 36

April 4, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

36. Kapitel: Kontakte

In den nächsten Tagen erhole ich mich von der Reise, spiele mit Emil, helfe Hanna beim Haushalt und überlege sporadisch, wie ich Geld verdienen kann. Ich schaue mir mehrere Buchhandlungen in Hannover an, habe aber nie den klaren Impuls, dort vorzusprechen. Eines Nachmittags überrasche ich mich selber dabei, wie ich vor einem Altersheim stehe. Ich gehe dort hinein und fast sofort erlebe ich den typischen Geruch, den man nur dann kennt, wenn man schon einmal dort gearbeitet hat oder wenn man dort wohnt. Auch gibt es so eine ganz spezielle Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen kann, wenn man sensibel dafür ist. Geruch und Ausstrahlung sorgen dafür, dass ich sofort wieder hinausgehe. Ich bin so vogelfrei, wie man es nur sein kann. Ich habe keine Wohnung, keine Arbeit, kaum noch Geld und fast keine Sachen. Als mir dies mal wieder klar wird, muss ich  mitten auf der Straße lachen, so dass sich einige Leute umdrehen und sich wundern, dass es jemanden gibt, der an einem Donnerstag Nachmittag Grund zum Lachen hat. Sorgen und miese Gedanken stehen wohl hoch im Kurs, aber Heiterkeit und gute Laune sind nicht angesagt. Mein Handy klingelt. Es ist Hanna, ich möge noch ein paar Flaschen Wein mitbringen, denn sie erwartet Gäste. Alle paar Wochen trifft sie sich mit Freunden, und diesmal ist sie die Gastgeberin. Als ich mit dem Wein zur Tür reinkomme, gerate ich demnach auch in große Vorbereitungshektik. Ich versuche, Hanna zu helfen, aber das scheint sie nur nervös zu machen, also kümmere ich mich um Emil und halte ihn aus der Schusslinie heraus. Von Tag zu Tag verstehen wir uns besser. In gewisser Weise fühle ich mich auch wie ein Kind, denn genauso wie Emil lebe ich im Jetzt. Aber im Gegensatz zu den diversen Ratgebern, die den Buchmarkt überschwemmen, muss ich mir das nicht sagen, dass ich im Jetzt leben soll, denn das ist eine Grundtatsache des Lebens. Der Fisch im Meer muss sich ja auch nicht sagen, dass er im Wasser ist. Für Emil ist das selbstverständlich, alle Freuden und alle unangenehmen Dinge finden immer im Jetzt statt. Jetzt ist ihm langweilig, jetzt findet er es lustig, jetzt will er eine Geschichte hören und jetzt will er die Geschichte nicht mehr hören, weil er mich jetzt lieber kitzeln will. So haben wir unseren Spaß und ich komme gar nicht auf die Idee, meine Zeit anders verbringen zu wollen. Das ständige innere Abwägen, was nun wohl am sinnvollsten wäre oder womit ich jetzt den größten Genuss haben würde, findet nicht statt. Ich fühle mich nicht als besonderer Mensch oder gesegnet, es ist einfach so, und wenn ich nicht auch mit Erwachsenen wie mit Hanna zu tun hätte, würde mir das gar nicht weiter auffallen. Ich bringe Emil zu Bett, Hanna kommt nur kurz dazu. Dann setze ich mich ans Fenster und schaue auf die Straße hinaus. Es hat wieder einmal geregnet und der Asphalt glänzt und es gibt wunderschöne Lichteffekte, wenn ein Wagen am Haus vorbeifährt und den nassen Asphalt illuminiert. Ich bin im Frieden. Hanna kommt rein und macht das Licht an.

<<Roman, was sitzt du so im Dunkeln?>>

Sie hat sich hübsch gemacht, ist geschminkt und trägt ihre beste Jeans.

<<Du siehst hübsch aus.>>, sage ich und sie freut sich.

<<Möchtest du auch ein Glas Wein?>>, fragt sie mich, kommt aber nicht dazu meine Antwort abzuwarten, denn es klingelt an der Tür. Nach und nach trudeln ihre Freunde ein, alle sind sehr freundlich und wirken ausnahmslos sympathisch. Wir  essen gemeinsam und trinken Wein. Da alle  sich gut zu kennen scheinen, richtet sich der allgemeine Fokus immer mehr auf mich.

<<Schön, dass wir endlich mal Hannas Bruder kennenlernen.>>

Was ich denn machen würde, werde ich gefragt. Erst scheint es, dass Hanna für mich antworten will, aber ich lasse sie nicht.

<<Ich bin drei Monate in Indien gewesen.>>

Ein Freund von Hanna ist beruflich auch schon in Mumbai gewesen und eine Zeitlang tauschen wir Geschichten aus, bis mich Britta direkt fragt, was ich denn in Indien gewollt habe. Ich schaue sie ganz intensiv an und spüre in ihr den Wunsch, mehr wissen zu wollen. Diesem Wunsch kann ich mich nicht verschließen.

<<Im Grunde wollte ich in Indien das, was viele dort wollen, mich selbst finden.>>

<<Hast du dich denn verloren?>>, will ein Freund von Hanna wissen, meint es halb witzig und etwas provokant.

<<Haben wir uns alle denn nicht irgendwie verloren?>>, antworte ich ihm und beobachte mich dabei, wie ich anfange zu dozieren. Ich beginne mit der Sinnlosigkeit des modernen Daseins, davon, dass uns höhere Werte und Menschen, die diese verkörpern, fehlen. Dass an die Stelle von wahrem inneren Reichtum materielle Bedürfnisse und eine riesige Wirtschaft, die diese befriedigt, getreten sind. Aber dass Geld und Güter nicht wirklich glücklich machen und dass wir selbst auch scheinbar verlernt haben, uns gegenseitig glücklich zu machen, da brauche man sich nur die Beziehungen ansehen. An dieser Stelle wird Britta ganz hellhörig, überhaupt sind alle Gespräche verstummt und alle hören mir mehr oder weniger fasziniert zu, selbst Hanna nickt mit dem Kopf. Aber dann ist der Moment vorbei und der Freund von Hanna reißt das Gespräch an sich und spricht über ein befreundetes Pärchen, das an dem Abend nicht dabei sein kann. Ohne Bedauern ziehe ich mich wieder in mich zurück, aber Britta setzt sich zu mir.

<<Ich will mehr wissen.>>, sagt sie.

<<Ich spüre, dass da mehr ist, du hast für dich auch was gefunden?>>

Sie formuliert es so, dass es gleichzeitig als Bekräftigung und als Frage rüberkommt. Wir verabreden uns am nächsten Nachmittag zum Kaffee.

Später, als ich Hanna dabei helfe, aufzuräumen, befrage ich sie nach Britta.

<<Hätte ich auch vorher drauf kommen können.>>, sagt sie, denn Britta hat einen kleinen Buchladen, der vor allem esoterische und spirituelle Bücher und Zubehör führt. Sie ist auch an diesen Dingen interessiert, braucht aber keinen Mitarbeiter für ihren Laden. Hanna ist müde. Natürlich will sie wissen, ob mich Britta auch als Frau, oder nur als mögliche Arbeitgeberin interessiert. Ich weiß es nicht, sie ist mir nicht speziell aufgefallen. Das wiederum findet Hanna ganz merkwürdig, schiebt es aber auf den Konsum des Weines, aber ich bin nicht betrunken.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 35

April 3, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

35. Kapitel: Deutschland

Normalerweise kommt sofort die Neigung zur Depression hoch, wenn ich aus den Ferien wieder nach Hause komme. In diesem Fall hätte ich darauf gewettet, dass es nach einigen Wochen in Indien und Goa noch drastischer ausfallen würde, vor allem, weil ich im März wieder in Deutschland lande. Aber bei mir ist es diesmal anders. Hamburg empfängt mich zwar mit Regen und Kälte, aber das stört mich nicht, denn die äußeren Umstände sind nichts weiter als die äußeren Umstände und können meine innere Gestimmtheit nicht berühren. Ich frage mich, wie lange dieser Zustand noch anhält, obwohl ich genau weiß, dass es kein Zustand ist.

Ich laufe durch Hamburg und komme mir wie in einem Film voller Cartoon Figuren vor. Für die Menschen ist das alles echt, es ist ihre Realität und für mich ist es nur ein Film. Ich frage mich selber, ob ich nicht glücklicher sein sollte, anstatt unbeteiligt durch diese Stadt zu laufen? Aber da ist keiner, der glücklich ist, da ist nur Abwesenheit, ein unbeteiligt Sein. Ab und zu schauen mich Menschen an, als wenn sie etwas Spezielles suchen würden oder als wenn sie das Gefühl hätten, mich zu kennen und die meisten schauen dann etwas beschämt schnell wieder weg. Manche Passanten fangen auch einfach ein Gespräch mit mir an, dabei scheint es nicht von Belang zu sein, worum es in dem Gespräch geht. Sie scheinen nur einfach mit mir sprechen zu wollen.  Ich bin absolut planlos und doch führt mich mein Weg unwillkürlich zu meiner alten Arbeitsstelle, der Buchhandlung. Ich widerstehe erst einmal dem Impuls hinein zu gehen, stattdessen führt mich mein Weg in ein nahe gelegenes Café. Ich trinke einen Chai und rufe meine Schwester an, auch das ist kein durchdachter Entschluss, sondern eine spontane, aus dem Moment geborene Aktion. Hanna ist sofort dran, freut sich aufrichtig von mir zu hören, aber provoziert auch sofort Schuldgefühle dadurch, dass sie erzählt, dass sich unsere Eltern Sorgen machen würden und ich sie unbedingt sofort anrufen müsse. Sie spricht dabei von meinen Eltern, was ich witzig finde. Ich reagiere weder äußerlich noch innerlich darauf und die nicht vorhandene Reaktion meinerseits löst etwas in Hanna aus, denn sie wechselt Tonfall und Thema und lädt mich ein, nach Hannover zu kommen und zwar sofort.

<<Mensch, steig doch in den nächsten Zug, dann bist du in 90 Minuten hier. Was willst du denn so allein in Hamburg?>>

Ich frage sie nicht, woher sie weiß, dass ich allein in Hamburg bin und sage spontan zu. Ich laufe zum Bahnhof, kaufe mir ein Ticket und sitze schon bald im Zug. Selten habe ich Hamburg so schnell betreten und wieder verlassen wie an diesem Tag, aber was ist in meinem Leben schon noch normal? Neben mir im Großraumabteil sitzt eine ältere Frau, die versonnen an etwas noch nicht zu Definierendem strickt. Ich schaue ein zweites Mal hin, denn mir gefällt die Farbe, ein ganz und gar ungewöhnliches Grün.

<<Das wird ein Schal für meinen Neffen.>>, erzählt sie mir unaufgefordert.

Sind meine Gedanken und Reaktionen deutlicher oder lauter als früher? Oder warum reagieren die Menschen auch auf nicht Ausgesprochenes von mir? Plötzlich habe ich das Bild des Berges Arunachala vor Augen und erinnere mich an einen weiteren Meister, der sagte, dass der Berg sein Guru sei. Als das Bild weiterzieht, bemerke ich, dass die Frau mich mustert.

<<Sie sind schon lange unterwegs?>>, will sie wissen, aber in ihrer Frage schwingt noch etwas anderes mit. Ganz spontan bricht es aus mir heraus:

<<Ja und jetzt bin ich angekommen!>>

<<Wie schön für sie. Ich fahre noch weiter bis Kassel, da wohnen meine Schwester und mein Neffe. Und bei wem sind Sie angekommen?>>, will sie wissen, legt aber während des Gesprächs nicht ihre Wolle aus der Hand.

Bei mir selbst, möchte ich gern antworten, erzähle ihr dann aber, dass ich meine Schwester und ihren Sohn besuchen werde. Dann wird auch schon Hannover ausgerufen.

<<Schade, dass sie schon gehen, es war nett, neben ihnen zu sitzen und mit ihnen zu reden.>>, sagt sie und lächelt mich an.

Das geht mir gerade genauso, denke ich und sage es ihr dann auch. Wenn man offen dafür ist, warten überall interessante Begegnungen auf einen, aber oft sind wir so mit unseren Gedanken und Konzepten beschäftigt, dass wir diese Möglichkeiten gar nicht wahrnehmen. Am Bahnhof steige ich in einen Bus und bin kurz darauf vor dem Haus von Hanna und Emil. Ich klingele und fast so, als hätte jemand darauf gewartet, öffnet sich die Tür und Emil springt auf mich zu. Er überfällt mich mit Fragen und wichtigen Botschaften aus seiner Welt. Hanna umarmt mich lange, schaut mir für einen Moment sehr intensiv in die Augen und überlässt mich dann Emil. Kurz darauf sitzen wir bereits in der Küche beim Abendbrot und ich erzähle von Indien. Es sind die Geschichten, die auch Emil versteht, die ich von mir gebe, von Geiern und Schlangen, von den chaotischen Zugfahrten und von der Fahrt mit der Rikscha. Diese Geschichte muss ich dreimal erzählen und noch beim Zähneputzen wiederholt Emil immer wieder das Wort Rikscha. Nicht einmal gelingt es ihm, es richtig auszusprechen und je müder er wird, desto witzigere Kombinationen kommen dabei heraus. Als er es zu „Lakritza“ umgedeutet hat und meint, dass sein Onkel in Indien mit Lakritz gefahren ist, beendet Hanna den Spaß und löscht das Licht im Kinderzimmer. Bevor ich den inzwischen dunkel gewordenen Raum verlassen kann, fragt der Lütte mich:

<<Bist du auch morgen noch da?>>

Zu meinem eigenen Erstaunen sage ich:

<<Ja morgen und auch noch länger.>>

Mit einem Lächeln, wie man es nur bei Kindern sehen kann, dreht er sich ins Dunkle und ich verlasse den Raum.

Im Wohnzimmer hat Hanna mir ein Glas Rotwein eingeschenkt.

<<Du warst doch früher nie so geduldig mit ihm?>>, sagt sie zu mir und schaut mich wieder so intensiv an. Ohne besondere Gefühle erwidere ich ihren Blick, bis sie wegschaut.

<<Du hast dich verändert!>>, bemerkt sie und fragt mich dann übergangslos:

<<Was ist mit deiner französischen Freundin?>>

Ich erzähle ihr ein wenig davon, wie es mit Annelore gewesen ist, und dass sie in Indien geblieben ist, ich aber das Gefühl hatte, zurück nach Deutschland zu müssen.

<<Und was willst du jetzt tun?>>, will Hanna wissen.

Aber auf diese Frage habe ich keine Antwort. Noch nicht.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 34

April 2, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

34. Kapitel: Wieder im Ashram

Der Abschied von Annelore hat mich traurig gemacht, aber ich war nur in diesem Moment traurig. Im Gegensatz zu meinem früheren Selbst schleppe ich diese Gefühle nicht mehr mit mir herum. Der Buddha hatte einmal das Gleichnis erzählt, dass wir ein Boot nur so lange mit uns herum tragen sollten, bis wir damit den Fluss überquert haben, es aber dann nicht weiterschleppen sollten, sondern es zurücklassen können. So geht es mir mit den Gefühlen. Deswegen bin ich nicht besonders traurig, als ich Goa und damit auch Annelore hinter mir lasse. Ich habe mir vorgenommen, noch einmal den Swami in seinem Ashram zu besuchen, bevor ich nach Deutschland zurückkehre. In mir ist die tiefe Gewissheit, dass ich den Swami antreffen werde. Natürlich gibt es hin und wieder Gedanken, die sich durch mich hindurch bewegen und Fragen oder Widerstände hervorrufen, aber auch diese Gedanken lasse ich wieder ziehen. Ich hänge mich nicht an sie ran.

Der Ashram ist unverändert und ich werde mit großer Freude empfangen. Sehr schnell finde ich   mich wieder in den beruhigenden Rhythmus ein, diesmal unterbricht nichts meine Kontemplation. Ich sitze oft in der Stille, soweit man hier von Stille sprechen kann, denn  in den Morgen- und den Abendstunden sitzen gefühlte Hunderte von Vögeln mit mir. Sie singen und feiern das Leben, die Schöpfung, ohne etwas davon zu wissen und ohne etwas dafür zu tun. Abends sitzen wir mit dem Swami und ich stelle voller Verwunderung fest, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob ich mit ihm und den anderen, oder allein im Garten mit den Vögeln sitze. Es ist alles eins. Es ist nicht einerlei, aber eins. Am dritten Abend lässt der Swami mich durch seinen Vorsteher nach dem Satsang zu sich rufen. Ich verbeuge mich vor ihm. Wie vor meinem Ausflug nach Goa schaut er mich durchdringend an. Eine Ewigkeit sitzen wir so zusammen. Alles ist perfekt.

<<Du bist schnell wieder zurück gekommen.>>, sagt der Swami zu mir.

<<Ja, so wie ich es versprochen habe.>>, antworte ich ihm.

<<Aber du hast etwas zurück gelassen?>>, wieder formuliert er den Satz so, dass ich nicht weiß, ob er mir eine Frage stellt oder ob das eine Feststellung ist.

<<Meine Freundin ist in Goa geblieben.>>, antworte ich ihm, obwohl ich ahne und weiß, dass er etwas anderes meint. Er bewegt dann auch seinen Zeigefinger vor und zurück und wartet auf eine andere Antwort von mir.

<<Auf dem Berg habe ich etwas Kleines verloren und etwas Großes gefunden.>>, sage ich nach einer ganzen Weile. Da beugt der Swami sich vor, drückt seinen Daumen bei mir auf die Stelle zwischen den Augenbrauen, aktiviert mein so genanntes drittes Auge und klopft mir dann auf die Schulter. Als ich denke, dass ich damit entlassen bin, spricht er nochmal mit mir.

<<In deiner Heimat werden die Menschen zu dir kommen wollen, weise sie nicht ab, habe Mitgefühl.>>

Was soll ich daraufhin noch sagen. Ich bin sprachlos. Erst viel später wird mir aufgehen, was der Swami damit gemeint hat. Ich verabschiede mich von ihm. Ich weiß, dass wir immer verbunden sein werden, ähnlich wie auch mit Annelore, und doch ganz anders, denn hier gibt es keine Person. Der Swami ist wie der wolkenlose Himmel, keine Wolke in Sicht, freier Raum und doch erfüllt von solch kostbarer Energie, dass dem nichts gleich kommt. Und ich bin das Gleiche, es gibt keine Trennung. Wie ich später oft im Scherz sagen werde, passt da kein Blatt zwischen mich und den Swami. Mit erfülltem Herzen verlasse ich den Swami, doch an Schlaf ist in dieser wunderbaren Nacht nicht zu denken. Stundenlang sitze ich auf der Veranda und blicke in den Sternenhimmel und gleichermaßen in mein Selbst. Erst, als am frühen Morgen die Venus aufgeht, verlasse ich die Veranda und mit ihr auch den Ashram. Ich weiß, dass es Zeit für mich ist, nach Deutschland, in meine Heimat, zurückzukehren. Ich komme tatsächlich mit weniger zurück, als ich auf der Hinreise dabei hatte und ich fühle mich erleichtert. Mir ist klar, dass sich vieles ändern wird, denn ich habe weder ein Zuhause, noch eine Wohnung, aber das wird sich finden.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 33

April 1, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

33. Kapitel: Umkehr

Der Berg Arunachala hat mir alles gegeben. Ich könnte von nun an für immer hier bleiben und hätte ein seelisches, ein spirituelles Zuhause, aber es zieht mich schon wieder fort. Obwohl ich den Berg nicht wirklich bestiegen habe und man nicht ständig nach Indien kommt, drängt es mich abzureisen. Da gibt es Dinge und Angelegenheiten zu klären. Die gewonnene innere Freiheit verlangt danach, sich mit der scheinbaren Außenwelt zu synchronisieren. Auch wenn ich keinen inneren Zwang verspüre, so ist da doch der starke Wunsch, Annelore zu finden. Sie gehört für mich dazu, sie ist Teil dieser Mission. Wenn ich sie gefunden habe, ergibt sich alles andere von allein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch in Goa ist. Dort werde ich sie suchen.

Daraufhin bin ich tagelang unterwegs. Zuerst wieder mit der Bahn. Der Mensch gewöhnt sich an alles, und so kommen mir die Fahrten mit der indischen Eisenbahn inzwischen fast normal vor, das ständige Gedränge, die unklaren Zeiten, die Hitze, die Tiere, der Gestank und der überhöhte Geräuschpegel. Meine Lehrlingsprüfung lege ich ab, als ich halb im Schoß einer älteren indischen Frau, belagert von mehreren Kindern, tief und fest schlafe. Als ich wieder erwache, sehe ich in lächelnde Gesichter und manch einer lacht mir voller Freude ins Gesicht. Indien teilt mir mit, dass ich angekommen bin. Voll innerer Ruhe und mit der unverrückbaren Gewissheit, dass ich Annelore schließlich irgendwo finden werde, gehe ich auf die Suche, die mich durch einige der kleinen Ortschaften Goas führt. In diesen Tagen bin ich viel unterwegs. Aber trotz der Vielzahl von Eindrücken bleibt in mir eine in diesem Moment unerschütterliche Ruhe. Wenn man es auf nicht spirituelle Weise ausdrücken wollte, könnte man sagen, dass ich einfach gut drauf bin. Außerdem bin ich mir total sicher, dass ich Annelore treffen werde. Woher dieser Optimismus kommt, weiß ich nicht, aber das Wissen ist in mir und Zweifel kommen in diesen Tagen kaum auf. In jedem Ort gehe ich auf die Menschen zu, zu denen ich eine innere Verbindung spüre. Es scheint auch nicht ungewöhnlich zu sein, dass man sich gegenseitig befragt und darüber informiert, wo sich Freunde oder Landsleute aufhalten. Immer wieder frage ich nach Annelore. Oft ergeben sich daraus interessante Gespräche und Begegnungen. Letztlich dauert es dann tatsächlich fast eine Woche, bis ich eine Spur von ihr finde. In einem Restaurant erinnert sich ein Kellner, dass sie mit einer Gruppe von Leuten da gewesen ist. Er erinnert sich, weil er sie sehr hübsch fand und weil die Gruppe sehr ausgelassen gefeiert hat. Beide Äußerungen rufen keinerlei Widerstand in mir hervor, sondern nur  Freude darüber, dass ich ihr näher komme. Ich spüre immer stärker, dass sie tatsächlich nahe ist und im nächsten Ort bin ich mir sicher, dass sie dort ist. Es geht mir wie einem Hund, der eine Fährte gewittert hat und ihr unbeirrbar nachläuft. In mir ist ein so starkes Gefühl der Anziehung, dass nur mein Kopf mit seinen Zweifeln mich daran hindern könnte, dem nachzugehen. Durch die Erlebnisse am Berg ist aber die Tendenz meines Kopfes zu zweifeln geschwächt, so dass sich das intuitive Gefühl durchsetzen kann. In diesem Ort ist das Gefühl sogar noch stärker geworden. Eine nette Strandbar ist mein erster Anlaufpunkt. Ich lasse mir ein Bier schmecken und schaue den Menschen zu. In mir ist plötzlich das Wissen vorhanden, dass ich sie nicht mehr suchen muss, sondern sie gefunden habe. Ich warte, ohne zu warten, denn es ist sehr angenehm im Schatten zu sitzen und nichts zu tun. Nach einiger Zeit kommt eine Gruppe von jungen Leuten in die Bar.  Und tatsächlich ist Annelore bei ihnen. Nun schlägt mein Herz bis in meinen Hals und am liebsten würde ich sofort aufspringen und sie in die Arme nehmen, aber irgendeine Kraft hält mich zurück. Stattdessen beobachte ich sie. Alle sprechen französisch durcheinander. Zuerst tue ich gar nichts, denn sie sind so miteinander beschäftigt, dass keiner Notiz von mir nimmt. Nur Annelore hält plötzlich inne und dreht sich um. Da fällt ihr Blick auf mich, sie schreit auf, so dass alle Gespräche am Tisch verstummen. Sie springt auf, so dass ihr Stuhl umfällt, läuft auf mich zu, lässt mir kaum Zeit, selber aufzustehen und springt mir in die Arme. Was sie sagt, ist das mir so vertraute Gemisch aus deutschen und französischen Brocken. Was ich verstehe, hat damit zu tun, dass es ihr leid tut, dass sie mich vermisst hat, dass sie sich freut, mich zu sehen und dass sie ein Idiot ist. In dieser Art geht es eine ganze Weile, bis sie sich ein wenig beruhigt hat. Wir gehen beide zu ihrem Tisch. Sie stellt mich als einen sehr guten Freund aus Deutschland vor, und nicht alle scheinen total begeistert, dass ich nun da bin. Vor allem ein junger, gut aussehender Franzose schaut so, als wenn er sich wünschen würde, dass ich nie aufgetaucht wäre. Annelore ist nun ganz in ihrem Element. Zu mir in gebrochenem Deutsch, zu den anderen in französisch führt sie das Gespräch und versucht, mich zu integrieren. Eine Zeitlang schaue ich mir das an, dann aber wird es mir zu blöd und ich frage sie, ob wir uns irgendwo allein unterhalten können. Sie scheint irritiert zu sein, denn es ist offensichtlich, dass sie diese Situation genießt und sie eigentlich nicht verlassen will. Sie schaut etwas verzweifelt zu dem jungen Franzosen, aber dieser kann ihr jetzt auch nicht helfen. Dann  willigt sie ein und wir gehen an den Strand bis ans Wasser. Ich blicke in ihr Gesicht, und wieder einmal fällt mir auf, wie hübsch sie ist. Ihr überschwängliches Verhalten fällt in dem Moment von ihr ab, wo wir allein sind. Ihre Augen werden ganz feucht, so als würde sie gleich anfangen zu weinen. Ich lege ihr meinen Arm um die Schultern und drücke sie und versichere ihr, dass alles gut ist. Dann frage ich sie, ob sie mit dem jungen Franzosen zusammen ist. Zuerst verneint sie es, aber dann gibt sie es zu und entschuldigt sich bei mir dafür. Ich fühle keinen Zorn und keine Eifersucht in mir und auch Annelore scheint überrascht, dass ich ihr keine Szene mache. In Kurzfassung berichte ich ihr von meinem Ausflug an den Berg Arunachala und das dort irgendwas mit mir passiert ist, dass ich nicht böse bin, aber meine Angelegenheiten klären möchte.

<<Ich möchte nicht, dass etwas zwischen uns steht.>>, sage ich zu ihr.

In dem Moment, wo ich diesen Satz ausspreche, wird uns beiden bewusst, dass hier etwas endet.

<<Aber unser Zusammensein hat uns hierher gebracht.>>, sagt sie.

Ich küsse sie leicht auf die Lippen, nehme ihre Hand und gehe mit ihr gemeinsam zurück an den Tisch. Der junge Franzose hat schon keine Fingernägel mehr, so stark hat er an ihnen gekaut. Annelore gibt ihm ein Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Ich esse gemeinsam mit den Franzosen. Einige Flaschen Wein und noch mehr interessante Geschichten wandern um den Tisch. Angetrunken verabschiede ich mich und gehe in die kleine Hütte, die ich mir gemietet habe. Ich bin noch keine dreißig Schritte weit weg, da höre ich jemanden hinter mir herlaufen und nach mir rufen. Es ist Annelore, die mir in die Arme springt und mich mit Tränen in den Augen küsst.

<<Werden wir uns jetzt nicht mehr wiedersehen?>>, fragt sie mich.

<<In diesem Universum werden wir immer miteinander verbunden sein.>>, antworte ich ihr und ich meine es genauso, wie ich es sage.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 32

März 29, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

32. Kapitel: Der heilige Berg

Eine Landkarte ist nicht die Wirklichkeit, sondern eine Darstellung derselben. Wenn wir den Mond betrachten wollen, müssen wir auf den Mond schauen und nicht auf den Finger, der zum Mond zeigt. So banal diese Beispiele klingen, so tiefgreifend wahr sind sie, wenn wir sie erleben. All die Gurus und weisen Menschen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt getroffen habe, sind alles Finger, denn sie weisen auf den Mond. Voller Faszination schaue ich immer wieder auf den Finger und bin mir gar nicht darüber im Klaren, dass ich gar nicht auf den Mond achte. Im Prinzip existiert der Mond für mich gar nicht, da ich ja auf den Finger fixiert bin und diesen für den Mond halte. Ein echter Guru, der sich aus seinem Herzen heraus wünscht, dass seine Schüler oder Anhänger die Wahrheit erkennen, kann sicherlich immer wieder verzweifeln, wenn seine Schüler ihn für die Wahrheit halten und nicht erkennen, dass er nur der Mittler zur Wahrheit ist. Der Buddha soll sich der Sage nach direkt nach seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum geweigert haben, seine Wahrheit weiterzugeben, weil er befürchtete, dass niemand die Wahrheit erkennen könne. Nur durch die Überredung seiner längst verstorbenen Mutter und Brahman, den höchsten der Götter, die aus dem Himmel herabkamen, um den Buddha anzuflehen, das Rad der Lehre in Bewegung zu setzen, konnte der Buddha letztlich überredet werden, genau das zu tun. Und er lehrte fortan nahezu vierzig Jahre. Auch seine Lehren wurden und werden als Finger gesehen, nur selten einmal hebt jemand seinen Blick empor, um den Mond selber anzuschauen. Der heilige Berg Arunachala ist auch so ein Finger. Ähnlich wie der Kailash steht er für die Verkörperung des Selbst. Wer den Berg Arunachala sieht, der sieht mich, sagte Ramana Maharshi, der zeitlebens diesen Berg nicht verlassen hat. Und wer Ramana Maharshi sieht, der sieht sein Selbst. Wenn er es denn sieht.

Als ich nach einer, wie immer, interessanten Fahrt durch Indien Tiruvannamalai erreiche, sehe ich den Berg in seiner majestätischen Ruhe, und ähnlich wie es mir im schottischen Highland und auf der nordfriesischen Insel Sylt ergangen ist, habe ich das Gefühl, energetisch auf einem höheren Level zu sein. Das lässt sich nur schwer beschreiben. Vielleicht ist es so ähnlich, wenn wir frisch verliebt sind. Dann scheinen alle Dinge und Begebenheiten mit Bedeutung erfüllt zu sein, so, als wäre die Welt gemeinsam mit uns verliebt, was sicherlich auch irgendwie der Wahrheit entspricht. Im Zustand des verliebt seins leben wir auf einem höheren Level. Und so ergeht es mir auch hier. Ich finde eine billige, aber saubere Unterkunft. Ich gehe einfach und nahrhaft essen, aber meine Gedanken, mein inneres Gefühl sind auf den Berg ausgerichtet. Fast möchte man Luis Trenker zitieren, der da sagte, „der Berg ruft“. Es ist tatsächlich so. Der Berg ruft. Das Selbst ruft. Das Universum ruft, und zwar ohne Unterlass, aber wir hören nicht. Ich höre nicht. Und ich höre doch, denn ich bin hier und ich werde in den nächsten Tagen den Berg umrunden und ihn auch besteigen. Vielleicht komme ich so meinem Selbst näher. Was für ein komischer Gedanke, denn niemals bin ich vom Selbst getrennt. Aber vielleicht wird mir das bewusster, wenn ich mich dem Berg zuwende. Kann doch sein.

Am nächsten Morgen wandere ich um den Berg herum und in gewisser Weise umlaufe ich dabei auch mein eigenes Leben. Immer liegt der Berg im Zentrum, der sich nicht von der Stelle rührt, nur ich bin es, der sich bewegt. Ist das ein Bild dafür, dass das Selbst in sich ruht, während wir verzweifelt unsere Runden drehen? Die Wanderung geht über Stunden, aber die Relativität der Zeit bringt es mit sich, dass äußere und innere Zeit nicht übereinstimmen, denn während ich um den Berg herumlaufe, erlebe ich in meiner inneren Welt viele Ereignisse meines Lebens neu. Nicht alles, was ich da sehe, gefällt mir, aber ich erkenne, dass es alles zu mir gehört. Ganz deutlich werden die Fäden, die mich an meine Persönlichkeit binden, die verhindern, dass ich frei bin. Die ganze Geschichte mit Annelore ist ein perfektes Sinnbild dafür, denn anstatt Freiheit habe ich Besitzstreben und Eifersucht gelebt. Ich halte an und blicke auf den Berg, der von dieser Seite her wieder ganz anders wirkt als zuvor und mir wird klar, dass es nur eine Person gibt, die mir die angeborene Freiheit verwehrt, und diese Person bin ich selbst.

Am nächsten Morgen tun mir die Füße weh. Intuitiv ist mir klar, dass dies kein Tag für Abenteuer und Heldentaten ist, sondern es darum geht, die Dinge zu verarbeiten und ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich wandere durch die Straßen und schaue mir das rege Treiben dort an. Dann sitze ich lange in einem Tee-Laden und lese. Den Besitzer scheint es nicht zu stören, dass ich dort sitze, solange ich immer nur wieder neuen Tee bestelle. Allerdings ist es ein wenig abenteuerlich, den Tee auch wieder loszuwerden, denn hinter dem Laden muss ich dafür ein offenes Stück überqueren, auf dem es sich etliche heilige Kühe bequem gemacht haben und mich nicht unbedingt durchlassen wollen. Aber auch das meistere ich. Als ich das zweite Mal von meinem Gang in den Laden zurückkehre, sehe ich eine junge Frau in meinem Buch blättern.

<<Ein weißer Schimmel!>>, sagt sie, als ich auf sie zugehe und gibt mir mein Buch.

Ich gucke sie wohl etwas ratlos an, denn sie ergänzt:

<<Ein Buch von Ramana Maharshi zu lesen, wenn man sich am Berg Arunachala befindet, ist wie ein weißer Schimmel.>>

In der Folge erkläre ich ihr, dass mir das Buch dabei helfen soll, mich noch mehr mit diesem Mysterium zu beschäftigen. Sie hört mir eine Zeitlang zu, weist mich dann aber darauf hin, dass ihr das zu theoretisch ist und ob ich nicht Lust hätte, mit ihr gemeinsam auf den Berg zu klettern. Ich habe Lust und so verabreden wir uns für den nächsten Morgen am gleichen Stand. Sie verabschiedet sich von mir und danach habe ich keine Lust mehr, in dem Buch zu lesen.

Am nächsten Morgen ist sie sogar vor mir am Teestand. Sie diskutiert mit ein paar Leuten, hört damit aber auf, als sie mich erblickt. Mir wird bewusst, dass ich noch nicht einmal ihren Namen weiß.

<<Wollen wir los?>>, fragt sie mich und so, wie sie mich anschaut, muss ich an Annelore denken, obwohl sie ihr gar nicht ähnlich sieht. Aber ich will erst einmal ihren Namen wissen.

<<Ich heiße Sabine, komme aus Würzburg, bin zur Zeit Single, habe keine Kinder und möchte gern wissen, wer oder was ich in Wirklichkeit bin. Reicht dir das?>>

Ja, das reicht mir, denn sie hat ihre gesamte Lebensgeschichte in einem Satz untergebracht. Auf dem Weg den Berg hoch unterhalten wir uns weiter und so erfahren wir doch noch eine ganze Menge vom anderen. Ich erzähle ihr, dass ich von meiner Freundin verlassen worden bin, obwohl wir diese Reise über Wochen und Monate geplant haben. Mir ist wohl meine Ratlosigkeit deutlich anzumerken, denn Sabine bringt das Ego von Annelore ins Spiel.

<<Schau mal, du suchst nach deiner wahren Identität und dir wird dabei immer klarer, dass du nicht dein Ego bist. Das es dieses Ego vielleicht gar nicht gibt. Da hat sie, bzw. ihr Ego Angst bekommen und hat den erstbesten Grund genommen, um dich und damit den Verlust ihres Egos zu verlassen.>>

Meine Frage, ob sie vielleicht Psychologie studiert, bejaht sie.

<<Ist das so offensichtlich?>>, fragt sie mich.

Ich weiß nicht genau, wie ich reagieren soll, aber da lacht sie.

<<Mein Vater ist Psychologe und da bin ich schon von Kindheit an damit konfrontiert worden.>>, erklärt sie mir. Ich ermuntere sie weiterzusprechen.

<<Weißt du, als Jugendliche rebellieren wir gegen unsere Eltern, auch indem wir genau das Gegenteil von dem machen, was sie gut finden, wofür sie stehen.>>

Wieder macht sie eine Pause, schaut erst mich an, mustert mich dabei regelrecht und schaut dann auf den vor uns liegenden Berg. Sie lächelt.

<<Was ist?>>, möchte ich von ihr wissen.

Sie zuckt mit den Schultern, spricht dann aber doch weiter:

<<Später, als ich lange ausgezogen bin und meine langjährige Beziehung auseinander ging, da habe  ich mich erinnert und mich mit meinen Eltern, vor allem mit meinem Vater ausgesöhnt.>>

Ich könnte ihr jetzt gut von meiner Familie und meinen Problemen mit meinem Vater erzählen, aber ich möchte noch mehr, dass sie ihre Geschichte zu Ende erzählt. Es scheint fast so, als würden wir in Anbetracht dessen, dass wir gleich beginnen werden, den Berg zu besteigen, noch einmal die Beichte ablegen. Ich habe ihr von Annelore erzählt und sie breitet mir, einem Unbekannten, ihre gesamte Lebensgeschichte aus.

<<Und dann hast du Psychologie studiert?>>, versuche ich ihr eine Brücke zu bauen.

Sie schaut mich etwas erstaunt an und in ganz kurzer Zeit zeigt ihr Gesicht eine Vielzahl von unterschiedlichen Emotionen, dann murmelt sie aber:

<<Ja, dann habe ich Psychologie studiert.>>

Dann schweigen wir, weil wir am Fuße des Berges angekommen sind und es nun daran geht, ihn zu  besteigen, den heiligen Berg.

Je höher wir auf den Berg steigen, desto weniger reden wir tatsächlich. Das liegt zum einen mit daran, dass uns schlichtweg die Luft dazu fehlt, aber zum anderen wird die Präsenz des Berges immer deutlicher. In mir verändert sich etwas. Ich spüre deutlich meinen Körper, der sich beim Klettern anstrengen muss und schneller atmet. Neben und hinter mir geht Sabine und scheint auch ganz mit sich beschäftigt zu sein. Ich sehe sie an, schaue auf den über uns ruhenden Berg, spüre meinen Körper und der Zeitfluss verlangsamt sich. Zuerst ganz sachte, so, als wolle er mir vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Dann aber schneller werdend, löst sich mein Klammern etwas auf und mein Bewusstsein weitet sich. Dabei wird mir klar, dass ich mich zwar mit meinem Körper identifiziere, dass ich aber das Bewusstsein bin, was nicht nur der Körper, sondern auch der Berg ist. Ehrfurcht und Freude steigen in mir auf und ich fühle mich von der Energie dermaßen durchströmt, dass ich nicht mehr weitergehen kann. Ich setze mich auf einen Stein, beobachte die Affen, die einen Steinwurf weit weg miteinander zu spielen scheinen und schaue vom Berg herunter auf die Stadt. Sabine setzt sich zu mir.

<<Irgendetwas passiert mit dir?>>, fragt sie mich, es klingt aber wie eine Beobachtung.

Ich spüre sie neben mir, höre ihre Worte, fühle die Wärme und das Leben ihres Körpers und sie ist mir ebenso vertraut wie mein eigenes Selbst. Ich will ihr antworten, kann es aber nicht, da sind keine Worte. Sie schaut mir in die Augen und ich kann sehen, was sie sieht. Ich weiß, dass sie sich jetzt abwenden wird, weil sie es nicht versteht. Sie wendet sich ab. Ich halte sie zurück und spreche dann doch:

<<Der Berg ist hier. Er bewegt sich nicht weg. Was er ist, ist unberührt und rein und das wird sich niemals ändern. Und wir sind dasselbe. Wir sind nicht das von Haut umspannte Ich. Wir sind nicht die Vorstellung von uns, wir sind das, was allen Vorstellungen zugrunde liegt. Und jeder von uns weiß das immer.>>

Sabine sieht mich an, als würde sie mich das erste Mal sehen.

<<Wir kennen uns jetzt einen Tag. Ich gehe mit dir auf diesen Berg, damit ich es nicht allein tun muss und kaum sind wir halb oben, bekommst du einen Anfall von Größenwahn oder eine Erleuchtung und nun redest du so… Was soll ich davon halten?>>

<<Wie so?>>, will ich wissen und frage mich selbst.

<<So erleuchtet….>>, sagt sie mir.

Es gibt keine Trennung. Alles ist erleuchtet. So empfinde ich es. Natürlich ist mir wie in einem zweiten parallel laufenden Film bewusst, dass ich ich bin und sie Sabine heißt, aber es fühlt sich so nicht an. Es ist, als würde man der Realität eine zweite Realität hinzufügen. Nun verstehe ich, was es heißt, wenn sie im Zen sagen, dem Hasen noch einen Hasenkopf aufsetzen. Der Hase alias die Realität hat schon einen Kopf und braucht keinen zweiten davon.

Ich zucke mit den Schultern, weiß selber nicht, was ich davon halten soll. So sage ich nur:

<<Lass uns einfach jetzt zurückgehen.>>

Sie mustert mich intensiv, fragt mich dann, ob mit mir alles in Ordnung ist, was ich bejahe, worauf wir unser Klettern weiter nach oben abbrechen und wieder das Stück zurückgehen, das wir gerade empor geklettert sind. Nur eines ist gleich wie auf dem Hinweg, wir schweigen auch diesmal, aber es ist kein gutes Schweigen, denn Sabine ist in ihrem Inneren getroffen, und sie gibt mir die Schuld dafür, obwohl sie weiß, dass ich keine Schuld habe, aber sie ist nicht bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Noch nicht. Und vielleicht nicht mit mir. Der Verlust des Glaubens an sich als einzeln existente Person erfordert Mut und ist nicht leicht zu verkraften. Das macht uns Angst, und davor schrecken wir zurück, obwohl wir natürlich gern die absolute Erfahrung machen würden, hält uns Angst, Prägung und eine gewisse Lähmung zurück. Wenn wir jemandem begegnen, der diese Erfahrung gemacht hat, dann sind wir entweder fasziniert oder wir müssen sofort weg, weil dieser Mensch gefährlich für uns ist. Genauso ein Mensch war ich urplötzlich für Sabine geworden.

Wir trennen uns am Teestand. Sie blickt nicht zurück. Ich gebe es immer mehr auf, die Reaktionen anderer Menschen zu bewerten. Sie glauben an ihr Ich und an ihren freien Willen und meistens setzen sie beides ein, um sich und andere zu verletzen und nennen es ihre Suche nach dem Glück. Ich will ihnen beides nicht nehmen, aber da ist im Grunde nichts, weder ein Ich, noch ein freier Wille. Die Vorstellung davon verhindert nur, dass etwas anderes nicht offensichtlich wird. Dabei ist das immer da und wirklich real. Komisch, dass das, was wirklich real ist, für Einbildung gehalten wird und die Illusion wird für Realität gehalten. Verdrehte Welt.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 31

März 28, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

31. Kapitel: Das Gespräch

Wir werden in ein Vorzimmer geführt. Nach und nach kommen weitere Leute dazu. Außer uns sind alles Inder. Ich bin so nervös, als hätte ich ein Rendezvous. Der Amerikaner scheint dagegen ganz ruhig zu sein, er sagt aber kein Wort, um mich zu beruhigen. Dann öffnet sich die Tür und wir können eintreten. Der Guru sitzt an einem Tisch und schaut uns unentwegt in die Augen. Ein Student passt auf, dass wir nichts Unerlaubtes oder Falsches tun. Der Guru zeigt auf mich und sagt etwas. Sowohl der Amerikaner als auch der Student reden auf mich ein, ich verstehe nur, dass der Guru will, dass ich mit ihm spreche. Ich zeige ihm den Ring und sage, dass ich nicht verstehe, wie er das gemacht hat. Jetzt spricht er englisch mit mir. Er erklärt mir in einfachen Worten, dass wir alles in uns tragen und dass es für Gott kein Problem ist, unsere inneren Bilder nach außen zu bringen.

<<Gefällt es dir nicht?>>, fragt er mich dann.

Bevor ich antworten kann, lässt er sich von mir den Ring geben. Gebannt schaue ich zu, wie er den Ring in seine Handfläche legt und mit der anderen Hand darüber streicht. Dabei murmelt er etwas. Von seiner Handfläche geht eine Art Rauch oder Nebel aus, der den Ring für einen Moment verdeckt. Der Guru pustet den Rest des Qualms von seiner Hand, dann gibt er mir den Ring zurück.

<<So besser?>>, will er wissen.

Ich schaue in seine Augen und dann auf den Ring. Ich weiß nicht, ob ich schreien oder weglaufen soll. Die Realität, so wie ich sie kenne oder gekannt habe, löst sich um mich herum immer mehr auf. Doch da ist immer noch mein kleines Ich, das ums Überleben kämpft und verzweifelt nach einer Erklärung sucht, aber auch, wenn ich immer wieder auf den Ring schaue, ändert es sich nicht. Der Ring zeigt nun eindeutig das Bild von Annelore.

<<Ich habe sie verloren.>>, sage ich zum Guru.

<<Nein, du hast dich verloren. Finde dich wieder, dann findest du sie.>>, antwortet er mir.

<<Aber wo soll ich mich suchen?>>, frage ich nach.

<<Geh nach Tiruvannamalai zum heiligen Berg. Dort wirst du Antworten finden.>>, beendet er die Fragestunde.

Obwohl ich wie von Sinnen bin, finde ich die innere Würde, ihm zu danken und mich zu verabschieden. In mein Gehen hinein sagt er noch:

<<Manchmal müssen wir an den Anfang zurück, um das Ende zu finden.>>

Mit diesen Worten verlasse ich seinen Raum und stehe schon bald wieder auf dem Platz im Ashram, der jetzt menschenleer ist. Die Begegnung mit dem Guru hat mich total in ihren Bann gezogen. Ich bin erfüllt, denn viele der Tausende von Leuten wünschen sich nichts mehr, als ihm persönlich begegnen zu können. Und was mache ich? Ich rede mit ihm über meine Freundin. Ich schaue auf den Ring und kann es nicht glauben, dass sich dort das Gesicht von Annelore befindet. Es ist unfassbar und so erfüllt ich auf der einen Seite bin, so verwirrt bin ich auf der anderen. Ich bin mir auch überhaupt nicht sicher, ob ich noch im Ashram beim Guru bleiben soll oder ob ich seinen Vorschlag direkt umsetze und nach Tiruvannamalai fahren soll? Fragen über Fragen.

Ziellos wandere ich durch das weiträumige Gelände, sehe einen Elefanten und lande schließlich unter einem Baum, der zum Meditieren einlädt. Dort sitze ich und lasse die Ereignisse vor meinem inneren Auge ablaufen. Irgendwie scheinen alle Dinge zusammenzuhängen. Der Mann in Lourdes verweist mich an den Swami und der Guru schickt mich zum heiligen Berg. Es kommt mir so vor, als ob alle mein Drehbuch kennen würden, nur ich selber nicht. Wie konnte er das Bild von Annelore in den Ring bekommen, obwohl er diese gar nicht kennt? Ich schaue mir nochmal den Ring und das Bild an. Annelore schaut mich relativ ernst an, so als wolle sie mir etwas sagen, aber was? Ich versuche die innere Stille wieder zu gewinnen, aber da sind so viele Gedanken in mir. Ich schaue auf den indischen Sonnenuntergang und weiß, dass mich viele Leute jetzt beneiden würden, aber ich selber stehe vor den Rätseln meines Lebens. Bis in die Dunkelheit hinein sitze ich unter dem Baum, später verbringe ich eine mehr oder weniger schlaflose Nacht im Ashram. Schon in der Nacht weiß ich, was ich will und am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg nach  Tiruvannamalai. Der Ring mit dem Bild von Annelore kommt übrigens nicht mit. Er verlässt den Ashram nicht, denn am Morgen ist er nicht mehr da. Ich bin mir unsicher, ob ich ihn in der unruhigen Nacht verloren habe oder ob der Guru ihn wieder entmaterialisiert hat. So verlasse ich den Ashram so wie ich gekommen bin. Etwas nehme ich allerdings mit und das ist das Wissen darum, wohin mein Weg mich jetzt führen wird und das ist in Anbetracht der Umstände in meinem Leben in den letzten Wochen und Monaten eine ganze Menge.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 30

März 27, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

30. Kapitel: Im Ashram vom Guru

Der Abschied aus Goa fällt mir leicht, denn zu traumatisch war die abrupte Trennung von Annelore.  Auch die Holländer sind keine wirklichen Freunde geworden. Nicht so leicht fällt es mir dagegen, allein in den überfüllten Zügen gen Süden zu reisen, und die Reise kommt mir endlos vor, was sie in gewisser Weise auch ist. In Indien läuft die Zeit einfach anders und oftmals hat man das Gefühl, das es Zeit, wie wir sie kennen, gar nicht mehr gibt. So vergeht subjektiv empfunden keine Zeit in den qualvoll überfüllten Zügen, es ist mehr ein sich bewegen durch den Raum und auch das oft nur sehr langsam. Aber irgendwann einmal ist es geschafft, und ich erreiche tatsächlich Bangalore, eine indische Großstadt, die mir schon auf den ersten Blick gut gefällt. Es ist tropisch warm, überall stehen Palmen, den üblich chaotischen Verkehr in den indischen Straßen nehme ich hier in Banglore einfach als besonderen Willkommensgruß. Nachdem ich mich erst einmal gestärkt habe, nehme ich ein Taxi zum Ashram. Gut drei Stunden dauert die Fahrt durch wirklich ärmste indische Dörfer. Bei jeder Rast werden wir angebettelt, und fast immer werfe ich ein paar Rupien unter die Leute. Es ist nicht einfach zu begreifen, dass allein von dem Geld, das mich die Reise nach Indien kostet, eine Familie über Jahre hinweg gut leben könnte. Ich kann es nicht ganz vermeiden, dass sich mein schlechtes Gewissen meldet.

Am frühen Abend erreiche ich den Ashram des Guru. Dieser liegt in einem Dorf. Dort ist in den letzten Jahren unglaublich viel gebaut worden. Es gibt neue Krankenhäuser und eine rege Infrastruktur. Bei dem Lärm und der Hektik kann ich mir kaum vorstellen, hier Frieden und Stille zu finden, aber ich bemühe mich, offen zu bleiben. An der Registratur melde ich mich an und bekomme einen Schlafplatz im Ashram zugewiesen. Nun bin ich also wieder in einem Ashram. Ich bin verblüfft, wie viele Menschen sich hier befinden. In dem Haus, in dem ich untergebracht werde, gibt es mehrere einfach eingerichtete Schlafräume und in meinem bin ich nun der vierte, der dort hausen wird. Eine Ecke gehört mir. Dort breite ich mich aus. Einer der Mitbewohner begrüßt mich. Er ist Pole und schon seit einigen Wochen hier. Im Gespräch erzählt er mir, dass es hier von Jahr zu Jahr immer voller wird, weil sich immer mehr Menschen angezogen fühlen. Dadurch ist es fast unmöglich geworden, eine persönliche Begegnung mit dem Guru zu haben. Inzwischen wird es auch immer schwerer, den Guru überhaupt zu Gesicht zu bekommen. In der dem Ashram angeschlossenen Kantine bekomme ich noch etwas zu essen. Das indische Essen ist scharf, auch wenn es für die Ausländer schon gemäßigt gewürzt wird. Ich wandere über den Ashram, bis ich müde bin und mich hinlege. Zwei meiner Zimmernachbarn schlafen schon und einer schnarcht, so dass es mir in dieser Nacht schwer fällt einzuschlafen. Ich denke an Annelore und fühle mich verloren.

Am nächsten Morgen steht eine Versammlung an, bei der auch der Guru anwesend sein wird. Neben der Vielzahl von Studenten, die in seiner Universität neben vielem anderen auch die menschlichen Grundrechte lernen, können auch wir Besucher der Versammlung beiwohnen. Dafür setzen wir uns in Reihen, wobei der erste in der Reihe eine Nummer zieht, die entscheidet, ob die Menschen in der Reihe Platz in der Halle finden und auch, in welcher Reihenfolge sie diese betreten dürfen. Ich habe Glück, oder hat Gott da seine Hände im Spiel, denn meine Reihe darf als zweite in die Halle, und so sitze ich bald so nah, dass ich zumindest ein wenig von der Bühne sehen kann. Nach einer Weile wird der Guru in einem roten Rollstuhl hineingefahren. Sofort verdichtet sich die Energie. Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas spüre, weil all die Menschen um mich herum so aufgeregt sind, oder ob es seine Präsenz ist, die das bewirkt. In der Folge führen einige Studenten etwas auf, es wird gesungen und der Guru hält eine kurze Ansprache, in der es vor allem darum geht, dass wir Gott in unserem Alltag ehren sollen. Er sagt, dass es nichts bringt, am Abend oder für eine besondere Gelegenheit religiös zu sein, wenn wir es nicht in unserem täglichen Leben sind. Dann segnet er einige Leute und wird dann auch bald wieder herausgefahren. Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll.

Während des Tages komme ich mit vielen unterschiedlichen Leuten in Kontakt. Für viele ist der Guru ihr gesamter Lebensinhalt. Bevor sie etwas entscheiden oder unternehmen, treten sie in einen inneren Dialog mit ihm. Ich treffe einen Amerikaner, der sich gern von mir zum Tee einladen lässt und den ich nach seinen Erfahrungen befrage. Es stellt sich heraus, dass er schon seit vielen Jahren zu dem Guru fährt.

<<In meiner Anfangszeit>>, so berichtet er, <<waren es noch nicht so viele Leute. Da war es leicht möglich, mit dem Guru ins Gespräch zu kommen. Er kannte alle Einzelheiten aus dem Leben der Menschen und konnte ihnen konkret helfen. Dann hat er oft etwas materialisiert, um den Menschen etwas Konkretes zu geben, das ihnen Trost spenden konnte und sie daran erinnert, was wirklich wichtig ist.>>

Das will ich nun genau wissen: <<Was ist denn wirklich wichtig?>>

<<Gott, nur Gott ist wirklich wichtig.>>

Der sympathische Amerikaner hat häufig gesehen, wie etwas materialisiert worden ist und auch von anderen Wundern weiß er zu berichten.

<<Wundert dich das wirklich>>, fragt er, <<wir sind in Indien.>>

In Indien scheinen tatsächlich andere Gesetze zu gelten, als in Europa. Nach dem Gespräch bleibe ich am Teestand sitzen und lasse das eben Gehörte nachwirken. Irgendwie ist es ein Wunder, dass ich nicht an Annelore denke, aber mit diesem Gedanken kehrt sie in mein Bewusstsein zurück. Und mit ihr kommt auch der Schmerz. Ich versuche mein Glück und bitte den Guru in Gedanken, mir zu helfen. Tatsächlich lindert sich der Schmerz nahezu sofort und im gleichen Moment kommt eine Frau mit ihrer Tochter auf mich zu und sagt zu mir, dass der Guru sich noch einmal zeigt, und ob ich ihn nicht auch sehen möchte. Natürlich möchte ich. Jetzt, am Nachmittag, ist es sehr warm, aber das Gerücht, dass der Guru herauskommt, hat sich in Windeseile verbreitet und der Platz ist jetzt schon sehr gefüllt. Ich stehe am Rand und weiß nicht genau, wo ich mich hinsetzen soll, da winkt von vorne der Amerikaner und ich setze mich durch die bereitwillig sich teilende Menge nach vorne hin ab. Nun bin ich doch recht weit vorne, sollte der Guru hier herauskommen, habe ich einen fantastischen Blick. Das sieht der Amerikaner auch so, denn er klopft mir auf die Schulter. Dann ist Schweigen. Die Menge sitzt wohl gut 45 Minuten, als die erste Unruhe entsteht. Wie eine Welle breitet diese sich durch den Raum aus. Als sie mich erreicht, höre ich gleichzeitig eine Art  unterdrückten Aufschrei, denn tatsächlich kommt in diesem Moment der Guru heraus. Er wird von zwei Studenten gestützt und bewegt sich in Zeitlupe vorwärts. Dabei macht er immer wieder Bewegungen mit seinen Armen und Händen.

<<Er bewegt das Universum.>>, flüstert mir der Amerikaner zu.

Die Menschen in der Nähe des Guru scheinen das auch so zu empfinden, denn sie bewegen sich wie in Ekstase, fangen an zu weinen oder erstarren in Ehrfurcht. Ähnliche Reaktionen habe ich beim Swami erlebt und bei Rahula. Doch nun bewegt er sich direkt auf mich zu. Seine unergründlich schwarzen Augen scheinen nur noch mich zu fixieren. Mir wird heiß und kalt. Er steht direkt vor mir, bewegt seine Hand und wirft mir dann etwas zu. Es ist ein Ring. Der Ring trägt ein Bild, und das Bild zeigt meine verstorbene Großmutter, die ich sehr geliebt habe. Ich stehe total unter Schock. Wie kann das sein? Und es kommt noch besser, denn einer der dem Guru folgenden Studenten kommt zu mir, und fordert mich und den Amerikaner auf, ins Gebäude zu gehen. Der Guru will mit uns sprechen. Ich fasse es nicht.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 29

März 26, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

29. Kapitel: Coole Tage in Goa

Drei Tage später bin ich total relaxed. Ich habe meistens nur Shorts an, rasiere mich nicht. Ich lasse mich auf angenehme Art gehen. Dazu tragen sicherlich unsere neuen Freunde, die Holländer, mit bei, denn es ist jeden Tag so, dass wir uns schon mittags am Strand, in einer Bar und oder an einer der Hütten treffen, ein wenig Bier trinken und kiffen. Wenn man jeden Tag kifft, kommt man in eine Art  Paralleluniversum. Dort ist alles weich gezeichnet und die Zeit verläuft ganz anders. Einerseits ist sie unglaublich gedehnt, so dass ich das Gefühl habe, tagelang abzuhängen und es ist doch nur ein Nachmittag und andererseits sind wir schon den vierten Tag hier und ich habe das Empfinden, gerade erst angekommen zu sein. Annelore ist so cool. Sie sieht von Tag zu Tag besser aus, schwimmt viel, liest, kifft und hängt mit den Holländern ab, vor allem mit Ruud. Ja Ruud ist ein wenig der Störfaktor im Paradies, und ich werde eifersüchtig, denn beide sitzen immer sehr nah beieinander und das hier am Strand, wo Annelore fast nichts trägt. Ich sage nichts, weil ich kein Spießer und Spielverderber sein will, aber der Unmut darüber steigt in mir an. Außer in der ersten Nacht haben wir keinen Sex, Annelore biegt es immer wieder ab. Am Tag setzt sie dagegen alle ihre Reize ein. Da müsste ich schon total verblödet sein, um nicht mitzubekommen, was da läuft. Noch halte ich es für eine Schwärmerei. Mitten aus meinen Gedanken heraus wird mir plötzlich etwas schwindelig. Einer der Holländer hatte Skunk dabei und davon habe ich wohl ein wenig zu viel geraucht. Ich gehe zu Annelore und Ruud und teile ihr mit, dass ich mich ein wenig hinlegen will und frage sie, ob sie nicht mitkommen möchte. Ich sehe, dass sie lieber bei Ruud bleiben möchte,  sie kommt trotzdem mit, mault aber auf dem Weg in die Hütte vor sich her. Kurz darauf streiten wir. Ich fange an:

<<Du musst ja nicht mitkommen, wenn du keinen Bock hast.>>

<<Wie keinen Bock?>>, fragt sie.

<<Na, auf mich natürlich, ja sowieso nicht.>>, sage ich betont provokant.

<<Was meinst du denn damit?>>, will sie wissen.

<<Du weisst genau, was ich meine!>>

<<Nee, weiß ich nicht!>>

<<Sex zum Beispiel.>>

<<Ach, darum geht es dir. Ich denke, du bist so fertig, dass du dich hinlegen musst.>>, macht sie mich an.

<<Dann geh doch zu deinem Ruud.>>, gifte ich zurück.

<<Bist wohl eifersüchtig. Musst du nicht sein. Da ist nichts. Macht mir nur Spaß, mit ihm abzuhängen.>>, erklärt sie sich für meine Begriffe etwas zu ausführlich.

Und dann mache ich einen großen Fehler, weil ich in meiner Eitelkeit gekränkt bin. Durch die Drogen ist auch das Ego wieder gestärkt worden, denn ich fühle mich wie ein beleidigtes kleines Kind, das nicht bekommt, was es haben will und nun alles um sich herum zerstört, damit auch die anderen nichts bekommen.

<<Wegen dir sind wir hier und nun das!>>, bricht es aus mir heraus.

<<Wie meinst du das denn?>>, will sie wissen.

<<Na, allein wäre ich ja noch im Ashram…> lasse ich den halben Satz so stehen.

Daraufhin rastet sie aus. Annelore ist jetzt auch verletzt und sie teilt aus. Es fallen Bemerkungen, die uns beide treffen, und am Ende, als die Wut keine Worte mehr findet, stiefelt Annelore aus der Hütte. Ich lege mich aufs Bett, und da fühle ich nur noch Leere, aber diese ist nicht angenehm. Aus diesem Gefühl heraus falle ich in Schlaf, aber dieser bringt mir nicht viel, denn ich kann zwar den Körper entspannen, aber leider nicht meinen Geist. Nun sind wir beide einen so weiten Weg gefahren, ich habe sogar den Swami und den Ashram verlassen, um hier nun allein und einsam in einer Hütte am Strand von Goa zu sitzen. So nicht, denke ich und gehe wieder zum Strand. Direkt am Meer sitzen Annelore und Ruud, er hat den Arm um sie gelegt, und sie hat ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Diese unglaubliche Vertrautheit vor dieser wunderschönen Kulisse lässt etwas in mir zerbrechen. Zorn, Wut und unkontrollierbare Eifersucht übernehmen das Kommando. Ich rausche auf die Beiden zu und schreie Ruud an, was ihm einfällt, meine Freundin anzumachen. Erschrocken lösen sie sich voneinander, Annelore steht auf und fragt mich, ob ich noch ganz normal bin, denn zwischen den beiden wäre gar nichts. Ganz im Gegenteil hätte Ruud sie nur getröstet und mich aus männlicher Sicht verteidigt.

„Das kann ich mir denken. Das ist doch nur ein Trick von ihm, um dich rumzukriegen, das wollte er doch schon die ganze Zeit.“ So schreie ich sie an.

Da schüttelt Annelore den Kopf und will von mir weggehen, aber ich bin jenseits aller Vernunft, laufe hinter ihr her und brülle sie erneut an: „Du läufst jetzt nicht weg!“

Sie bittet mich darum, sie in Ruhe zu lassen und wieder Vernunft anzunehmen, aber ich kann nicht von ihr lassen, es ist wie ein Zwang. Da spüre ich eine Berührung an meinem Arm. Mich umdrehen, erkennen, dass es Ruud ist, der mich wohl nur von Annelore abhalten will, und zuschlagen, verschwimmen zu einer einzigen Aktion. Zuerst liegt Ruud am Boden, aber er steht wieder auf, und wir schlagen wild aufeinander ein, bis er tatsächlich am Boden liegt. Annelore rennt auf mich zu. Ihr Gesicht zeigt eine Mischung aus Schock, Empörung und Unverständnis.

„Bist du nun zufrieden?“ will Annelore von mir wissen und setzt sich zu Ruud.

Meine Wut verraucht, ich drehe mich um und gehe weg, einfach nur am Strand entlang. Ich blicke nicht zurück. Eine halbe Ewigkeit laufe ich wie in Trance und spüre nichts, als eine große Leere in mir. Dann kehre ich um. Ich muss mich bei Annelore und Ruud entschuldigen. Als ich nach Stunden wieder an unserem Abschnitt des Strandes ankomme, ist von beiden nichts zu sehen. Auch in unserer Hütte ist niemand. Also gehe ich zu den Holländern, die erwartungsgemäß sehr reserviert auf mich reagieren. Zuerst spricht keiner mit mir, bis sich eines der Mädchen erbarmt und mir erzählt, dass die beiden gemeinsam weggefahren sind und nicht gesagt haben, wohin sie fahren und wann sie zurück kommen.

An diesem Abend bin ich ganz allein. Ich bin allein mit meiner Reue und meiner Eifersucht, denn ich kann mir sehr gut vorstellen, was die beiden ohne mich machen. Ich kann lange nicht einschlafen, und als ich nach einer langen und erschöpfenden Nacht am nächsten Morgen wach werde, sind beide weiterhin verschwunden. Den Tag verbringe ich wie in Trance. Immer wieder laufe ich zum Meer und wieder zurück, so dass sogar die zurückgebliebenen Holländer nicht mehr böse, sondern irgendwann mitleidig gucken, was für mich vielleicht sogar noch schlimmer ist. Der Abend kommt, aber keine Annelore. Inzwischen bin ich soweit, dass ich ihr alles verzeihen würde, käme sie nur zurück, aber auch diese Nacht ist wie die Nacht davor. Am nächsten Morgen fange ich direkt an zu trinken. Ich setze mich an den Strand mit den Füßen im Wasser und kippe ein Bier nach dem anderen in mich hinein. Nach einer Weile kommt Bethje zu mir. Bevor sie etwas sagt, lässt sie sich die Bierflasche geben, nimmt einen tiefen Schluck und erzählt mir, dass Annelore sich gemeldet hat. Auf meine Nachfrage hin, erklärt sie mir, dass sie von Ruuds Handy aus angerufen hat.

<<Sie kommt nicht zurück, du brauchst nicht auf sie zu warten.>>

Ich höre ihre Worte, kann sie aber nicht glauben, denn so ist Annelore nicht, das ist einfach nicht ihre Art. Aber, wie gut kenne ich sie eigentlich? Und vor allem, was soll ich jetzt tun? So habe ich mich noch nie gefühlt. Da ist das grenzenlose Nichts. Ich weiß nichts mehr. Alle meine Pläne und Vorstellungen sind in sich zusammengebrochen. Was soll ich machen? Wo soll ich hin? Ich sitze in Indien in Goa, bin mutterseelenallein und habe keine Idee, wie es weitergehen soll. Meiner Verletztheit und meiner Traurigkeit kann und will ich jetzt keinen Raum geben, also bringe ich erstmal das zu Ende, was ich bereits angefangen habe und trinke weiter. Es bewahrheitet sich, was die gute alte holländische Gruppe Bots einmal gesungen hat: „Wir trinken zusammen, keiner trinkt allein“, denn die Holländer kommen, angeführt von Bethje, zu mir an den Strand. Wir trinken zusammen, es wird Musik gemacht, Joints kreisen und die Menge wird von Stunde zu Stunde größer. Es scheint sich herum gesprochen zu haben, dass ein Deutscher hier seinen Liebeskummer ertränkt. Da will natürlich keiner beiseite stehen. Goa erlebt eine spontane, aber denkwürdige Party in dieser Nacht mit dem zunehmenden Mond. Shiva Moon, Shiva Moon.

Der nächste Morgen ist mehr als grausam. Zu der bitteren Erkenntnis, dass ich Annelore verloren habe und nun ganz allein in Indien bin, kommen mörderische Kopfschmerzen. Aber die habe ich mir redlich verdient. Den Tag über pflege ich mich so gut es geht, erst am Abend bin ich wieder soweit genesen, dass ich daran denken kann, eine Entscheidung zu fällen. Mir ist klar geworden, dass ich nach vorne schauen muss. Ich werde weiterreisen und zwar an einen speziellen Ort in der Nähe von Bangalore, wo ein mystischer und inzwischen auch mythischer indischer Guru in seinem Ashram lebt. Der Guru behauptet von sich, dass er der Avatar dieses Zeitalters sei. Immer wenn die Schöpfung in eine kritische Phase kommt, dann bringt sich das Göttliche selbst in die Schöpfung ein. Es, das Göttliche, inkarniert in menschlicher Form, um den göttlichen Funken nicht vergessen zu lassen. Das nennt man einen Avatar. Dieser ist nicht wie wir an Zeit und Raum gebunden und kann anscheinend Wunder wirken. Genau das werde ich mir ansehen. Vielleicht kann dieser Guru auch ein Wunder für mich bewirken. Auf jeden Fall fühlt es sich richtig an, sich wieder in Bewegung zu setzen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 28

März 25, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

28. Kapitel: Goa 

Am nächsten Morgen besprechen wir uns. Wir wollen beide Erholung und zumindest ich suche einen Weg, ihr wieder näher zu kommen, denn Annelore hat sich tief in sich verschlossen. So einigen wir uns darauf, ans Meer zu fahren. Diesmal werden wir den Zug nehmen. Wie ich aus den Reiseführern weiß, kann das in Indien ähnlich wie das Fahren mit der Rikscha ein wahrhaftes Abenteuer sein. Wir buchen Tickets für den Mumbai-Goa-Express. Am nächsten Morgen geht es los. Ganz anders als in Deutschland ist es auch mit einem Ticket überhaupt nicht klar, ob der Zug fahren wird, wenn ja, zu welcher Zeit, und ob wir darin Platz finden werden. Dazu kommt, dass Annelore weiterhin total neben sich steht. Gestern Abend haben wir in dem billigen Hotel kaum miteinander gesprochen, obwohl ich immer wieder Ansätze dazu gemacht habe, aber Annelore hat alles abgeblockt. Die meiste Zeit hat sie geschlafen und hat es mir überlassen, die Tickets zu besorgen und etwas zu essen aufzutreiben. Nun ziehe ich sie hinter mir her wie einen Zombie. Alles andere ist wie arrangiert. Der Zug steht bereit und als die Inder sehen, dass wir Europäer sind und bemerken, in welchem Zustand sich meine Begleiterin befindet, geben sie uns Raum und überlassen uns zwei Sitzplätze. Annelore schließt die Augen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie noch schlafen kann, aber sie demonstriert, dass sie nicht gewillt ist, mit mir zu sprechen. Ich schaue mich stattdessen im „besseren“ Abteil etwas um. Im Gegensatz zu den billigeren Plätzen herrscht hier eine gewisse Ordnung vor. Ich kann viele Ausländer beobachten, die wohl genauso wie wir auf dem Weg nach Goa sind. Manche Leute scheinen ihren gesamten Hausstand dabei zu haben, es gibt Tiere, Kinder, alte Menschen und sogar einen Mönch, einen Sannyasin. Nach einer Weile schlafe auch ich ein, werde aber von der ruckelnden Bahn und meiner Neugier, nichts von der Welt da draußen zu verpassen, wieder geweckt. Ich schaue zu Annelore, sie hat die Augen auf und erwidert meinen Blick. Behutsam versuche ich zu ihr vorzudringen. Es wird eine in Samt gehüllte Psychotherapiestunde inmitten des brodelnden indischen Lebens. Nach einer ganzen Weile und nachdem ich ihr lange und geduldig zugeredet habe, fängt sie endlich an sich zu äußern. Sie erklärt mir, dass sie Angst hat, mich enttäuscht zu haben und Angst, dass ich sie jetzt nicht mehr so gern habe wie zuvor, nicht mehr auf sie abfahre, da sie ja nicht die Geduld hat, es in dem von mir geliebten Ashram auszuhalten. In dieser Art redet sie mit mir. Ich bin innerlich ganz ruhig und erwidere ihr, dass ich diese Reise mit ihr zusammen geplant und gemacht habe und zusammen heißt auch zusammen. Wenn es ihr im Ashram nicht gefällt, dann verlassen wir eben den Ashram und fahren nach Goa und dort ruhen wir uns erstmal aus und finden zu uns selbst zurück.

<<Und feiern?>>, wirft sie ein.

<<Ja, wir feiern!>>, besiegele ich es.

Von nun an wird die Fahrt sehr viel angenehmer, denn Annelore schmiegt sich an mich und gemeinsam betrachten wir die Felder und die Landschaft, die an uns vorüberzieht. Aber auch die längste Reise der Welt ist einmal zu Ende und so landen wir erneut im indischen Chaos. Mit einem Taxi lassen wir uns in einen netten Ort am Strand fahren, wo ich eine Hütte miete. Gar nicht weit entfernt stehen weitere Hütten, so dass wir zwar für uns, aber nicht ganz allein sind. Wir baden und es scheint, dass Annelore allmählich ihre Unbeschwertheit zurück gewinnt. Abends gehen wir essen, gebratenes Gemüse, frischer Mango-Lassie und dann ein leckeres Bier. Ich grabe die nackten Füße in den immer noch warmen Sand, schaue in den dunkel gewordenen Himmel und dann zu Annelore, die mit ihren verwuschelten Haaren und der leichten Bräune einfach fantastisch aussieht. Einen kurzen Moment lang taucht das Bild des Swami vor meinem inneren Auge auf, aber ich verdränge es und widme mich dem Hier und Jetzt. Eine Gruppe von Holländern hat das kleine Restaurant betreten. Ein junger Mann, Typ gut aussehender Surfer, spricht uns erst auf Englisch an. Als ich ihm erkläre, dass ich Deutscher bin, wechselt er ins Deutsche und dann scheinbar ohne Mühe ins Französische. Obwohl er total nett ist, habe ich eine gewisse Antipathie gegen ihn, ich  weiß nicht warum. Er fragt, ob wir uns nicht alle zusammensetzen wollen, und da Annelore offensichtlich Lust dazu hat, weigere ich mich nicht und schon sitzen wir mit einer Gruppe hungriger und versoffener junger Holländer zusammen. Es sind auch Mädchen dabei, die auf ihre Art sehr attraktiv sind. Der Surfer spricht die ganze Zeit französisch mit Annelore und obwohl ich sehr viel gelernt habe, bekomme ich nur die Hälfte mit. Aber Annelore lacht, und trotz meiner aufkommenden Eifersucht ist mir klar, dass ihr Lachen so wertvoll ist, dass ich meine Gefühle einfach runterschlucke. Wir trinken einige Biere und gehen dann gesammelt an den Strand. Der Mond leuchtet über dem Meer. Es ist nahezu windstill und wären wir nicht so laut, könnte es sehr ruhig sein, obwohl ich beim genauen Hinsehen erkenne, dass überall kleine und größere Gruppen von Leuten sitzen. Einige haben Feuer gemacht, und plötzlich weiß ich gar nicht mehr, wie ich es still finden konnte, denn ich höre von allen Seiten Musik. Einer der Holländer hat seine Gitarre geholt, und während zwei andere Feuer machen, singt eines der Mädchen dazu. Es muss eine Art eines holländischen Volkslieds sein, was sie singen, denn es rührt mich an, auf eine ganz ungewöhnliche und tiefe Weise. Annelore hat sich von Ruud – ja, er heißt genauso wie der holländische Fussballer – gelöst und nimmt meine Hand. Es ist ein perfekter Moment, den man erst als solchen erkennt, wenn er vorbei ist. Seinen immensen Wert erkennt man daran, wie traurig es ist, wenn der Moment wieder vergangen  ist.

Nun singt auch Ruud und das macht er nicht schlecht. Eines der Mädchen setzt sich neben uns und bietet uns einen Joint an. Einem Moment lang zögere ich, zu lange habe ich nicht mehr geraucht oder gekifft, aber dann nehme ich ihn doch und ziehe. Natürlich fange ich an zu husten und dann bald auch zu kichern. Ich hatte ganz vergessen, wie lustig das Kiffen sein kann. Das Mädchen redet auf mich ein, auch Annelore hat inzwischen gezogen und sich nach hinten fallen lassen. Ich frage sie etwas verspätet nach ihrem Namen. Sie heißt Betje und wohnt eigentlich in Amsterdam.

<<Na, dann ist es ja kein Wunder, dass du kiffst..>>, necke ich sie ein wenig.

<<Immer diese Vorurteile.>>, erwidert sie und lächelt.

Ihr Lächeln animiert mich dazu, von meinen Reisen nach Amsterdam zu erzählen. So vergeht der Abend. Angenehm blau und stoned fallen Annelore und ich erst in unsere Hütte und dann übereinander her.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 27

März 22, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

27. Kapitel: Der Swami

Der Mensch kann sich an alles gewöhnen, denn er ist unglaublich anpassungsfähig, und wenn er sich an etwas gewöhnt hat, findet er sogar häufig Gefallen daran. So ergeht es mir auch im Ashram. Ich finde immer mehr zu mir selbst und es stört mich auch nicht, dass der Swami auch nach fünf Tagen  noch nicht da ist. Das einzige, was mir wirklich Sorgen macht, ist Annelore. Sie zieht sich immer mehr zurück, und wenn wir uns zwischen den Mahlzeiten und Meditationen kurz sehen können, versichert sie mir, dass es ihr gut gehen würde, aber sie sieht nicht so aus. Jeden Tag geht das Gerücht herum, dass der Swami kommt und gestern hatten wir uns fast vollständig im Meditationsraum versammelt und gesungen, aber er kam nicht. Tom kommt vorbei und sagt mir, dass wir uns auch jetzt wieder versammeln sollen, denn der Swami ist gekommen. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht, aber ich suche mir einen Platz zum Sitzen und beobachte, wie die Leute in den Raum strömen. Annelore kommt auch und winkt mir zu. Dann beginnt erneut das Warten. Ich rechne nicht damit, dass der Swami kommt, bin deswegen auch recht entspannt und genieße es, einfach nur dasitzen zu können und nichts tun zu müssen, aber dann entsteht eine Unruhe, die sich wie eine Welle durch den Raum bewegt. In dem Moment, in dem mich die Welle überrollt, kommt in ihrem Fahrwasser der Swami in den Raum gerauscht. Als hätte jemand einen Lichtschalter betätigt, so verändert sich die Grundstimmung. Plötzlich ist sehr viel mehr Stille da, aber eine Stille, die zum Bersten angefüllt ist mit Energie. Ähnlich wie bei Rahula fällt es mir sehr schwer zu denken, all meine Energie ist auf den Moment, ist auf den Swami gerichtet, der inzwischen in seinem Sessel Platz genommen hat und uns wohlwollend betrachtet. Er ist älter, als ich gedacht habe und er hat entfernt Ähnlichkeit mit Bhagwan, obwohl er viel einfacher gekleidet ist und auch auf dem Kopf noch mehr Haare hat. Aber seine dunklen Augen sind ähnlich durchdringend wie man das von den Fotos von Bhagwan kennt. Durch mein frühes Erscheinen habe ich das Glück relativ weit vorne zu sitzen und als mich sein Blick streift, habe ich das Gefühl durchleuchtet zu werden. Nichts scheint seinem Blick verborgen zu bleiben. Aber ich empfinde keine Scham, fast schon euphorisch biete ich ihm mein Innerstes dar, aber da erfasst sein Blick schon jemand anderen. Auch hier lassen sich extreme Reaktionen beobachten. Manche Leute fangen an zu weinen oder machen unwillkürliche Bewegungen, viele verbeugen sich, wenn sein Blick auf sie fällt und nicht nur einer versucht seine Füße zu berühren, was aber in der Regel von ihm oder dem Vorsteher verhindert wird, der sich ganz in der Nähe des Swami aufhält. Ich versuche einen Blick von Annelore zu erhaschen, sie sitzt aber so, dass ich sie nicht sehen kann. Der Swami beginnt zu sprechen, er spricht ein gutes, klares Englisch, aber das Wesentliche wird über ihn, über seine Person vermittelt. Für mich öffnet sich der Raum und Bewusstsein erfüllt alles. Ich bekomme kaum mit, was der Swami sagt, ich bin wie abwesend, bin dabei aber voll da. Es lässt sich nicht beschreiben.

In den nächsten Tagen bin ich total abgehoben. Ich laufe wie im Wahn durch die Gegend. Da ist Glückseligkeit und kein Widerstand gegen das, was ich mache oder bin. Ich lebe in meiner eigenen Welt und habe das Gefühl, in telepathischer Verbindung mit dem Swami zu stehen. Das äußert sich so, dass ich seine ständige Präsenz in mir spüre, so als wäre er immer mit mir. Er bekommt meine Gedanken mit, kann meine Gefühle fühlen, er ist ich. Im psychologischen Kontext könnte man dieses vielleicht als Psychose oder ähnlich benennen und viele Menschen könnten Ängste entwickeln, wenn sie das Gefühl hätten, jemand Fremdes wäre in ihnen. Aber so ist das nicht. Der Swami steht für das Göttliche in mir. Dieses Göttliche ist immer da, es wird nur von mir meistens nicht wahrgenommen, weil ich mit den Gedanken und Empfindungen meiner Person beschäftigt und identifiziert bin. Diese Identifikation mit der Person überdeckt das Göttliche. Die überwältigende Präsenz des Swami lässt die Person in den Hintergrund treten und damit wird das Göttliche in Form des Swami in mir deutlicher. Dieser Zustand des Seins ist glückselig. Es ist nicht richtig zu sagen, dass er glücklich macht, denn er macht gar nichts. Auch hier ist es eher so, dass die mir innewohnende Glückseligkeit wach geworden ist. In dieser Glückseligkeit ist alles gut. Im Prinzip ist es völlig egal, was ich tue, ob ich abwasche, meditiere oder nur auf der Veranda sitze und in die Gegend schaue, denn der Reichtum des inneren Seins überstrahlt alles. Nichtsdestotrotz kann ich wahrnehmen, dass es nicht allen, die hier sind, so geht wie mir. Viele sehen unglücklich aus. Ich kann das Verlangen nach Frieden und Glück in ihnen sehen und wie sie das auf den Swami projizieren. Sie hoffen, sie erwarten, dass er, oder dass seine Gegenwart, ihnen genau das geben wird. Einerseits ist diese Hoffnung vergeblich, denn sie können Frieden und Glück nur in sich selbst finden, keiner kann es ihnen geben und andererseits kann man an meinem Beispiel sehen, dass die Gegenwart einer solchen Person wie des Swami tatsächlich bewirken kann, dass die innere Göttlichkeit deutlicher wird. Auch dies scheint ein Paradox zu sein und in den Momenten der Glückseligkeit könnte ich diese Gedanken überhaupt nicht formulieren, denn diese Fähigkeit zur Reflexion geht mir da völlig ab. Wenn ich Annelore sehe oder ihr begegne, strahle ich sie an, aber sie erwidert mein Strahlen nicht. Ganz im Gegenteil schüttelt sie den Kopf und sieht traurig aus. Viel später erfahre ich, dass sie nicht nur das nicht empfindet, was ich fühle und erfahre, sondern zusätzlich noch darunter leidet, dass wir auch innerlich so weit voneinander entfernt sind.

Beim abendlichen Treffen geht es hoch her. Schon am zweiten Abend werden Bajans gesungen.  Bajans sind religiöse Lieder zur Lobpreisung Gottes. Viele der Frauen haben wunderschöne Stimmen und die meisten kennen die Bajans sehr gut. Im gemeinschaftlichen spirituellen Singen entsteht eine starke Energie, die in der Steigerung der Lieder so richtig abhebt. Mein Herz öffnet sich und alles fließt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich schon jemals so glücklich war und ich will mich auch gar nicht erinnern, sondern bade in diesen Gefühlen. Annelore sehe ich so gut wie gar nicht, und auch wenn meine Gedanken immer wieder kurz zu ihr hineilen, so halten sie sich nicht lang, und ich bin wieder eingenommen von der Energie um mich und in mir. Die folgenden Tage sind wie ein großer Rausch für mich. Jeder Abend ist mit dem Singen in der Gegenwart des Meisters der absolute Höhepunkt. Während dieser Tage verschwimmt der Unterschied zwischen innen und außen immer mehr. Doch niemand ist eine Insel und das Prinzip der ständigen Wandlung von allem, wirkt auch hier. Nach meinem Küchendienst fängt mich Annelore ab.

<<Ich muss dringend mit dir reden.>>, sagt sie.

Ich folge ihr nach draußen. Sie geht immer weiter, und ich verlasse nach sieben Tagen das erste Mal den Ashram. Ein leichtes Unbehagen mischt sich in meine Glückseligkeit und dazu kommt eine  gewisse innere Spannung, was Annelore mir wohl so wichtiges zu sagen hat. Sie geht mit mir zielstrebig zu einer Art Kabuff, in dem ein Inder Tee ausschenkt. Ich blicke ihn an und wundere mich, wie man ohne Zähne so lächeln kann. Die hygienischen Umstände sind eine Katastrophe, aber der Tee ist sehr lecker. Annelore schaut mich mit ihren grünbraunen Augen intensiv an. Dann sagt sie: <<Das wird dir jetzt nicht gefallen, aber ich kann es im Ashram nicht mehr aushalten. ich bin nur wegen dir so lange geblieben und nun kann ich nicht mehr. Entweder verlassen wir den Ashram morgen gemeinsam oder ich gehe!>>

Damit habe ich jetzt nicht gerechnet, und zuerst bin ich sprachlos. Ein leises Entsetzen dringt von unten in mich ein und verdrängt dabei die Glückseligkeit. Ich habe schon gesehen, dass es Annelore nicht so besonders gut geht, aber wie furchtbar sie die Zeit im Ashram findet, ist mir nicht bewusst gewesen. Aber am meisten schockiert mich ihr Ultimatum! Wenn ich bleibe, verliere ich sie. Wenn ich mit ihr gehe, verliere ich den Swami und unterbreche den Prozess in mir. Fast hilflos frage ich:

<<Und was ist mit dem Swami?>>

<<Ist mir egal.>>, antwortet Annelore mir lakonisch.

Sie berührt mich nicht und macht auch keine Anstalten, das zu ändern. Mir fällt es sehr schwer mich überhaupt zu konzentrieren und ich fühle mich außerstande eine Entscheidung zu treffen. Diesmal ist die Stille bedrohlich, die zwischen mir und Annelore entsteht, weil sie erfüllt mit unausgesprochenen Gefühlen ist, und weil sie mich belastet. Ich verstehe nicht, dass meine geliebte Annelore das Leben im Ashram und den Swami so ganz anders wahrnimmt als ich. Wie kann das sein? Ich frage sie, was sie von mir erwartet. Erst zuckt sie mit den Schultern, dann aber sagt sie, dass sie erwartet, dass ich zu ihr halte und sie in dieser für sie schweren Situation unterstütze und für sie da bin. Damit überzeugt sie mich, und ich habe auch keine wirkliche Wahl. Lasse ich sie allein abfahren, habe ich im Ashram auch keine ruhige Minute mehr. Schweigend gehen wir dorthin zurück. Mit einer kurzen Umarmung vergewissere ich Annelore, dass ich die Geschichte klären werde und gehe direkt zum Zimmer des Vorstehers. Dieser empfängt mich auch gleich und hört sich schweigend meine Erklärung an. Fast etwas mitleidig folgt er meinen Worten.

<<Du weißt, welche Chance du jetzt auslässt?>>, fragt er mich.

Weiß ich wirklich genau, welche Chance ich auslasse? Ich kann es nicht sagen, aber ich bleibe bei dem von mir gefällten Entschluss. Ich liebe Annelore und ich fühle mich ihr verpflichtet. Das sage ich dem Vorsteher nicht, aber ich versichere ihm, dass die Präsenz des Swami mich erreicht hat, und dass ich wiederkommen werde, wenn es mir möglich ist.

Am Abend sitze ich noch einmal beim Swami. Niemand hat es mir verwehrt. Wieder ruht sein Blick lange auf mir und mir ist innerlich klar, dass niemand ihm etwas erklären muss, dass er mich besser kennt, als ich mich selbst kenne. In seinem Blick liegt nichts anderes als Liebe und Verständnis. Da gibt es keine Trennung außer der, die ich ziehe. Annelore dagegen ist nicht zu sehen. Am nächsten Morgen stehen wir zeitig auf und verlassen den Ashram jeder für sich. Als ich vor den Ashram trete, wartet sie schon auf mich. Voller Wehmut schaue ich nochmal zurück, Annelore schaut nach vorne. Mit dem Bus kehren wir zurück nach Mumbai, um erst einmal durchzuatmen, uns zu sortieren und vor allem, um zu entscheiden, was wir nun eigentlich tun wollen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 26

März 21, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

26. Kapitel: Im Ashram

Wenn ich irgendwo zu Gast bin, dann achte ich auch die Gebräuche der Gastgeber. Doch schon die  erste Regel, die mir an der Rezeption begegnet, gefällt mir nicht und Annelore auch nicht, wie ich ihrer Mimik entnehme. Die erste Regel im Ashram lautet, dass Mann und Frau getrennt leben müssen, wenn sie nicht verheiratet sind. Ist es wirklich nur mein Ego, das sich sofort die Frage stellt, was das mit Freiheit zu tun hat. Muss man erst bestimmte Bedingungen erfüllen, bevor man frei sein darf? Sagen die großen Meister nicht, dass wir von Natur aus frei sind und das nur erkennen müssen? Wie kann mir die Erkenntnis von meiner Freundin getrennt zu sein dabei helfen? Andererseits ist Indien ein konservatives Land, und die westlichen Frauen können auch einem streng meditierenden Inder die Ruhe und Gelassenheit rauben. Davon einmal abgesehen, ist der Ashram sehr schön. Die Gebäude sind einfach, aber sauber und das Holz, aus dem sie gebaut sind, gibt dem Ganzen einen gemütlichen Anstrich. Es ist tatsächlich möglich eine Zeitlang im Ashram zu wohnen, wenn man bereit ist, die dort herrschenden Regeln zu beachten. Dazu gehört neben der Trennung von Mann und Frau auch, dass man den täglichen Ablauf mit gestaltet, also auch mitarbeitet, mithilft. Nach kurzer Beratung sind wir beide bereit, die Mindestdauer von 14 Tagen dort zu bleiben. Auf meine Frage, ob denn der Swami anwesend ist, bekomme ich keine Antwort. Unsere leider voneinander getrennten Zimmer sind sehr einfach, aber sauber. Die ganze Anlage vermittelt Ruhe und Stille und sehr schnell habe ich das Gefühl, angekommen zu sein, und wenn die Kühe nicht wären, die tatsächlich überall herumlaufen, könnte ich auch in irgendeinem anderen Land sein. Ich hatte erwartet, dass diesen Ashram hauptsächlich Inder aufsuchen würden, in Wirklichkeit ist es aber eine Mischung aus Indern und Ausländern, von denen wiederum sehr viele Amerikaner sind. Leider kommt es aufgrund des straffen Tagesplans, der vielen Meditationen und der Stille kaum zu einem Austausch. Schon an unserem ersten Morgen, für mich ist es eigentlich noch Nacht, denn um 4.30 Uhr beginnt für mich noch nicht der Tag, geht es los mit der ersten Meditation. Wir sitzen alle in einem großen Raum, auf der einen Seite sitzen die Frauen und auf der anderen Seite die Männer. Ganz kurz kann ich Annelore sehen, sie winkt mir verstohlen zu, sieht aber müde und unglücklich aus. Ein streng aussehender Inder sitzt etwas erhöht in der Mitte und betätigt den Gong. Ohne genau zu wissen, wie oder nach welcher Methode oder wie lange, sitzen wir in der Stille, die nur von den ersten Vögeln unterbrochen wird, die den Morgen mit ihrem Gesang begrüßen. Zuerst geht es mir sehr gut. Die Stille breitet sich in mir aus und ich bin erfüllt von – im Grunde Nichts, aber das fühlt sich gut und richtig an. Mit der Zeit tun mir dann aber die Beine und der Rücken weh, aber diese Schmerzen kenne ich und das kann ich ganz gut aushalten. Dann aber werde ich sehr müde und sacke immer wieder in mich zusammen, weil ich wohl kurz einschlafe. In diesem Zustand zwischen wachen und schlafen wird mir die Zeit sehr lang und ich sehne das Ende der Meditation herbei. Nach einer kleinen gefühlten Ewigkeit ist es dann soweit, und der Gong ertönt. Eine gute Stunde haben wir gesessen. Ich habe jetzt doch gehörige Schmerzen in den Beinen und im Rücken, ich habe Hunger, und ich habe Sehnsucht nach Annelore. Während ich mit den anderen in den Essraum wandere, frage ich mich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen ist, hierher zu fahren. Bei dem einfachen Essen sind Männer und Frauen auch getrennt, und ich habe keine Gelegenheit mit Annelore zu reden. Mir ist das hier angewendete Prinzip schon klar. Die einfache und nüchterne Atmosphäre des Ashrams soll uns helfen herauszufinden, wo unsere Ego-Strukturen liegen. Wir Menschen werden in der Regel von Süchten, Wünschen und Begierden beherrscht. In unserem Alltag können wir unser Leben so ausrichten, dass es wenig Probleme macht, diese Ego-Strukturen zu leben. Im Ashram ist das allerdings nicht mehr möglich. Hier werden diese Strukturen sichtbar, sie sind dem Licht des Bewusstseins ausgesetzt, und wir können kaum noch daran vorbeischauen. Erst, wenn uns diese Strukturen bewusst sind, können wir daran gehen, sie zu lösen und damit uns selbst davon zu befreien und eine andere Wirklichkeit wahrzunehmen. Wie bereits gesagt, ist mir das klar, hilft mir aber wenig, weil die Begierden in mir so stark werden, dass sie die Einsicht nicht mehr wirklich durchscheinen lassen. Und so entsteht allmählich immer mehr Widerstand.

Nach dem Frühstück haben wir Neuankömmlinge ein Gespräch mit dem Vorsteher, so nenne ich den Mönch, der hier das Sagen hat. Beim Warten auf das Gespräch kann ich mich kurz mit Annelore in eine Ecke verziehen. Es geht ihr nicht gut, sie hat Magenschmerzen, ist von der ersten Nacht von den Mücken stark zerstochen und den Tränen nah. Ich fehle ihr. Ich kann an ihrem Beispiel deutlicher als an mir selbst erkennen, wie sie ihr eigenes Unwohlsein nach außen projiziert.  Genauso projiziert sie auch die mögliche Heilung auf mich. Ich versuche sie zu beruhigen, indem ich ihr versichere, dass wir ja jederzeit gehen können, auch wenn ich weiß, dass man sich im Prinzip verpflichtet, eine gewisse Zeit dazubleiben, um den Prozessen Raum zu geben, damit sie sich entfalten können und man nicht sofort flieht, wenn es zu schmerzhaft wird. Ähnliches vermittelt mir auch der Vorsteher in unserem kurzen Gespräch. Dabei wirkt er viel netter und sympathischer als zuvor. Er gibt an, dass wir uns für mindestens zwei Wochen verpflichten müssen, dazubleiben. Dann teilt er mir eine Arbeit zu, ich darf in der Küche helfen. Auf meine Frage, ob denn der Swami anwesend ist, antwortet er mir, dass der Swami verreist ist, aber in den nächsten Tagen wieder hier erwartet wird. Nach mir geht Annelore in den Raum, ich kann sie noch kurz an der Schultern drücken und gehe dann zur Küche, meine Arbeit antreten. Zusammen mit einem Amerikaner namens Tom bin ich für den Abwasch zuständig. Zuerst trockne ich und Tom spült, irgendwann wechseln wir uns ab. Tom kommt schon seit Jahren in den Ashram. Er berichtet mir, dass er hier zu sich selbst findet, wie ihm das in seinem Alltag so nicht möglich ist. Ich frage ihn nach dem Swami.

<<Wenn du mit ihm in einem Raum bist, dann ist da nur noch Licht und Bewusstsein. Du schaffst es kaum noch zu denken.>>

Das, so erklärt er mir, bringt einen in Kontakt mit unserem wahren Wesen, mit dem, was wir wirklich sind. Ich bin beeindruckt und so vergeht die Arbeit in Windeseile. Danach kann meditiert oder gesungen werden. Ich ziehe es vor, ein wenig nach draußen zu gehen. Ich schaue nach Annelore und finde sie schließlich auch. Sie erzählt mir, dass sie Böden schrubben musste.

<<Dafür bin ich doch nicht nach Indien gereist>>, sagt sie und fängt wieder an zu weinen. Ich ahne, dass dies wichtige Prozesse für sie sind, will sie aber nicht belehren, sondern für sie da sein. Ich tröste sie damit, dass sich alles nochmal verändern wird, wenn der Swami kommt.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 25

März 20, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

25. Kapitel: Indien

Man sagt ja, was lange währt, wird endlich gut. Wir sind total gerädert, als das Flugzeug endlich landet. Der Flug ist lang und anstrengend gewesen, und die Luft ist irgendwann nicht mehr wirklich atembar. Annelore hat Kopfschmerzen und sieht echt fertig aus. Wieder einmal beglückwünsche ich mich dazu, dass ich Vorsorge getroffen und schon ein Hotel gebucht habe und dass ich darauf geachtet habe, dass wir dort zu jeder beliebigen Zeit eintreffen können. Es ist mitten in der Nacht, und wir laufen mit anderen Passagieren, die ähnlich wie wir gut als Zombies durchgehen könnten, durch menschenleere Tunnel, bis wir in einer großen Halle auf unser Gepäck warten. Auch das dauert ewig lange, aber wir haben Glück und unser Gepäck ist dabei. Nach einer erneuten langen Wartezeit bei der Einreise tauschen wir Geld um. Für unsere Euros bekommen wir einen richtigen Haufen Rupien. In meinem übermüdeten Zustand begreife ich kaum, was das wert ist und nehme es eher hin. In dem Moment, in dem wir den vollklimatisierten Flughafen verlassen, bekomme ich einen Schlag. Es ist dermaßen heiß und die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass ich das Gefühl habe, einen Kreislaufkollaps zu bekommen. Außerdem bedrängen uns sofort etliche Inder, die unser Gepäck nehmen, uns tolle Hotels empfehlen oder einfach unser Geld wollen. Sie wollen uns. Willkommen in Indien, denke ich, während Annelore regelrecht panisch aussieht, als die Leute auch nach mehrmaligen lauten Worten immer noch nicht von ihr ablassen wollen. Ich trete ganz bestimmt auf, schreie mehrmals „Nein“ in verschiedenen Sprachen zu allen Seiten, nehme Annelore bei der Hand und gehe zielstrebig auf die Taxis zu. Als wäre das ein geheimes Symbol lassen die Bettler und Bittsteller von uns ab, nur ein kleiner Junge folgt uns noch, guckt uns mit großen dunklen, leicht feuchten und aufgerissenen Augen an und macht immer wieder die Geste, die nicht misszuverstehen ist. Er hat Hunger oder tut zumindest so. Annelore ist mit den Nerven am Ende, und sie sieht so aus, als wenn sie gleich anfangen würde zu weinen. Ich werfe dem Jungen ein paar Rupien hin, höchstwahrscheinlich viel zu viel, und zerre Annelore ins Taxi. Das Taxi sieht wie ein alter englischer Oldtimer aus, ist schwarz mit einem gelben Dach. Der Fahrer spricht natürlich nur gebrochenes Englisch und will nichts davon verstehen oder wie ich vermute wissen, dass ich mit ihm einen Fahrpreis zum Hotel ausmachen will. Denn so war es mir in den Reiseführern empfohlen worden. Erst als ich damit drohe, den Wagen zu verlassen, indem ich die Tür öffne, was mir einen empörten Blick von Annelore einbringt, ist er bereit einen Preis zu nennen. Ich nenne daraufhin einen niedrigeren, bis wir uns einig sind. Der Fahrer schimpft zwar ein wenig, ist aber anscheinend immer noch zufrieden, denn er fährt sofort los, natürlich ohne darauf zu achten, ob irgendein anderer Verkehrsteilnehmer gerade auf der Straße ist. Es gibt sicherlich schönere Erlebnisse als schlaftrunken mitten in der Nacht durch die Slums von Mumbai zu fahren. Es ist sogar erschreckend die Armut zu sehen, die sich am Straßenrand zeigt. Hier finden sich Menschen, die gar nichts haben, noch nicht einmal einen Platz zum Schlafen. Auch Annelore wirkt verschreckt. Es wird Zeit, dass wir ins Hotel kommen. Der Taxifahrer fährt unbekümmert durch die Stadt, die so etwas wie Nachtruhe nicht kennt, denn es ist zu allem anderen auch noch tierisch laut. Nach einer Weile kommen wir in ein etwas weniger armes und ruhigeres Viertel, dort, vor unserem Hotel, hält der Wagen. Wir bringen die Anmeldung mit einem unnatürlich fröhlichen, wachen und sehr gut englisch sprechenden Mann irgendwie hinter uns und fallen nur noch ins Bett.

Wir schlafen durch bis zum Mittag des nächsten Tages. Selbst hier inmitten der Stadt klingt es, als wären wir im botanischen Garten, Vogelstimmen konkurrieren mit dem Lärm der Straße. Es ist sehr warm, und ich habe das Laken trotz Ventilator durchgeschwitzt. Annelore ist im Bad und duscht. Ich höre sie durch die Tür französisch singen, und einmal mehr bin ich froh, dass ich nicht allein unterwegs bin. Sie kommt ins Zimmer und trägt nur ihr Handtuch und auch das nicht lange.

Kurz darauf essen wir im Hotel. Für das Frühstück ist es inzwischen viel zu spät, aber mir schmeckt auch jetzt schon ein leckeres vegetarisches Reisgericht. Dazu trinken wir köstlichen frischen Mangosaft, ja, so kann man es aushalten, nur schade, dass unsere Reisekasse es uns nicht erlaubt, allzu lange in diesem Hotel zu verbleiben. Auf mein Anraten hin nehmen wir uns eine  motorisierte Rikscha, letztlich nichts anderes als ein Mofa mit einem Anhänger, und lassen uns durch die Stadt kutschieren. Ich empfehle Annelore, jetzt noch nichts zu kaufen, denn wir müssten dann alles die ganze Zeit mitschleppen. Aber wir schauen uns verschiedene Tempel, Museen und etliche andere abgefahrene Bauwerke an. Zuerst fühlen wir uns noch unsicher, aber im Verlauf des Tages werden wir selbstsicherer und können uns der Bettler immer besser erwehren. Kurz gesagt, haben wir viel Spaß. Am Abend speisen wir in einem sehr netten Restaurant und sind dann vom Flug noch so müde, dass wir froh sind, noch eine Nacht unser tolles Hotel zu haben. Bei einer Flasche Bier planen wir unseren Tripp in den Ashram. Seit unserer Fahrt nach Lourdes lassen mich die Erzählungen von dem Swami nicht mehr in Ruhe und nun wird es endlich so sein, dass wir zumindest den Ashram besuchen werden, obwohl ich keine Ahnung habe, ob der Swami da ist  und ob es uns möglich sein wird, ihn zu sehen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 24

März 19, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

24. Kapitel: Die Reise beginnt

An einem Dienstag im Januar habe ich meinen letzten Arbeitstag. Ich bin total gerührt, dass mich viele der Kollegen mit einem Geschenk, einem Bildband über Indien, verabschieden. Hannah ist auch dabei. Es scheint, dass ich vielen ans Herz gewachsen bin, auch wenn ich noch nicht so lange dabei bin. Der Chef hat mir vorab versichert, dass es hier einen Platz für mich gibt, wenn ich das Abenteuer Indien hinter mir habe, so wie er sich ausgedrückt hat. Nach Umarmungen und vielen Wünschen trete ich aus der Buchhandlung in den eisigen Hamburger Abend. Annelore wartet auf mich und sieht so verfroren aus, dass ich mit ihr in den nächsten Imbiss gehe und ihr einen Tee bestelle.

<<In drei Tagen ist es so warm, dass uns dies nur wie ein Alptraum vorkommt.>>, sage ich zu ihr, und sie lächelt mich an und freut sich. Sie erzählt mir, dass es bei ihr in Bordeaux nur sehr selten so kalt wird. Mein Zimmer habe ich inzwischen gekündigt, was mir nicht schwer fiel, denn es war schwierig für uns in diesem winzigen Raum zu zweit zu leben und es spricht für Annelore und mich, dass unsere Beziehung das überlebt hat. Und nun soll es tatsächlich bald losgehen. Wir sind  schon ziemlich nervös und checken immer wieder unsere Papiere und das Gepäck.

Am nächsten Morgen ist es soweit, dass wir am Hamburger Flughafen stehen und die gewaltige Konstruktion der Schalterhalle bewundern. Wir werden zuerst nach Frankfurt fliegen und von dort  über Nacht nach Mumbai, was viele noch als Bombay kennen. In Mumbai werden wir ein paar Tage bleiben und von dort aus sind unsere Ziele per Zug oder Taxi zu erreichen. Unsere Visa gelten für sechs Monate, und da haben wir wohl Glück gehabt, denn ich habe gehört, dass sie in Indien dabei sind, es ändern zu wollen. Ich spüre deutlich das innere Kribbeln, das ich immer habe, wenn ich verreise. Es ist eine Mischung aus Nervosität und Aufgeregtheit, die zusammen dieses Körpergefühl erzeugen, aber Annelore ist an meiner Seite und gemeinsam ist da mehr Freude als Befürchtung. Etliche der Menschen in der großen Schalterhalle werden wohl auf die Kanarischen Inseln fliegen, denn sie vermitteln eine Mischung aus momentaner Kälte und dem Wunsch und der Aussicht auf Wärme. Außerdem sind da natürlich sehr viele Geschäftsleute. Es dauert nicht lange, dann sind wir dran, uns in den Wartebereich zu begeben. Ein letztes Mal werden wir kontrolliert, und nun gibt es keinen Weg mehr zurück. In langen Diskussionen haben Annelore und ich uns bemüht, unser Gepäck so gering wie möglich zu gestalten. „Wer mit geringen Gepäck reist, kommt schneller an“, hat einmal ein Guru gesagt, er meinte natürlich das innere Gepäck wie Charaktereigenschaften, Ängste, Zwänge und innere Strukturen, die wir ständig mit uns mitschleppen, aber ich denke mir, dass es auch für das äußere Gepäck gilt. Außerdem kann man sich in Indien für wenig Geld alles neu kaufen. Damit hatte ich Annelore überzeugt, denn sie hatte viele schöne Kleidungsstücke aus Frankreich in den Hamburger Winter mitgebracht und musste diese, genauso wie ich meine bescheidene Habe, einlagern. Nun sind wir auf das Wesentliche reduziert und können an Bord gehen. Immer wieder bin ich überrascht von der unpersönlichen Art und Weise, wie das Reisen abläuft. Man wird fast wie eine Art von Ware behandelt. Gut, bei der Fluggesellschaft, die uns nach Frankfurt schafft, gelten wir wohl als gute oder wertvolle Ware, aber nichtsdestotrotz als Ware. Dann sind wir endlich im Flugzeug, der Flug geht los. Kaum sitzen wir und trinken einen Saft, schon können wir uns wieder anschnallen, denn Frankfurt ist schnell erreicht. Wenn alles beim Fliegen so schnell gehen würde wie das Fliegen selbst, könnte man unglaublich geschwind reisen. Zum Glück konnten wir unser Gepäck schon bis Indien aufgeben und so haben wir jetzt Zeit, bis der Flug nach Mumbai losgeht. Wir fühlen uns irgendwie zwischen den Stühlen, weil wir schon weg, aber noch nicht da sind. Wir laufen über den Flughafen, schauen uns Zeitschriften und überteuerte Klamotten an, essen ein ebenfalls teures Sandwich und warten. Und warten. Und warten. Aber so rätselhaft Zeit auch ist, irgendwann ist es soweit und der erwartete Zeitpunkt ist da und so steigen wir in unser nächstes Flugzeug. Dieses ist ein richtiger Jumbo und weniger komfortabel, als es der Flieger nach Frankfurt war, aber das macht uns nichts, denn nun sind wir wirklich unterwegs.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 23

März 18, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

23. Kapitel: Nur noch wenige Schritte

Letztlich bin ich es dann, der Annelore`s Shampoo, das so tolle Weihnachtsgeschenk, benutzt. Ich finde es schade, es wegzuschmeißen, weil es bestimmt nicht billig war und auch nicht schlecht ist. Ich gewöhne mich daran. Annelore sagt dann immer, dass ich so riechen würde, wie es meine Mutter gewollt hätte, dass sie riecht. Ich versichere ihr dann immer, dass sie es gut gemeint hat mit den Geschenken für sie zu Weihnachten.

<<Aber wie deine Mutter mich am Tisch angeblickt hat, das war komisch.>>, sagt Annelore zu mir. Ich spreche dann davon, dass sie in Annelore wohl ihre eigene Jugend sieht und die Möglichkeiten, die sie nicht hatte, wie zum Beispiel nach Indien zu fahren. Annelore gibt sich damit zufrieden, aber wir  wissen, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Trotzdem greife ich dieses Thema nicht wieder auf. Stattdessen haben wir genug damit zu tun, unsere nun immer näher rückende Indienreise zu organisieren. Das ist umso schwieriger, da ich nebenbei immer noch in der Buchhandlung arbeite.

Es ist ein kalter Tag Ende Januar, an dem Annelore und ich Bilanz ziehen, um einfach mal zu schauen, wie weit wir nun eigentlich sind. Ich habe noch genau 7 Tage zu arbeiten, wir haben die Flüge, haben Hotels für die ersten Tage reserviert. Wir haben uns die Visa besorgt, unsere Pässe sind auf dem neuesten Stand, wir haben Reiseführer, Karten, Medikamente und homöopathische Mittel, so dass wir doch schon gut davor sind. Ich erinnere Annelore in diesem Zusammenhang daran, dass Rahula, der Meister des Advaita, erneut in der Gegend ist und da er mich sehr beeindruckt hat, möchte ich mit Annelore zu ihm gehen. Sie ist ganz begeistert von der Idee und ich rufe gleich bei der Frau an, die das Treffen mit ihm organisiert. Sie erinnert sich an mich und ich frage sie, wie es kommt, dass er so schnell wieder nach Hamburg kommt. Sie erklärt mir, dass seine Handlungsweisen nicht immer logischen Mustern folgen. Der Meister folgt nur seiner Intuition, was die Organisation immer recht schwierig für sie macht. Dabei lacht sie, so dass für mich klar ist, dass sie diese Schwierigkeiten mit Humor nimmt. Sie freut sich, dass ich nochmal kommen möchte und sogar jemanden mitbringe. Annelore und ich feiern diesen gelungenen Abend mit einer guten Flasche Rotwein im Bett.

Zwei Tage später ist es soweit. Annelore holt mich von der Buchhandlung ab, und wir fahren mit dem Bus in den nahe gelegenen Stadtteil, wo der Satsang mit Rahula stattfinden wird. Annelore fragt mich nach der Bedeutung des Wortes Satsang. Es kommt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich „Zusammensein in Wahrheit“, wird aber auch benutzt, wenn spirituell gesinnte Leute zusammenkommen. Annelore ist etwas nervös und hat Angst, dass sie nicht alles verstehen wird, aber da beruhige ich sie. Wir sind recht früh da und bekommen Sitzplätze auf Stühlen in der ersten Reihe. Vor uns sitzen die meisten Leute auf dem Boden, um nicht höher zu sitzen als der Meister, erkläre ich Annelore, die nickt, dann aber meint, ob wir nicht auch lieber auf dem Boden sitzen wollen. Da wir hier im Westen sind und Stühle bereit gestellt worden sind, denke ich, dass es wohl in Ordnung ist, diese auch zu benutzen. Dann reden wir nicht mehr. Ich schließe meine Augen, und es dauert nach dem anstrengenden Arbeitstag nicht lange, bis ich eingeschlafen bin. Das merke ich aber erst, als mich Annelore sanft berührt. An meinem Atem hat sie gemerkt, dass ich abgeglitten bin und holt mich liebevoll zurück. Ich schaue in ihre Augen und bin glücklich. Kurz darauf betritt Rahula den Raum. Es kommt mir so vor, als hätte ich ihn gerade erst gesehen, dabei ist es schon einige Wochen her, dass ich bei ihm war. Sofort steigt ein warmes Gefühl in mir auf. Es ist, als wenn sich die Intensität und die Energie im Raum schlagartig erhöhen. Ich öffne meine Augen und schaue zu Annelore, aber sie hat ihre Augen geschlossen und scheint tief versunken zu sein. Der Meister grüßt wieder mit gefalteten Händen, schaut in die Runde und setzt sich dann. Er schließt seine Augen, und nun ist es so still im Raum, dass die Stille fast greifbar wird, als würde sich etwas verdichten, was keine Form hat. Natürlich hustet jemand, und mir wird bewusst, dass ich diesen kostbaren Moment damit zubringe zu denken. Ich lasse mich tiefer in mein Gefühl sinken und aus meinem Inneren steigt eine Form von Glückseligkeit auf, die alle anderen Empfindungen überlagert. Erst der Gong holt mich wieder zurück und mir wird bewusst, wie weit  ich gerade weg gewesen sein muss. Aber diesmal habe ich nicht geschlafen, sondern ich war jenseits des Ichs in einem anderen Raum und auch, wenn ich jetzt keine klare Erinnerung mehr daran habe, ist doch der Nachhall des Erlebten so groß, dass ich mich freue. Annelore schaut mich an und auch ihr Blick zeugt davon, dass es ihr ähnlich erging. Rahula schaut sich im Raum um und immer wieder bleibt sein Blick an einzelnen Menschen hängen und in diesem Moment passiert etwas mit ihnen. Manche fangen an zu lächeln, manche weinen, einige müssen wegschauen und bei anderen scheint auch etwas mit ihren Körpern zu passieren, denn diese fangen an, sich auf besondere Art zu bewegen, so, als würde Energie durch sie hindurch fließen, was wohl auch der Fall ist. Er schaut auch zu Annelore und mir. Ich habe den Eindruck, als würde er mich wieder erkennen und mir freundlich zulächeln. Ich muss mich schütteln, so stark ist die Energie, die von ihm ausgeht. Und er blickt lange, sehr lange zu Annelore. Ich kann es dabei nicht vermeiden, dass auch ein Gefühl von Eifersucht in mir aufsteigt. Vielleicht will er ja mehr von ihr und er findet sie bestimmt viel interessanter als mich, aber ich lasse diesen Gefühlen und Gedanken nicht viel Raum, sondern konzentriere mich mehr auf meine Atmung und richte mich auf die Stille aus. Annelore scheint nach dem langen Blickkontakt fassungslos zu sein, ganz anders sieht sie jetzt aus. Aber schon geht es weiter, denn der Meister beginnt zu reden. Er spricht von der Illusion, die uns umgibt, die unser Leben fest im Griff hält, weil wir glauben, die Person zu sein. Wieder schiebt sich ein  eigener Gedanke in seine Ausführungen. Wenn ich denn nicht die Person bin, wer bin ich dann und genau in diesem Moment fragt er uns:

<<Wenn du nicht die Person bist, wer bist du denn dann?>>

Er spricht wieder in Englisch, es wird aber simultan übersetzt. Die Synchronizität des Geschehens wundert mich schon gar nicht mehr. Er fährt fort, indem er eindringlich zum Ausdruck bringt, dass die Frage danach, wer wir in Wirklichkeit sind, die wichtigste Frage unseres Lebens ist. Wir sollten diese Frage so stellen, als wenn es für uns um Leben und Tod ginge. Und dann zwinkert er auf lustige Weise und sagt, dass es für uns ja tatsächlich um Leben und Tod geht, denn wenn wir uns für die Person halten oder für den Körper, dann werden wir ja tatsächlich sterben. Wenn wir aber herausfinden, wer wir wirklich sind, dann gibt es weder Tod noch Geburt für uns. Welch erhabene Vision, die dieser Mann vor uns ausbreitet. Ich gönne es mir, mich verstohlen umzusehen, denn ich möchte einen Eindruck davon bekommen, wie es den anderen damit ergeht. Ich sehe verblüffte, erfreute, verwirrte, und auch verstörte Gesichter. Dann kommt Rahula auf sein Lieblingsthema zu sprechen, die Liebe. Er kann wie ein Dichter von der Liebe erzählen, und auch wenn er scheinbar belanglose Ereignisse aus seinem Leben oder aus seinem Alltag berichtet, so atmen diese Begebenheiten immer den Hauch des Besonderen und der Liebe.

Nach seinem Vortrag dürfen wieder Menschen zu ihm kommen und mit ihm reden. Ich schaue Annelore an, ob sie nach vorne gehen will. Sie schüttelt den Kopf, sie hat gleich gewusst, was ich von ihr wollte. Ergreifende Szenen spielen sich vorne beim Meister ab. Voller Hoffnung gehen die Menschen zu ihm und wollen doch nur Linderung ihrer persönlichen Not. Die alles überwältigende Botschaft können die Meisten nicht annehmen. Sie sind wie Kinder, die gerne möchten, dass der Meister ihnen ihr Spielzeug repariert, aber sie wollen nicht, dass er es ihnen wegnimmt. Eine Frau geht nach vorne und es ist deutlich, dass sie sehr krank ist. Zuerst redet er sehr leise mit ihr, so dass wir es nicht verstehen können, aber ich kann sehen, dass ein Lächeln über ihr Gesicht geht. Dann legt er lange seine rechte Hand auf ihren Kopf und entlässt sie mit einem Lächeln. Kurz darauf ist der Satsang zu Ende, und wieder fühle ich mich wie auf Droge. Die Luft scheint feiner zu sein, das Licht durchscheinender und Annelore noch schöner als sonst. Zuerst reden wir gar nicht und unwillkürlich nehmen wir den Weg, der uns durch den Park führt. Dann beginnt Annelore von ihren Erlebnissen zu berichten. Sie spricht von großer Freude, aber auch von Angst. Ihr Ego will nicht weichen und behauptet seine Position in ihr und würgt damit die Freude ab. Ich tröste sie damit, dass auch das ein Prozess ist, der seine Zeit braucht. Ich fühle mich dabei auch ertappt. Trotz aller Euphorie gibt es einen Teil in mir, der gut verkapselt ist und sich nicht öffnen, sich nicht hingeben will. Dieser Teil will bestehen bleiben und er zieht seine Kraft aus der Trennung. Mit diesen Gefühlen gehen wir nach Hause.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 22

März 15, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

22. Kapitel: Weihnachten

Am heiligen Abend arbeite ich bis zum Mittag. An diesem Tag kann man im Einzelhandel die erstaunlichsten und merkwürdigsten Menschen treffen, denn viele kommen am wirklich letzten Tag, um ihre Geschenke zu kaufen und sind dann bereit, alles zu nehmen, was man ihnen anbietet. Es gibt auch jene Kunden, die nach vielen Wochen anstrengendster Tätigkeit auch am heiligen Abend noch erwarten, dass der Berater mit vollem Einsatz dabei ist und können überhaupt nicht verstehen, dass ein bestimmter Titel nicht mehr am Lager sein soll. Dann gibt es die Verrückten, die man nur an solchen Tagen sieht und die einem auch Angst einjagen können, denn vielen Menschen wird zu Weihnachten bewusst, wie einsam und allein sie eigentlich sind und wer weiß, auf welche Idee sie dann kommen. Ja, und dann gibt es da noch Annelore, die auch am Heiligabend kommt, um mich abzuholen. Wir haben geplant, in meine Heimatstadt zu fahren, Freunde zu besuchen und auch bei meinen Eltern vorbei zu schauen, vor allem weil Hanna, meine Schwester und Emil, mein Neffe, da sein werden. Ich habe Annelore erklärt, dass der Zufall mit Hannah und Hanna sich dadurch etwas begrenzt, da einmal das zweite H fehlt. Was doch ein fehlender Buchstabe so ausmachen kann. Mein Verhältnis zu meinen Eltern ist nicht so gut, wie es sein könnte. Das hat viele Gründe. Da sind meine Pläne mit Indien und dass ich meinen Job geschmissen habe, trägt sicherlich mit dazu bei. Aber ich freue mich auf Max, der mir schon versichert hat, dass er da sein wird, und dass wir traditionellerweise in der Nacht auf den ersten Weihnachtstag einen trinken gehen werden.

Annelore hat ein paar Sachen für uns gepackt und hat auch für Speis und Trank gesorgt. Wir trinken noch ein schnelles Glas Sekt in der Buchhandlung und ich bekomme noch die gute Nachricht, dass ich auch im Januar dort arbeiten kann, denn Annelore und ich werden erst Anfang Februar nach Indien aufbrechen, weil das eine gute Zeit für Indien sein soll. Für diesen Zeitraum haben wir bereits Flüge.

Der Sekt macht uns Beine und so rennen wir durch den immer noch zu warmen 24. Dezember zum Hamburger Bahnhof. Auch hier herrscht natürlich die große Hektik, denn jeder will oder muss noch schnell irgendwo hin. Aber schon bald sitzen wir im Zug, und außerdem haben wir es ja nicht so weit. Was ich gehofft hatte, tritt auch ein, denn Max und Sven holen uns am Bahnhof ab. Es hat angefangen zu regnen, aber das tut unserer Wiedersehensfreude keinen Abbruch. Wir fahren zu Sven, trinken dort Kaffee und tauschen erste Informationen aus. Wie es unter guten Freunden und ehemaligen Schulkameraden so üblich ist, reden wir so schnell und mit Geheimvokabeln versehen, dass Annelore praktisch nichts mitbekommt. Immer wieder bemühe ich mich, Wesentliches zu übersetzen, bis sie mir lachend Einhalt gebietet und uns machen lässt. Schon bald kommt der Moment, an dem wir aufbrechen müssen, damit wir uns nicht bei meinen Eltern verspäten, denn bei ihnen zu Hause läuft es traditionell ab. Das heißt, die Mutter kocht und der Vater schmückt den Baum. Das geht nach seinem Herzinfarkt, den er vor zwei Jahren hatte, etwas langsamer, aber nicht weniger enthusiastisch, als in den Jahren zuvor. Und meine Mutter liebt es gar nicht, wenn sie stundenlang in der Küche steht und man sich dann zum Essen verspätet. Bestimmt hilft ihr Susanne, meine älteste Schwester, während Hanna sich lieber nicht einmischt. Je näher wir dem Haus meiner Eltern kommen, desto beklommener wird mir zumute. Annelore merkt natürlich, was mit mir los ist, zieht mich am Arm, so dass ich stehenbleibe, umarmt mich und küsst mich voller Inbrunst auf den Mund.

<<Keine Angst>>, sagt sie <<ich bin doch bei dir.>>

Der Regen lässt nach, mit ihm ist es empfindlich kühler geworden, fast scheint es so, als zöge sich die Natur jetzt zu Weihnachten noch mehr in sich zurück. Keine Menschen sind auf den Straßen, alle sitzen sie in ihren feierlich erleuchteten Häusern. Wie eigentlich jedes Jahr zu Weihnachten frage ich mich, ob diese Festbeleuchtung nur ein äußerliches Zeichen für die innere Dunkelheit ist.   Gerade in dieser Zeit kann vielen Menschen bewusst werden, wie leer es in ihnen ist, aber genau das wollen sie nicht wissen, also zünden sie viele Lichter im Außen an, um von ihrer inneren Leere abzulenken. Ich sehe durch die Fenster die Weihnachtsbäume und vielerorts läuft bereits der Fernseher. Das einzige Lebewesen, welchem wir auf der Straße begegnen, ist eine Amsel, die aber auch schnell vor uns davon hüpft. Als wir in die Straße einbiegen, in der meine Eltern wohnen, klingelt mein Handy, es ist Hanna, die wissen will, wann wir denn endlich kommen. Ich sage ihr, dass wir jetzt da sind.

Meine Mutter öffnet uns die Tür und ihre Freude, mich zu sehen, ist echt. Auch Annelore wird von ihr sehr freundlich begrüßt, aber das wundert mich nicht, denn meine Eltern sind schon immer gut darin gewesen so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Mein Vater ist durch seine Krankheit gezeichnet. In meinen Augen ist er alt geworden, und ich sehe, dass es ihm schwer fällt, aus seinem Sessel aufzustehen, um uns auch zu begrüßen, aber einen Teil seines Charmes hat er noch, denn er spricht Annelore auf französisch an. Sie antwortet ihm auch auf französisch, fügt aber dann auf deutsch hinzu, dass sie sich freut hier zu Gast sein zu dürfen. Und dann passiert es, mein Vater lässt seine erste Spitze auf mich los.

<<Lernt sogar deutsch für den Jungen. Dabei hat der noch nicht einmal einen Job.>>

Meine Laune geht sofort in den Keller, und es ist Hanna, die für mich in die Bresche springt und unseren Vater nicht das erste Mal darüber aufklärt, dass ich in Hamburg sehr wohl einen Job habe. Dann umarmt sie mich und Annelore und zieht uns zu sich und Emil in die Ecke.

Im Grunde verläuft das ganze Weihnachtsfest auf diese Art und Weise. Meine Mutter bemüht sich, dass alles harmonisch und normal ist, während ihre älteste Tochter mit ihr darum konkurriert, wer am besten kochen kann. Mein Vater lebt in seinem Sessel, ist insgeheim genervt, dass er nicht einfach nur fernsehen kann und lässt ab und an eine Bemerkung in meine Richtung fallen. Annelore und Hanna sind total süß, und ohne Emil hätte ich mir meine Freundin geschnappt und wäre schon weg. Aber wir halten durch, lassen die Bescherung über uns ergehen, obwohl wir selbst kaum Geschenke dabei haben, bekommen wir etliche Dinge. Selbst an Annelore haben sie gedacht, und auch wenn es lieb gemeint ist, wird sie die Toilettenartikel wohl noch nicht einmal in Indien benutzen wollen. Hanna schenkt mir das Reisehandbuch Südindien und darüber freue ich mich sehr. Als Emil im Bett ist, sitzen wir am Esstisch und reden. Vater schläft in seinem Sessel und Susanne macht den Abwasch. Meine Mutter überrascht mich, indem sie mich und Annelore ganz interessiert nach Indien und unseren Plänen befragt. Annelore beschreibt ihren Wunsch nach exotischen Schauplätzen, nach Gerüchen und Wahrnehmungen, die sich von dem für sie Normalen abheben. Plötzlich möchte ich meiner Mutter und meiner Schwester meine wahren Beweggründe offen legen und beginne damit zu erklären, dass es in mir diesen unbezähmbaren Wunsch danach gibt,  erfahren zu wollen, was Wahrheit ist.

<<Du wollest schon immer alles wissen.>>, erinnert sich meine Mutter. Sie beschreibt die Schwierigkeiten, die mein Vater schon damals hatte, mit mir umzugehen.

<<Er wollte dir gerne helfen, aber er kam an seine Grenzen. Einmal hast du ihn gefragt, warum der Baum vor unserem Fenster steht. Vater sagte, weil er dort gewachsen ist, und zwar sogar, bevor das Haus stand. Das beschäftigte dich eine Zeit lang und Vater fühlte sich schon in Sicherheit, aber dann hast du gefragt, wer denn dann den Baum da hingetan hätte, wo es ja noch nicht einmal ein Haus und damit ja auch keine Menschen gab, die ihn hätten da hintun können.>>

Es ist zu süß, wie meine Mutter mich als kleinen Jungen nachmacht und dabei sogar meine Ausdrücke von damals benutzt.

<<Dein Vater dachte, er hätte eine gute Antwort und er könnte gleich endlich seine Zeitung lesen. Ich stand übrigens in der Küche, und die Tür war nur angelehnt, und ich konnte alles mit anhören. Er sagte zu dir, dass es Gott sei, der die Bäume zum Wachsen bringen würde. Natürlich hast du gefragt, wer das denn eigentlich sei, dieser Gott und wo du ihn finden könntest. Das brachte deinen Vater an seine Grenzen, denn darauf wusste er keine Antwort.>>

Meine Mutter hörte auf zu reden und sah so aus, als würde sie am liebsten wieder ganz in diese vergangene Zeit versinken, aber mir reichte es noch nicht, ich wollte es ganz genau wissen.

<<Ich habe deinen Vater erlöst und dich abgelenkt. Später haben wir dir das erste Lexikon gekauft, als du lesen konntest. Aber es blieb immer so.>>

Da wusste ich, dass meine Mutter mich verstehen würde, auch wenn sie mich nicht wirklich verstand. Versteht ihr? Eine Mutter hält in der Regel immer zu ihrem Kind, natürlich nicht jede, aber in der Regel ist das so. Selbst der gemeinste Mörder wird als letztes noch von seiner Mutter besucht.

Ich habe ihr dann erklärt, dass die Suche nach Gott mich nicht mehr wirklich losgelassen hat und ich mir erhoffe, dass Indien einige Antworten für mich bereit hält. Während ich ihr das erzähle, bin ich so auf mich fixiert, dass mir erst spät auffällt, dass sie dabei gar nicht mich, sondern Annelore ansieht, und ihr Blick voller Mitleid ist.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Kapitel 21

März 13, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

21. Kapitel: Wiedersehen

Die Tage der Vorweihnachtszeit erlebe ich als äußerst hektisch, denn neben meiner Arbeit beim Bücher auspacken, helfe ich am Abend und am Wochenende an der Kasse aus. Eine Tätigkeit, die mir unerwartet viel Spaß macht, denn es ist abwechslungsreich und ich sehe mal andere Menschen. Wie jedes Jahr kommt Weihnachten dann ganz überraschend und das größte zu erwartende Geschenk ist für mich, dass Annelore nun jeden Tag hier ankommen kann. Sie hat es in den Telefonaten offen gelassen, an welchem Tag sie nun genau kommen wird. Vielleicht will sie mich auch überraschen. Interessant wird sein, inwieweit die Geschichte mit Hannah unser Zusammensein bestimmen wird. Auch wenn es gefühlskalt klingt, ist das alles für mich schon sehr weit weg, aber ich weiß nicht, wie es Annelore damit geht. In unseren Gesprächen haben wir dieses Thema gänzlich vermieden. In den letzten Tagen vor Weihnachten warte ich jeden Abend darauf, dass Annelore mich anruft oder plötzlich in der Tür steht.

Hamburg selbst zeigt sich gar nicht weihnachtlich. Es ist viel zu warm für diese Jahreszeit und es ist die meiste Zeit feucht und unangenehm. Die Geschäfte und die allgegenwärtigen Punschstände bemühen sich zwar nach Kräften, vorweihnachtliche Stimmung zu erzeugen, aber das gelingt ihnen nicht wirklich, denn wer mag schon Punsch trinken, wenn es 12 Grad warm ist?

An dem Montag vor Heiligabend stehe ich am frühen Nachmittag an der Kasse und es herrscht das  zu dieser Zeit übliche Chaos. Von allen Seiten kommen Kunden, fragen, bitten, kaufen und verbreiten eine unglaubliche Hektik. Letztlich geht es ja nicht um eine Herzoperation, wo das Transplantat nur eine gewisse Zeit haltbar ist und unser Leben auf dem Spiel steht, nein, es geht nur darum, ein Buch zu verschenken. Ich habe viele der Kunden im Verdacht, dass sie eigentlich gar kein Buch verschenken wollen, sondern dass ihnen nichts anderes eingefallen ist und sie so zum Buch als Notlösung greifen. Das alles kann mir aber auch egal sein, denn mit jedem Tag und jeder Stunde verdiene ich das Geld, das ich für Indien brauche. Noch ganz in Gedanken schaue ich auf und sehe ein sehr hübsches Gesicht, das mich anlächelt. Erst kommt die Freude und dann das Erkennen. Es ist Annelore, die mich gebrochen auf deutsch begrüßt. Später wird sie mir erzählen, dass sie immer abends deutsch gelernt hat, aber jetzt zählt nur, dass sie tatsächlich da ist. Ich begehe die absolute Todsünde im Einzelhandel und verlasse die Kasse. Wütende Proteste begleiten mich dabei, die teilweise abebben, als ein Teil der Kunde beobachtet, mit welcher tiefen Freude Annelore und ich unser Wiedersehen feiern. Eine Kollegin sieht das Chaos an der Kasse und löst mich ab. Ich ziehe meine Pause vor und gehe mit Annelore einen Kaffe trinken. Die ganze Zeit schauen wir uns in die Augen und müssen uns immer wieder berühren, auch um uns zu vergewissern, dass der andere wirklich da ist. Annelore sieht gut aus. Natürlich sind wir beide nicht mehr so braun wie wir es im Sommer waren, aber sie war beim Frisör, hat ihre Haare etwas kürzer schneiden lassen und hat braune Strähnen im an sich pechschwarzen Haar.

<<Wie lange du arbeiten musst?>>, fragt sie mich auf deutsch und klingt dabei wie Yoda aus Star Wars, obwohl sie sehr viel besser aussieht als dieser. Ich erkläre ihr, dass ich nach der Pause noch bis zum Abend arbeiten muss, gebe ihr den Schlüssel zu meinem Zimmer und erkläre ihr, wo dieses ist. Sie sagt, dass sie mich abholen wird. Sinnentleert tauschen wir mehr oder weniger belanglose Informationen aus. Sie setzt sie sich zu mir auf die schmale Bank und küsst mich mit einer Intensität, dass mir tatsächlich und nicht nur symbolisch die Luft wegbleibt. Schliesslich muss ich wieder an die Kasse, nur ungern lassen wir voneinander und kurz darauf ist sie auch ganz schnell wieder verschwunden. In der Folgezeit arbeite ich wie in Trance und das Lächeln weicht nicht von mir, auch wenn die Kunden noch so unverschämt sind. Dann steht plötzlich Hannah neben mir und hilft mir beim Kassieren.

<<War sie das?>>, fragt sie mich und bekundet, dass sie Annelore sehr hübsch findet. Sie wünscht mir Glück und ich glaube ihr, weil sie mich dabei anstrahlt. Immer ist es so, dass sich unsere Energien verbinden, auch hier im Neonlicht des Einkaufwahns. Aber es sind keine erotischen oder verbindlichen Energien, was ich aber eigentlich erst nach dem Treffen mit dem Meister weiß oder besser, ich kann diese im Gefühl jetzt besser unterscheiden. Hannah und ich haben eine tiefe Verbindung, aber Annelore und ich lieben uns. Dieser Unterschied war mir einfach nicht richtig klar. Im Internet habe ich Kontakt zu dem Meister gehalten und habe ihn mir immer wieder auf Jetzt-TV angesehen. Sein Bekanntheitsgrad steigt unaufhörlich und ich schätze, dass ich ihn in Hamburg das letzte Mal in einem solchen kleinen Rahmen erleben konnte. Ich muss unbedingt Annelore von ihm erzählen, vielleicht können wir ihn noch einmal gemeinsam zu ihm gehen, bevor wir nach Indien aufbrechen.

Zum Schluss wird mir die Zeit dann doch lang und ich erwische mich dabei, wie ich trotz großer Hektik alle paar Minuten auf meine Uhr schaue und mich immer wieder umschaue, ob Annelore schon irgendwo zu sehen ist. Und dann ist es soweit. Auch das ist eine Erkenntnis im Leben, dass jeder noch so sehnlich erwartete Moment irgendwann einmal tatsächlich kommt. Wir kennen das aus unserer Kindheit, wenn wir auf Heiligabend gewartet haben. Die Tage vorher und der Heiligabend selber schienen endlos zu sein und dann ist doch der Moment da und auch so schnell wieder vorüber. Nichts steht still in diesem Universum, alles bewegt sich. Genauso ist es auch mit unangenehmen Momenten. Ebenso wie die schönen Augenblicke gehen auch sie vorüber. Nichts währt ewig, auch die Zeit nicht, die wir im Wartezimmer beim Zahnarzt verbringen. Aber all diese Gedanken lösen sich in dem Moment auf, in dem ich Annelore sehe. Netterweise kann ich sofort gehen und Arm in Arm verlassen wir die Buchhandlung. Annelore hat Hunger und will mich unbedingt zu einer Pizza einladen. Wir finden eine nicht überfüllte italienische Pizzeria und sind jetzt endlich allein. Annelore ist genauso aufgeregt wie ich und vermischt deutsche und französische Phrasen. Wir trinken Rotwein und das erste Glas stürzen wir hinunter, als würden sie in fünf Minuten die Prohibition ausrufen. Der Alkohol beruhigt unsere Nerven und nun können wir endlich miteinander reden. Wir vermeiden ganz bewusst das Thema Hannah, auch ich frage sie nicht nach irgendwelchen Männern. Für diese Themen wird auch später noch Zeit sein. Stattdessen erzähle ich ihr von dem Meister und sie ist ganz begierig darauf, dort mit mir hinzugehen. Annelore war auch nicht untätig und hat nicht nur deutsch gelernt und sich umfassend über Indien informiert, sie hat auch einen intensiven Meditationskurs besucht und viel über ihre Ungeduld und die ihr innewohnende Unruhe gelernt. Wir trinken eine ganze Flasche Wein und bestellen dann noch ein Glas für jeden. So sind wir doch recht beschwipst, als wir uns auf den Weg in mein Pensionszimmer machen.

Annelore ist den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen, hat meine Wohnung noch nicht gesehen und schaut dann doch etwas geschockt, wie klein der Raum ist, in dem ich seit Wochen wohne, aber dann lächelt sie wieder, umarmt mich und sagt:

<<Lass uns lebendig machen den Raum!>>

Dem ist meinerseits wenig hinzuzufügen. Später liegt sie halb auf mir, ihr Haar breitet sie über meine Brust aus und ich spüre ihren Atem an meiner Schulter. Der Rausch der Verschmelzung, der  Einheit, vergeht zwar allmählich wieder, aber wir sind uns weiterhin sehr nahe. Dann fragt sie mich doch nach Hannah. Ganz leise kommt ihre Frage und sie bemüht sich gar nicht, diese auf deutsch zu stellen. Sie will ganz einfach wissen, ob ich Hannah liebe. Ich erkläre ihr meine aktuellen Empfindungen und wie sich mein Unterscheidungsvermögen durch den Besuch beim Meister verändert hat und ich jetzt weiß, dass ich nur sie, Annelore, wirklich liebe. Das scheint sie zu beruhigen, denn ihr Atem fließt wieder gleichmäßiger. Dann will sie wissen, warum ich den Meister nicht bei seinem Namen nenne. Im Zusammenhang mit dem Thema Hannah finde ich die Frage merkwürdig, denke mir aber, dass Annelore das Thema von dort weg lenken will, was auch mir sehr recht ist. Ich könnte ihn natürlich auch Rahula oder Hans nennen, finde aber, dass es für mich einfach passt, wenn ich ihn Meister nenne. Merkwürdigerweise muss ich das zweite Mal an diesem Tag an Star Wars denken, als der böse Imperator zu Luke sagt: <<Auch du wirst mich bald Meister nennen.>>, und dabei betont er das „Meister“ in einer Art, dass ich auch heute noch, wenn ich diese Szene sehe oder nur, wenn ich an sie denke, eine Gänsehaut bekomme. Nicht, dass ich den guten Rahula, nun habe ich doch seinen Namen benutzt, mit dem bösen Imperator vergleichen möchte, nur der Klang des Wortes „Meister“ löst diese Assoziationen bei mir aus. Es ist sehr schwierig, diese Gedanken Annelore zu erklären, aber als es dann raus und bei ihr angekommen ist, lachen wir darüber und mit diesem Lachen geht eine gewisse Befreiung einher.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Folge 20

März 12, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

20. Kapitel: Umkehr

Ich sitze in meiner Wohnung im Schneidersitz und lese in den Gesprächen des Weisen vom Berg Arunachala. Ramana Maharshi war ein bedeutender Weiser in Südindien. Eines Tages, er war noch sehr jung, dachte er, er würde sterben. Also legte er sich hin, um tatsächlich zu sterben, aber er starb nicht. Mit meinen Worten gesagt, starb wohl sein Ego oder die Vorstellung von einer getrennt existierenden Person. Von da an lebte er sein ganzes Leben am Berg Arunachala. Der heilige Berg wird von vielen spirituellen Suchern als etwas ganz Besonderes angesehen und mir ist klar, dass ich diesen Berg in Indien besuchen werde. Das Buch ist nicht leicht zu verstehen, obwohl die Worte von Ramana ganz einfach sind. Er schlägt Selbsterforschung vor, wenn wir herausfinden wollen, wer wir wirklich sind. Wir sollen uns daher immer wieder fragen, „wer bin ich?“ Auch das klingt ganz einfach. Ich lege das Buch zur Seite und frage nach innen, „wer bin ich?“ Die Resonanz ist gleich Null. Dort, wo meistens viele Gedanken zu Hause sind, findet sich plötzlich nur gähnende Leere, nur der Verstand möchte sich sofort wieder einmischen und schlägt mir vor, dass ich mit „Ich“ antworten könne. Wer bin ich? Ich? Und wer ist dieses Ich? Wieder meldet sich der Verstand und schlägt Gott vor. Aber da kommt sofort die christliche Grundprägung durch. Mich selbst als Gott bezeichnen? Das geht gar nicht, kommt nicht in Frage, aber andererseits, warum eigentlich nicht? Also von vorne. Wer bin ich? Gott. Energie. Raum. Nichts. Alles dreht sich, hoffentlich drehe ich nicht durch. Ich glaube, ich werde mir sowohl das Buch als auch die Frage noch öfter anbieten. Verabredungsgemäß rufe ich bei Annelore an. Sie weiß natürlich inzwischen, dass Hannah und ich nicht mehr zusammen sind und wir haben uns in den letzten Wochen wieder mehr angenähert. Manchmal bin ich mir gar nicht sicher, ob sie in Bordeaux selber wie eine Nonne lebt. Aber was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Am Abend nehme ich an einem Treffen zur Meditation teil, welches von ehemaligen Anhängern des Guru Osho, ehemals Bhagwan, organisiert wird. Danach komme ich mit einigen Leuten ins Gespräch. Manche von ihnen waren bei Osho in Poona und empfehlen mir, diesen Ort in Indien unbedingt zu besuchen. Auch wenn Osho seine körperliche Hülle lange verlassen hat, sei seine Präsenz dort weiterhin spürbar. Eine ältere Frau ist in Oregon gewesen und erzählt mir lustige Begebenheiten aus dieser Zeit. In mir steigt eine Sehnsucht auf, auch dabei gewesen sein zu wollen und mein Wunsch, das mystische und magische Indien zu sehen, wird noch stärker. Die Frau schlägt mir vor zu einer Veranstaltung von einem ihr bekannten Meister zu gehen. Zumindest spricht sie als Meister von ihm. Dieser würde in Form von Dialogen die Menschen zur Wahrheit führen. Später, zu Hause, informiere ich mich über diesen Mann, der seine Wurzeln in Indien und bei Ramana Maharshi hat und der auch im Internet einen guten Eindruck macht. Drei Tage später sitze ich in einem nur mäßig gefüllten Raum, der zu einem Yoga-Zentrum gehört. Die nette Dame von der Osho-Meditation ist auch da und wir begrüßen uns herzlich. An einer Seite ist eine kleine Bühne aufgebaut. Dort steht ein Sessel, der von zwei Tischen flankiert wird, auf denen Blumen und Bilder stehen. Die Bilder zeigen verschiedene bekannte Heilige und Meister, auch ein altes Bild von Bhagwan und eines von Jesus sind dabei. Viele der Menschen sitzen auf dem Boden, andere wie ich lieber auf einem Stuhl. Nicht, dass ich nicht auch gerne auf dem Boden sitze, aber ich will unbedingt etwas von der Veranstaltung mitbekommen. Ich war etwas zu früh da und allmählich füllt sich der Raum immer mehr. Interessanterweise sind es sehr unterschiedliche Menschen, die diese Veranstaltung besuchen. Einige sind schon etwas älter und ich sehe ihnen an, dass sie sich schon länger mit diesen Dingen beschäftigen, andere sind sehr jung, auch einige Kinder sind da. Eine Frau und ein Mann stehen auf und setzen sich rechts von der Bühne hin. Beide haben eine Gitarre und beginnen einige Lieder zu spielen. Vor allem die Frau hat eine sehr schöne klare und helle Stimme und die Lieder versetzen mich in eine ruhige und entspannte Haltung. Ich merke voller Freude, dass ich ein wenig loslassen kann. In der Regel habe ich das Gefühl, als befände sich eine Glocke über mir, die mich abschirmt. In der Schwingung dieses Moments scheint sich diese Glocke etwas zu öffnen. Ich schließe die Augen und überlasse mich der Musik und der Energie. Dann singen die beiden ein etwas schnelleres Lied, in das viele der Anwesenden mit einstimmen. Ich öffne die Augen und der Raum belebt sich immer mehr, der Gesang wird regelrecht ekstatisch und dann betritt der Meister den Raum, gefolgt von zwei Frauen. Eine wird in der Folge das, was er sagt, übersetzen. Der Meister trägt, ähnlich wie zu seiner Zeit Osho, einen Bart und er hat tatsächlich eine sehr starke Ausstrahlung. Er begrüßt uns mit Namaste, einer Verbeugung mit gefalteten Händen. Namaste ist der Ausdruck dafür, das Göttliche im anderen Menschen zu begrüßen. Der indische Gelehrte Deepak Chopra drückte es so aus: „Ich ehre in dir den göttlichen Geist, den ich auch in mir selbst ehre – und ich weiß, dass wir somit eins sind.“

Dann setzt der Meister sich, schließt die Augen und eine Phase der Stille beginnt, die immer wieder von den Lauten der anwesenden Kinder unterbrochen wird. Ich merke, dass es mich nervt und dass ich innerlich darüber debattiere, ob Kinder in eine solche Veranstaltung gehören, merke glücklicherweise aber schnell, dass meine Gedanken darüber viel störender sind als die Geräusche selber. Nach dieser Einsicht vertieft sich die Stille und die Geräusche stören mich nicht mehr. Für einen Moment habe ich die Erkenntnis, dass die Geräusche die Stille gar nicht verdrängen können, sondern Teil der Stille sind, dass sie in gewisser Weise selber still sind. Mit einem Gong beendet der Meister die Stille und fängt nahezu übergangslos an zu reden. Obwohl er einfaches und klares Englisch spricht, wird jedes Wort von der ihm gegenüber sitzenden Frau übersetzt und es erstaunt mich, wie fließend das geschieht. Kaum einmal muss er auf sie warten, immer findet sie die richtigen Worte, faszinierend. Der Meister fragt in die Runde, was denn die Menschen auf den Fotos um ihn herum gemeinsam hätten. Natürlich antwortet ihm keiner direkt darauf. Er sagt, dass sie alle nach der Wahrheit, der Wirklichkeit, dem Selbst gesucht und es gefunden haben. Und dann wird es sehr interessant und auch irgendwie witzig, denn der Meister antwortet in gewisser Weise selber auf seine Frage.

<<Warum ist es so schwer das Selbst zu finden? Weil das Selbst nie verloren gegangen ist. Immer suchen wir nach etwas, neuerdings auch vielfach nach Erleuchtung, dabei ist das, was wir suchen, immer hier und für jeden erreichbar. Es ist unsere wahre Natur und wir müssen nur etwas geweckt werden, damit wir diese erkennen können.>>

Und dann bringt er das wunderbare Beispiel vom Wecker. Er sagt, dass alle Menschen wie Wecker sind. Da gibt es diejenigen, da muss der Wecker nur losgehen, dann sind sie wach, stehen auf und stellen den Wecker ab. Und dann gibt es diejenigen, die eine Schlummertaste aktiviert haben und die immer wieder einschlafen wollen. Aber dann werden sie erneut geweckt, sie bleiben aber nicht wach, sondern möchten noch mal wieder einschlafen und ins Unbewusste versinken. Manche stellen den Wecker sogar vor, damit sie mehrfach wieder einschlafen können. Und es gibt diejenigen, die einen Wecker brauchen, der immer lauter wird, bis das Signal eben so laut ist, dass sie tatsächlich aufwachen.

<<Die Katastrophen und das Leid in unseren Leben und in der scheinbaren Außenwelt sind letztlich nichts anderes als Wecker, damit wir aufwachen!>>, so bringt der Meister es auf den Punkt.

Diese Aussagen beeindrucken mich und ich frage mich, höchstwahrscheinlich so wie alle anderen auch, was für eine Art von Wecker ich wohl bin. Irgendwie gibt es manchmal nicht Schöneres, als im Bett wieder einzuschlafen, aber oftmals fällt es mir leichter, sofort aufzustehen. Ich kann diese Gedanken nicht weiterverfolgen, weil der Meister nun die Menschen einlädt zu ihm nach vorne zu kommen. Ein junger Mann geht als erster zu ihm hin. Ich kann seine Nervosität fast riechen. Zuerst schauen sie sich nur in die Augen. Das Gesicht des Meisters bliebt ungerührt und freundlich und das des jungen Mannes durchläuft verschiedene Stadien. Die Nervosität weicht einer Unsicherheit, die dann der Ängstlichkeit. In dem Moment, in dem das Gesicht des jungen Mannes zum Ausdruck bringt, dass gerade voller Angst ist, da fragt der Meister ihn, er solle ihm sagen, wo genau die Angst denn sei. Er heißt ihn, die Augen zu schließen. Dann fragt der Meister ihn erneut, wo seine Angst denn sei, dabei beugt sich der Meister etwas vor und schaut ganz intensiv auf den jungen Mann. Dessen Gesichtszüge entspannen sich und zeigen dann Freude und er antwortet:

<<Die Angst ist weg, da ist gar keine Angst.>>

Der Meister nickt und und schaut dem jungen Mann weiterhin intensiv in die Augen. Dieser ist glücklich und verlässt dann auch bald den Stuhl, in den sich sofort eine Frau setzt. Der Meister schaut sie erst nicht an, sondern schließt seine Augen und scheint in Trance zu gehen, dann öffnet er seine Augen, schaut die Frau an und fragt sie, was er für sie tun könne. Sie erzählt eine traurige Geschichte, fängt bald an zu weinen und hört damit lange Zeit nicht auf. Der Meister hört sie an, und fragt sie, wo die Trauer denn jetzt sei. Wie bei dem jungen Mann zuvor lässt er die Frau ihre Augen schließen und nach innen blicken. Der Verlust, den sie erlitten hat, hat eine starke Trauer in ihr ausgelöst und diese beherrscht sie und ihr Leben. Ähnlich wie bei dem jungen Mann vor ihr, scheint das Suchen nach der Trauer in Gegenwart des Meisters im Gegenteil positive Gefühle mit sich zu bringen. Denn die Frau kann ihrer eigenen Aussage nach nur Frieden und Ruhe in sich finden und keine Trauer mehr und geht selig zu ihrem Platz. Ich frage mich, ob diese glückseligen Zustände nur anhalten, wenn der Meister da ist oder ob sie sich in der Folge wieder zurückbilden? Kaum ist diese Frage in mir aufgetaucht, sitze ich schon neben ihm. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, so aufgeregt bin ich und ich kann gar nicht fassen, dass ich tatsächlich aufgestanden und mich hierher gesetzt habe. Nun kann ich den Meister von ganz nahe sehen und ich verliere mich in seinen Augen, die eine unglaubliche Tiefe ausstrahlen, Sicherheit und ein tiefes Wissen. Meine Wahrnehmung erweitert sich und ich kann spüren, wie seine und meine Energie eins sind und dass ich nicht mehr auf meinen Körper, meine Gedanken und Gefühle beschränkt bin, sondern ich bin Raum, Energie, Freiheit und Freude. Wieder nickt der Meister, murmelt ein paar Worte und fragt mich etwas. Ich verstehe kein Wort, auch die Übersetzung nicht, so weit bin ich weg. Dann bin ich wieder in meinem Körper und auch nicht. Ich fühle mich gleichzeitig innen und außen. Es spricht aus mir:

<<Meine Frage haben Sie mir schon beantwortet, was ich jetzt noch wissen möchte, ob diese Wirkung, die von Ihnen ausgeht, nur wirkt, wenn sie körperlich anwesend sind?>>, höre ich mich fragen.

Der Meister lächelt und für einen Moment lang weiß ich, dass diese Energie immer da ist, mit oder ohne Meister und auch mit oder ohne mich. Dieser Moment geht vorbei und ich höre ihn sagen, dass die Gegenwart eines Meisters segensreich ist. Seine Präsenz aktiviert grundsätzlich die Energien der Menschen. Aber es kann nur das aktiviert werden, was der Mensch schon in sich trägt. Wer sich öffnet und den Meister als Meister erkennt, bei dem wirkt die Aktivierung deutlich stärker. Diese Worte hallen erst später in mir nach, denn ich schwimme in seinem Blick. Nachdem er gesprochen hat, schweigen wir beide einige Momente lang. Diese kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Hier sind alle Fragen beantwortet, alle Zweifel geklärt, alles ist in sich perfekt. Der Rest des Abends verläuft wie im Traum. Ich bekomme kaum noch etwas mit, torkele nach der Veranstaltung aus dem Raum, werde von vielen Menschen angelächelt. Draußen gehe ich in die dunkle kalte Hamburger Herbstnacht. Es sind faszinierende Wolken am Himmel und ich fühle mich mit der Unbegrenztheit verbunden.

Natürlich hält dieser Zustand nicht ewig an. Wenn wir etwas sehr Schönes erlebt haben, dann klingen unsere Gefühle noch eine Zeit lang nach. Aber mit dem Verstreichen der Zeit nimmt auch die Intensität der Gefühle ab, bis sich Erlebtes in Erinnertes wandelt. Ein weiterer guter Vergleich ist der Geruch. Wenn wir etwas Intensives riechen, dann haben wir den Geruch auch dann noch eine Zeit lang in uns, wenn die Quelle dessen nicht mehr da ist. Aber mit der Zeit verliert sich der Geruch und es bleibt auch hier nur die Erinnerung daran. So ähnlich ist es auch mit der Begegnung mit dem Meister. Diese intensive Erfahrung wirkt noch einige Tage in mir nach. Ich bin wie high, gut drauf, lebe im Hier und Jetzt und die Alltagsgedanken können mich kaum schrecken, aber von Tag zu Tag lässt das Gefühl nach und eines Nachmittags bei der Arbeit erwische ich mich dabei, wie ich mich bemühe, mich an das Gefühl, an den Zustand zu erinnern. Da weiß ich, dass ich es verloren habe, aber wirklich verloren habe ich es nicht, denn theoretisch ist mir klar, dass der Meister auch in mir nur das wachrufen kann, was grundsätzlich schon in mir vorhanden ist. Ich bin wild entschlossen, danach zu suchen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 19

März 11, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

19. Kapitel: Zeit

Zeit sei die vierte Dimension, so heißt es. Wir halten uns hauptsächlich in den drei Dimensionen des Raumes auf. In ihm bewegen wir uns und halten das für Realität. Dieser Raum mit uns verschiebt sich durch die Zeit und das nennen wir Leben. Wie man sich doch täuschen kann. Viele Weise sprechen davon, dass wir uns in einer Zeit aufhalten, in der sich massive Veränderungen vollziehen werden. Auch in den Prophezeiungen von Celestine war davon die Rede. Von einer Veränderung des Bewusstsein wird gesprochen und manche sagen, dass wir uns bald in der fünften Dimension aufhalten werden.

Für mich vergeht die Zeit dann doch noch linear. Die Tage vergehen und aus ihnen werden Wochen. Es dauert eine ganze Woche, bis sich Annelore nach den Ereignissen mit Hannah wieder meldet. Am Telefon sagt sie, dass sie mich nicht wirklich verstehen könne, und dass es ihr weh tun würde, wenn sie wüsste, dass ich mit einer anderen Frau zusammen bin, aber wenn ich der Meinung wäre, das ausleben zu müssen, würde sie mir nicht im Weg stehen. Sie würde an unserem Plan festhalten, es sei denn, ich würde diesen für beendet erklären. Solange ginge sie davon aus, dass wir uns Weihnachten treffen und dann nach Indien fahren würden. Ich widerspreche ihr nicht. Ich mache meinen Job, spare das Geld und bin viel mit Hannah zusammen. Meistens habe ich keine Gewissensbisse, denn es fühlt sich richtig an. Hannah überredet mich in dieser Phase mit ihr zusammen zu einem befreundeten Astrologen zu gehen. Inzwischen bin ich offen und neugierig genug, um mich darauf einlassen zu können. Der Astrologe ist vielleicht zwischen fünfzig und sechszig Jahre alt, schlank und trägt einen Bart. Ich habe mir Kartenleger und Sterndeuter immer mit Bart vorgestellt und so passt der Mann zu meinem inneren Bild. Er berechnet am Computer die Horoskope von Hannah und mir und erzählt was von Bindung über die Mondknoten und dass unsere Verbindung karmisch sei und unabänderlich, aber nicht von Dauer sein würde. Er meint, dass es zwei unterschiedliche Einflüsse über meiner Venus gäbe und dass der eine jetzt dominierende Einfluss bald enden würde und sich dann ein anderer Faktor wieder stärker bemerkbar machen wird. Außerdem werde ich im nächsten Jahr eine längere Reise machen. Es ist sehr beeindruckend, was der Mann von sich gibt. Zu Hannah sagt er, dass sie noch eine andere Aufgabe hätte, und dass sie besondere Fähigkeiten besitzen würde, die sie noch entdecken müsse. Nach einigem Hin und Her kommen beide überein, dass dieser Bereich im Heilwesen liegen könnte. Hannah überlegte ohnehin, noch eine Ausbildung zu machen und fühlt sich bestätigt. Ich erzähle dem Astrologen, dass ich tatsächlich eine Reise nach Indien geplant habe. Ich spreche von dem fast magischen Zwang dort hinfahren zu müssen. Er kann mir aufzeigen, dass es diese tiefe spirituelle Sehnsucht in mir gibt, irgendwas in der Verbindung von Mond und Neptun und dass ich die Erleuchtung erringen möchte. Der Astrologe kann meine Sehnsüchte und Ängste aus meinem Horoskop herauslesen und ich bin auch Tage danach noch beeindruckt und lese sogar in ein paar Bücher hinein, die mir Hannah besorgt. Diese ist ganz euphorisch und meldet sich für eine Ausbildung zur Heilerin an, die sie berufsbegleitend machen will. Wir sind zusammen und das tut uns gut, aber es ist nicht mehr so magisch wie in der  ersten Nacht. Fast kann ich sagen, dass uns der Alltag einholt, dass die Zeit uns verschluckt, aber im Grunde verliere ich meine zuvor gewonnene Offenheit wieder. Es ist ein schleichender Prozess und ich bekomme es zuerst gar nicht richtig mit. So ähnlich, wie wenn du jeden Abend den Fernseher einschaltest und ein paar Kekse dazu isst. Zuerst ist es etwas Besonderes und die Kekse schmecken gut und die Sendungen sind leidlich interessant, aber irgendwann kommt ein Abend, da hast du gar nicht mehr die Wahl, ob du den Fernsehen einschaltest und die Kekse isst, dann schaltet der Fernseher dich ein und die Kekse essen dich, im übertragenen Sinn natürlich. Damit kommt es zur Korruption deines Bewusstseins, denn in Wirklichkeit sind wir längst in der fünften Dimension, wir sind es immer, doch ist es uns nicht bewusst. In Lourdes ist etwas mit mir geschehen, das Bewusstsein hat sich befreit und statt der ewigen Illusion des Egos trat das Selbst in den Vordergrund. So konnte ich diese Visionen und Energiephänomene mit Hannah erleben, der es genauso erging. Und obwohl ich einen Einblick erhielt in das, was weder kommt noch geht, war es mein Ego, waren es die erlernten und ererbten Strukturen, die mich wie ein Spinnennetz wieder einfingen. Ganz deutlich wird es mir eines abends, als Hannah und ich miteinander schlafen und die Magie nicht mehr da ist. Hinterher schauen wir einander an, Hannah weint ein wenig und meint dann: <<Ich glaube, das war es mit uns!>>

Es gibt keinen Streit, keine Auseinandersetzung, aber die Energie, die wir miteinander teilen durften, ist nicht mehr da. Wir sehen uns weiterhin bei der Arbeit, gehen auch mal etwas essen oder trinken, aber nicht mehr miteinander ins Bett. Eine eher unerfreuliche Folge ist, dass ich wieder mehr Zeit in dem Pensionszimmer verbringen muss.

Allmählich geht es nun schon auf Weihnachten zu. Die Arbeit wird von Tag zu Tag mehr. Morgens, wenn ich zur Buchhandlung gehe und abends, wenn ich nach Hause zurückkehre, ist es dunkel. Hannah fängt mit ihrer Ausbildung an und ich lese und meditiere viel. Und so vergeht die Zeit.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 18

März 8, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

18. Kapitel: Zwei sind eins

Am nächsten Morgen in Hannah`s Bett ist mir klar, dass ich Annelore nicht belügen werde, egal was daraufhin passieren wird. Hannah hat eine sehr schöne Wohnung, die ihr Wesen absolut  widerspiegelt. Sie strahlt Gemütlichkeit aus, ohne dabei langweilig zu sein. Überall gibt es irgendetwas zu entdecken, es wirkt aber nicht überladen. Die Wohnung riecht frisch und irgendwie nach Gewürzen, was wohl an den Räucherstäbchen liegt, die Hannah am gestrigen Abend entzündet hatte. Sie ist an diesem Morgen überragend schön. Natürlich war die Nacht kurz, es gab viel Wein, sie ist nicht perfekt abgeschminkt, zeigt aber doch mehr oder weniger ihr Gesicht. Ihre Frisur hat sich vollständig aufgelöst und ihr Haar verteilt sich über das Kissen. Die Bettdecke ist ein wenig heruntergerutscht und zeigt eine Schulter und einen kleinen Teil ihres Rückens und genau dorthin scheint die Sonne. Schönheit, die sich offenbart, keine Schönheit, um ein Produkt zu bewerben und zu verkaufen. Eine Schönheit, die sich auch aus dem Gefühl speist, welches ich zu ihr habe. In diesem Moment liebe ich Hannah auf eine gewisse Weise sogar noch mehr als am Vorabend und in der Nacht. Ich erlaube mir ein paar erste Gedanken an die Nacht und mit ihnen stellen sich auch Bilder ein. Noch jetzt spüre ich ein Nachbeben, nicht weil es so außergewöhnlich war, sondern weil wir so offen gewesen sind. So ist es uns möglich gewesen, die Energie direkt zu spüren. Diese Offenheit habe ich außer auf Drogen so noch nicht erfahren. Sie macht die Nacht mit Hannah zu etwas Lebendigem. In diesem Moment wird auch sie wach, sie dreht sich zu mir um, ist zuerst noch ganz schlaftrunken, greift nach mir und zieht mich zu sich. Sie wird dann aber auch anders wach und wir gleiten in eine Umarmung, in der wiederum alles miteinander verschmilzt.

Eine gefühlte Stunde später steht sie auf. Ich bleibe liegen, höre sie im Bad und dann in der Küche. Als sie wieder ins Zimmer kommt, trägt sie T-Shirt und Jogginghose, die Haare sind mit einem Gummi nach hinten gebunden und sie fragt mich: „Kaffee oder Tee?“ Ich will sie, sage aber „Kaffee“ und stehe dann auch auf. Beide vermeiden wir es, über den Abend und die Nacht zu sprechen, ich schlürfe meinen Kaffee und wünsche mir, ich würde noch rauchen und könnte mich jetzt hinter einer Zigarette verstecken. Fast zwanghaft wandern meine Gedanken zu Annelore. Dann blicke ich auf und sehe, dass Hannah mich ganz offen ansieht. Sie steht auf, setzt sich auf meinen Schoß, legt die Arme um mich und sagt:

<<Das war etwas ganz Besonderes für mich mit dir, aber ich weiß, dass du eine Freundin hast, und ich erhebe keine Ansprüche an dich. Wir haben unseren Gefühlen Ausdruck verliehen und das war wunderschön und was jetzt passiert, wird man sehen.>>

Ich bin richtiggehend gerührt, kann es aber kaum glauben, dass jemand so offen sein kann. Ich erkläre ihr, dass ich mit Annelore sprechen muss. Sie lässt mich gehen, denn ich bin spät dran, die Buchhandlung wartet auf mich.

Der Tag wird sehr lang. Zu wenig Schlaf, der Alkohol, die schwere Arbeit und die Aussicht auf das Gespräch mit Annelore scheinen die Zeit zu dehnen, aber irgendwann ist jeder Arbeitstag auch einmal zu Ende. In meinem Zimmer baue ich mein Notebook auf und bereite es so vor, dass Annelore und ich miteinander sprechen können. Dann rufe ich sie an, sie hat schon auf meinen Anruf gewartet, und wir verabreden uns für das Gespräch per webcam. Und kurz darauf sehe ich auch schon ihr Gesicht, während ich immer noch nicht geduscht habe und die Klamotten vom Vortag trage, hat sie sich hübsch gemacht.

<<Du siehst verändert aus.>>, sagt sie und ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Dann schlucke ich und sage, dass ich in der letzten Nacht mit einer anderen Frau geschlafen habe. Ihre Augen werden ganz dunkel und sie sagt zuerst gar nichts, fängt dann aber an zu weinen. Ich versuche es ihr zu erklären, spreche von Energie und vom Zauber des Momentes und was gestern noch wahr war, hört sich heute in meinen eigenen Ohren nach Rechtfertigung an. Doch dann passiert es wieder, ich blicke für einen Moment aus dem kleinen Fenster und sehe sechs Gänse über das Haus fliegen und ich sehe die Energie, die sie miteinander verbindet, den Zauber des Einsseins. Ich blicke zurück zu Annelore und fühle nur noch die Verbundenheit und die Liebe zu ihr. Sie hat aufgehört zu weinen und blickt auch mich staunend an. Mit ähnlichen Worten, aber einem anderen Gefühl erkläre ich ihr erneut, dass wir alle verbunden und miteinander eins sind und dass ich sie liebe und was passiert ist, nichts daran ändern kann. Dann bricht die Verbindung ab und lässt sich nicht wieder herstellen. Ich rufe sie an und sie sagt, dass sie mich versteht, aber Zeit braucht, das zu verarbeiten und dass sie mich wieder anrufen wird. Ich bin froh darüber, dass ich die Wahrheit gesagt habe und unsicher, was die Zukunft bringen wird. Ich lasse mich nach hinten auf mein Bett fallen und schlafe kurz danach ein.

Am nächsten Morgen habe ich keinerlei Nachrichten auf meinem Handy. Etwas beklommen gehe ich zur Arbeit, denn dort werde ich Hannah wiedersehen und ich habe keine Ahnung, was mich da erwartet. Zuerst sehe ich sie nicht. Heute ist besonders viel Ware gekommen und vor lauter Arbeit komme ich nicht dazu, weiter nachzudenken. Und dann steht sie plötzlich im Raum und lächelt mich an.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 17

März 7, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

17. Kapitel: Was Energie so alles bewirken kann

Der Kinobesuch mit Hannah ist sehr angenehm. Der Film ist kurzweilig und nett gemacht. Der Hauptdarsteller kommt mir bekannt vor. Hannah meint, er würde bei Gossip Girl mitspielen, aber das sagt mir nichts. Auf eine gewisse Art hat der Film mich tief beeindruckt, vor allem die Szenen, in denen im Film deutlich gemacht wird, wie die Energien zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Pflanze fließen, hat etwas in mir angerührt. Ich erinnere mich an die Bücher von Carlos Castaneda, die ich gelesen habe und in denen der weise Indianer und Schamane Don Juan davon spricht, dass wir in Wirklichkeit leuchtende Wesen voller Energie seien. Besonders interessant finde ich die Szene, in welcher der Hauptdarsteller die Frau, die er offensichtlich gut findet und begehrt, energetisch so bedrängt, dass sie sich von ihm abwendet, was er zuerst gar nicht versteht, weil er die Energien zu dem Zeitpunkt im Film noch nicht sehen kann und gar nicht begreift, was er  energetisch mit ihr macht. Es ist faszinierend einmal einen ganz anderen Blick auf die scheinbare Realität zu werfen. Wir haben so fest installierte Bilder der Realität im Kopf und solche Filme vermitteln uns die Idee, dass es auch ganz anders sein kann.

Hannah ist auch ganz angetan und sie sieht jetzt sehr jung aus, als sie mit mir aus dem Kino in die verhangene Hamburger Nacht tritt. Als hätte der Film abgefärbt, so leuchtet sie auch, irgendwie energetisiert, was wohl auch anderen auffällt, denn sie wird auf dem Weg ständig angesehen, angelächelt und sogar angesprochen, und zwar nicht nur von Männern, obwohl diese schon in der Überzahl sind. Ich selber bin auch viel offener als sonst und spüre die Energien, die um uns sind. Ich schaue sie an und sehe eine starke Verbundenheit zwischen uns und ich weiß in diesem Moment, dass es ihr genauso geht. Wie so oft, funken mir auch diesmal meine Gedanken dazwischen, indem sie mich an Annelore erinnern. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, so als hätte ich sie schon betrogen. Dadurch verliere ich meine Offenheit und nun sind Bäume wieder nur Bäume und Hannah ist „nur“ noch eine hübsche Frau. Die Verbundenheit der letzten Momente kann ich nicht mehr spüren. Hannah merkt, dass ich unseren Raum der Verbundenheit verlasse und schaut mich ganz enttäuscht an, fängt sich aber schnell.

<<Eines hat der Film klar rübergebracht, dass das Leben ein Mysterium ist!>>, sagt sie. Ich bin mir selbst ein Mysterium, denn anstatt in mein Zimmer zu gehen und Annelore zu mailen, frage ich Hannah, ob sie Lust hat, mit mir noch was trinken zu gehen. Sie sagt gerne zu und so gehen wir in eine gemütliche Kneipe ein paar Straßen weiter, in der es auch Pizza gibt und die nicht so in ist, als dass man keinen Platz mehr bekommen würde. Trotzdem füllt sie sich zunehmend, es scheint, dass an bestimmten Abenden jeder Mensch in Hamburg eine Gaststätte besucht. Wir sitzen ganz hinten in einer Ecke einander gegenüber und trinken Rotwein. Durch den Alkohol, den Film und das Dämmerlicht sieht es so aus, als wenn Hannah aus sich heraus leuchten würde, ein Anblick, dem ich mich kaum entziehen kann.

<<Was guckst du denn so?>>, fragt sie mich dann auch prompt. Worauf ich ihr beschreibe, wie ich sie sehe. Interessiert beugt sie sich vor und dabei spüre ich, wie sich unsere Energien noch mehr miteinander verbinden. Ich fühle mich ungeheuer zu ihr hingezogen. In dem Moment meldet sich mein Handy, das ich im Kino ausgeschaltet und gerade wieder eingeschaltet habe. Ich sehe, dass es Annelore ist. Ich deute Hannah gegenüber eine Entschuldigung an und gehe raus, um in Ruhe telefonieren zu können. Annelore fragt, warum ich nicht online bin und ich erkläre ihr, dass ich mit Kollegen im Kino war und jetzt noch in der Kneipe sitze. Ich erwähne nicht, dass es nur eine Kollegin ist, die auch noch sehr gut aussieht und zu der ich mich hingezogen fühle. Annelore ist eine Frau. Sie spürt ganz genau, dass ich mich von ihr entfernt habe. Dabei muss ich wieder an die Energiephänomene denken, die auch in den Prophezeiungen von Celestine angesprochen werden. Die Grundaussage ist, dass wir alle von Energie umgeben sind. Manche Menschen können diese Energie als Aura sogar wahrnehmen. Die Energie selber ist unbegrenzt und verbindet alles mit allem, so dass wir alle tatsächlich und buchstäblich alle eins miteinander sind. Wenn sich etwas in  diesem Energiefeld verschiebt, dann nehmen wir das sehr wohl wahr. Wir sind aber nicht darin geschult, unsere Wahrnehmung auch einordnen zu können. Stattdessen reagieren gefühlsmäßig auf Veränderungen im Energiefeld. Genau das geschieht gerade Annelore, denn sie fühlt einen Verlust. Auf diesen reagiert sie mit Verlustangst, welche in der Regel das Gegenteil von dem erzeugt, was wir uns wünschen, denn damit machen wir uns unattraktiv und stoßen den Partner, den wir aus Angst eigentlich mehr an uns binden wollen, eher von uns weg. Auch mir ergeht es in diesem Moment mit Annelore so, vor meinem inneren Auge sehe ich Hannah in der Kneipe sitzen und muss draußen mit Annelore sprechen, die viele hunderte von Kilometern weit entfernt ist. Ich kann sie auf den nächsten Abend vertrösten und versichere ihr mehr aus Pflichtgefühl, dass ich sie liebe und gehe wieder zurück zu Hannah. Natürlich bin ich nicht stolz auf mein Verhalten, aber all die Ereignisse und die plötzliche Offenheit für die Energien haben mich ganz durcheinander gebracht und ich weiß überhaupt nicht, was Hannah für mich ist. Es wundert mich nicht, dass sie nicht mehr allein ist, doch der Typ geht sofort weg, als ich erscheine. Hannah lächelt mich an und ich stürze mein Glass Wein hinunter. Wir sprechen über den Wandel in der Welt, in der Gesellschaft und im Bewusstsein, der laut Celestine nun bald eintreten soll. Wir fragen uns, ob wir uns dann nicht mehr als Einzelwesen wahrnehmen werden, weil die uns verbindende Energie deutlicher wird. Hannah erinnert mich an eine Szene aus dem Film, in der eine Frau dem Hauptdarsteller am Beispiel eines Busches und ihr selbst den Energiefluss zwischen beiden verdeutlicht. Und trotzdem bleibt da der Busch und die Frau als eigenständige Wesen.

<<Oder denk an die Sexualität. Wenn es richtig toll ist, dann hören du und dein Partner…>>

Ich unterbreche Hannah in ihrem Redefluss und verbessere sie und sage:

<<Partnerin>>

<<Gut, also dann sind du und deine Partnerin für einen Moment lang nicht mehr da, da ist dann nur Fluss, Energie, Liebe…>>

Bei dem Wort Liebe stockt sie und schaut mir tief in die Augen und ähnlich wie ich es in Lourdes erlebt habe, verschwimmt der Raum um mich herum und ich sehe nur noch ihre Augen und dann etwas anderes, das ich nicht benennen kann und dann bleibt auch die Zeit stehen. Oder besser gesagt, sie verlangsamt sich. Hannah und ich kommen einander immer näher und dann küssen wir uns und für einen Moment ist da nur Licht und Freude und Liebe.

Nun gut, ich spreche hier von Liebe und vor ein paar Tagen war es die unbeschreibliche ekstatische Liebe zu Annelore, aber genauso ist es auch jetzt für mich. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Annelore mit Hannah betrüge, ich habe vielmehr das Gefühl, dass die Liebe, die da ist, sich zwischen mir und Annelore und jetzt zwischen mir und Hannah zeigt. Rechtfertige ich mich gerade? Nein, es ist im Erleben so klar, dass auch das nur Ausdruck dessen ist, was ist. Es ist so einfach, so frei, so glücklich und Hannah scheint keinerlei Ambitionen zu haben, damit aufzuhören. Sie geht mit ihrem Kopf und dem Oberkörper ein Stück nach hinten. Sie schaut mir wieder in die Augen, betrachtet mein Gesicht, berührt es mit beiden Händen und küsst mich dann erneut mit derselben Intensität. Sie muss es nicht aussprechen, wir wollen jetzt beide los.

 

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 16

März 1, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

16. Kapitel: Hamburg

Am nächsten Morgen wache ich in dem billigen Hamburger Hotelzimmer mit stechenden Kopfschmerzen auf. Neben mir liegt Max, der aber noch schläft und schwer atmet. In meinem Kulturbeutel habe ich immer Aspirin. Ich löse gleich zwei Tabletten in dem gläsernen Zahnputzbecher auf. Ich erinnere mich, dass wir wild gezecht und philosophiert haben. Ich glaube mich auch daran zu erinnern, dass mit das Letzte, was ich gesagt hatte, so ähnlich lautete wie: <<Ich glaube, ich bin kein Mensch!>>

Das finde ich selber recht abgefahren, aber der Kopfschmerz verhindert, dass ich mich weiter erinnere. Ich lege mich wieder hin und warte auf die Wirkung der Tabletten. Viel später beim  zugegeben vorsichtigen Frühstück erzählt mir Max Geschichten und Neuigkeiten von Zuhause. Auch wenn ein wenig sentimentale Gefühle in mir aufsteigen, die ich allerdings mehr dem Alkohol zuordne, möchte ich doch nicht dorthin zurück und ich will auch nicht zwischen zwei Orten hin und herfahren müssen. Stattdessen will ich mir für die nächsten Monate etwas Günstiges in Hamburg suchen und mich ganz auf Indien ausrichten. Der gestrige Abend hat mir deutlich gemacht, dass ich dieser Suche in mir Raum geben muss und da ist Indien einfach die erste Adresse. Max scheint mich in diesem Punkt jetzt auch besser zu verstehen. Er hat sich auch den heutigen Tag freigehalten und gemeinsam gehen wir auf die Suche nach einer Bleibe für mich.

Die folgenden Tage vergehen wie im Flug. Ich finde noch am gleichen Tag ein möbliertes Zimmer  und kann die Buchhandlung davon überzeugen, mich auch mitten im Monat einzustellen. So verbringe ich die Tage in einem Raum, in dem ich Bücher auspacke und auspreise. Zuerst hilft mir eine nette Frau, denn ich kann zwar einen Karton öffnen, verstehe aber wenig von Rechnungen. Viele Dinge sind neu für mich, aber nach einer Woche muss ich nur noch selten in den Laden telefonieren, um Rat zu bekommen. Das Schöne dabei ist, dass ich alle neuen Bücher, CDs und DVDs als Erster zu sehen bekomme. Auch wenn manchmal die Gier groß ist, vieles davon besitzen zu wollen, denke ich an Indien und halte das Geld lieber zusammen. Auch sehr schön an meiner Arbeit ist, dass ich nach einer Weile nicht mehr über jeden Vorgang nachdenken muss und damit Kapazitäten frei habe, an Annelore denken zu können. Meine Gedanken verlieren sich so ähnlich wie es die Wolken vor dem Fenster im herbstlichen Himmel von Hamburg tun. Und dann gibt es da noch meine Kollegin Hannah, mit zwei H. Sie betreut die Abteilungen für Esoterik und Religion und  ist betont nett zu mir. Im Grunde ist sie sogar mein Typ, aber meine Gefühle gehören Annelore. Da ich mich in Hamburg recht allein fühle, unternehme ich gern etwas mit ihr. Hannah hat viel gelesen und schon einiges ausprobiert, und sie kann meine Obsession für Indien verstehen. Für den heutigen Abend hat sie mich gefragt, ob ich mit ihr ins Kino gehen möchte. Sie zeigen die Verfilmung der Prophezeiungen von Celestine. Das Buch ist ja inzwischen zumindest in der esoterischen Szene ein Bestseller. Ich habe vor einigen Jahren den ersten Teil auch gelesen, fand es recht amerikanisch und habe den Hype darum nie wirklich nachvollziehen können. Der Film ist, wie gesagt, amerikanischer Machart, und ich wollte mich eigentlich am Abend mit Annelore per Webcam treffen, aber Hannah hat mich so lange bequatscht, bis ich dann ja gesagt habe.

Das Kino liegt näher an meinem Pensionszimmer als an ihrer Wohnung, also hat sie vorgeschlagen, mich abzuholen. Es ist recht anstrengend für mich, in der Buchhandlung zu arbeiten, denn ständig muss ich schwere Pakete heben, auspacken, neue einpacken, Bücherstapel auf Bücherwagen legen,  und schließlich die schweren Bücherwagen durch die Buchhandlung fahren. Was allerdings gut ist und Spaß macht, ist, dass ich an zwei Morgen in der Woche auch Bücher einsortieren darf und meistens arbeite ich da mit Hannah zusammen. Da wir beide recht kommunikative Menschen sind, reden wir viel miteinander und stecken oft die Köpfe zusammen. Das hat die Gerüchteküche im Betrieb auf Hochtouren zum Laufen gebracht. Gleich am Anfang, an meinem dritten oder vierten Tag  im Betrieb, als Hannah und ich das erste Mal zusammen Kaffee trinken waren, habe ich ihr fairerweise von Annelore und Indien erzählt, was allerdings ihrer Herzlichkeit und ihrem Interesse an mir keinen Abbruch getan hat.

Der heutige Tag ist sehr anstrengend gewesen und ich habe mich gerade etwas hingelegt, da werde ich aus allen Träumen gerissen, als es an der Tür klopft. Völlig verschlafen öffne ich diese und Hannah steht vor mir. Etwas unbeholfen bitte ich sie rein. Das Zimmer gibt so absolut gar nichts her, ich habe es auch nicht verstanden, ihm einen persönlichen Touch zu geben. Hannah setzt sich auf den einzigen Stuhl und ich murmele so etwas wie, dass ich dann gleich soweit bin. Ich spritze mir etwas Wasser ins Gesicht und da sich auch das Waschbecken im Zimmer befindet, kann ich im Spiegel Hannah sehen. Sie hat sich extra hübsch gemacht, hat ihre Haare hochgesteckt, und zwar in der Art, dass es so aussieht, als hätte sie nur mal schnell die Haare hochgebunden, wobei aber eine Menge Arbeit darin steckt, dass es eben genau so aussieht. Sie trägt ein schwarzes Hemd, eine verwaschene Jeans und braune Stiefel. Sie ist nicht nur hübsch, sondern wirklich attraktiv, sieht Annelore ganz entfernt sogar ein wenig ähnlich, obwohl Hannah dunkelbraune Augen und  schwarze Haare hat. Wieder einmal frage ich mich, warum eine solche Frau keinen Freund hat, aber über solch persönliche Dinge haben wir bisher nicht gesprochen. Nun hat sie meinen Blick bemerkt und schaut mich direkt an.

<<Iss was?>>, fragt sie mich frech, lächelt aber dabei.

<<Alles gut>>, sage ich und füge hinzu:

<<Du siehst gut aus!>>.

Offensichtlich freut sie sich darüber. Dann bin ich auch mit Zähneputzen fertig. Wir gehen los und ich entschuldige mich für das Zimmer und frage, wie sie denn eigentlich wohnt. Hannah zögert mit der Antwort, was ungewöhnlich ist, denn sie ist immer sehr schnell in der Kommunikation. Für einen Moment zeigt der Ausdruck ihres Gesichts traurige Gefühle und ihre Augen scheinen sich noch zu verdunkeln, aber sie fasst sich sehr schnell und vergewissert mir, dass sie eine sehr schöne Wohnung hat und ich diese gerne bald mal besichtigen könne.

<<Aber nicht neidisch sein.>>, neckt sie mich.

<<Wie denn? Bei dem Schloss, das ich bewohne!>>, frotzele ich zurück. Dann wird sie wieder ernst. Das scheint ein typischer Charakterzug von ihr zu sein, dass sie von lustig zu ernst und umgekehrt innerhalb von Momenten wechseln kann. Für einen Moment überlege ich, ob ich ihr das spiegeln soll, lasse es aber sein, denn sie spricht mich auf meine Erfahrungen mit den Prophezeiungen von Celestine an. Ich erzähle ihr wahrheitsgemäß, dass ich das Buch für  den Ausdruck amerikanischen Geschäftssinns halte. Sie gibt mir recht, was die Vermarktung angeht, aber das Inhaltliche ist doch sehr interessant und sie bleibt stehen und hält zwei Finger in geringen Abstand voneinander. Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Sie erklärt mir, dass es so leichter möglich ist, den Energiefluss wahrnehmen zu können, zieht mich dann aber weiter, denn wir sind knapp in der Zeit, wie man so sagt.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 15

Februar 28, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

15. Kapitel: Im Übergang

Als ich aufwache ist es schon später Nachmittag. Ich bin immer noch müde, dreckig und hungrig. Ich überwinde mich zu duschen, ziehe die Sachen an, die am wenigsten verdreckt sind und gehe los, meinen Hunger zu stillen. An jedem Reisebürofenster bleibe ich stehen. Als eine junge Frau mich besonders freundlich durchs Fenster anlächelt, gehe ich hinein und frage sie nach den Preisen für Flüge nach Indien und bin dann doch einigermaßen erschreckt, wie teuer diese sind. Die Reisebürofrau und ich haben eine gute Chemie und nach einer Weile steckt sie mir, dass es auch in Frankfurt einige auf Indien spezialisierte Läden gibt, die häufig sehr viel günstigere Flüge im Angebot haben. Ich bin jetzt voll auf Indien geeicht und wundere mich nicht, dass ich ein indisches Restaurant finde, in dem ich dann auch esse. Danach schlendere ich durch die Gegend und weiß nicht genau, was ich nun machen soll, als ich eine SMS von Annelore bekomme, in dem sie zum Ausdruck bringt, dass sie mich liebt und vermisst. Als ich ihr gerade antworten will, kommt ein Anruf. Es ist Peter. Tatsächlich hat er mit dem Chef gesprochen. In Frankfurt brauchen sie zur Zeit keinen, dafür aber in einem weiteren Geschäft der Kette in Hamburg. Ich bedanke mich und versichere ihm, dass ich bereits morgen nach Hamburg fahren und mich dort vorstellen werde. Plötzlich schaut auch das leider immer noch graue Frankfurt irgendwie netter aus.  Wie doch ein kleiner Anruf die Stimmung verändern kann, denn jetzt bin ich richtig gut drauf.

Am nächsten Morgen nehme ich den Zug nach Hamburg und stehe kurz darauf in der ähnlich wie in Frankfurt strukturierten Buchhandlung. Ich frage mich bis zu der von Peter genannten Kontaktperson durch. Nach einem kurzen Gespräch bin ich im Rennen und kann tatsächlich direkt im Lager anfangen. Ich fühle mich grundlegend bestätigt, da sich Türen öffnen und ich die Möglichkeit bekomme, Geld für Indien zu verdienen. Am Abend kommt Max verabredungsgemäß nach Hamburg. Ich bin froh, dass sich alles so gut für mich entwickelt und freue mich, meinen Freund mal wieder zu sehen. Wir lassen es so richtig krachen. Gegen Mitternacht sitzen wir schließlich in einer Art Club irgendwo an der Schanze und er fragt mich das, was ich mich selber noch gar nicht so richtig gefragt habe. Was will ich eigentlich in Indien? Es ging alles so schnell: Annelore, Frankfurt, jetzt Hamburg. Max hat Recht, dass ich so wirke, als hätte ich die Orientierung verloren.

<<Mensch, du könntest jetzt mit ihr zusammen sein, nach Indien kannst du doch immer noch mal fahren!>>, meint Max zu mir, nachdem er zwei neue Bier auf den Tisch gestellt hat. Für einen Moment bin ich zu breit, um irgendeine Frage noch beantworten zu können, doch dann ist der ganze Rausch wie weggeblasen und in großer Klarheit sehe ich den Hunger in mir. Da ist ein solch tiefes Verlangen nach der Wahrheit in mir, dass es alles andere überdeckt. Es fühlt sich wie ein Rausch, eine Sucht, ein Zwang an. Ich fühle mich wie Ahab, der den weißen Wal sucht, der dadurch alles andere in seinem Leben hinten anstellt und der letztlich dabei sein Leben zerstört. Ich möchte mit meiner Suche nach der Wahrheit natürlich nicht auch mein Leben zerstören, spüre aber diesen  unwiderstehlichen Drang in mir. Ich erkläre Max in langen trunkenen Sätzen, dass ich mich schon seit meiner Kindheit fremd in dieser Welt und in diesem Leben fühle. Ich spreche von meinen Beziehungen, die immer wieder auch daran zerbrachen, dass ich es nicht schaffte, das Leben zu leben, das meiner Freundin vorschwebte. Beruf, Geld, Karriere – ja alles wichtig und gleichzeitig hohl, wie durchscheinend. Es konnte plötzlich unerträglich anstrengend sein, noch so zu tun, als wenn mir diese Dinge etwas bedeuten würden und dann fühle ich mich auch viel zu jung für solche tief schürfenden, alles in Frage stellenden Gedanken. In diesem Moment höre ich Max sagen, dass wir viel zu jung sind für solche Gedanken und diese spontane menschliche Übereinstimmung mit meinem Freund löst ein Gefühl der Dankbarkeit in mir aus. Aber das zerstöre ich sofort selber wieder, indem ich ihn daran erinnere, wie wir schon als Schüler die Nächte durch geredet und versucht haben, die Welt zu erklären. Ich bin wieder ganz im Gespräch, die große Klarheit von eben ist verschwunden, aber so betrunken bin ich nun auch nicht mehr. Ich hole noch zwei Biere und erinnere Max daran, wie viel ich in all den Jahren gelesen habe, manchmal sogar bei der Arbeit. Bücher über Philosophie, Psychologie, Grenzwissenschaften, dann Religion, Schriften über den Buddhismus, die Veden, Zen, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich erst am Boden gekratzt habe. Aber ich bin auch irgendwie desillusioniert, denn die Bücher liefern keine Antworten, sie erzeugen nur neue Fragen oder anders gesagt, formulieren sie die alten Fragen so um, dass sie wie neue erscheinen. Außerdem habe ich auch vieles schon ausprobiert, Yoga und Meditation, habe mir mein Horoskop machen lassen. Zuletzt war ich schon etwas mehr in meiner Mitte, und dann taucht Annelore auf und bringt mein Leben auf eine ganz andere Art aus dem Gleichgewicht.

<<Aber das ist eine andere Aufregung!>>, meint Max. Ich erinnere mich spontan an einige Sätze, die die Astrologin zu mir sagt. Sie meint, die Suche sei mein Leben, aber ich müsse aufpassen, dass ich vor lauter Suchen nicht mein Leben verpassen würde. Sie gab mir den Tipp, es etwas ruhiger angehen zu lassen, das Leben auch mal zu genießen und sie prophezeite mir eine wichtige Begegnung, irgendetwas mit den Mondknoten.

<<Eine Begegnung, die zu einer noch wichtigeren Begegnung führt.>>, so sagte sie es wörtlich, und dass ich im Grunde keine wirkliche Wahl hätte, es sei wie ein Sog, der mich unweigerlich anziehen würde.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 14

Februar 27, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

14. Kapitel: Wieder in Deutschland

Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell im Leben eine Veränderung eintritt. Auch wenn wir wissen, dass sich etwas ändern wird, sind wir doch überrascht, wie schnell es dann tatsächlich passiert. Es ist so ähnlich wie mit Weihnachten. Dieses Fest scheint immer so weit entfernt zu sein und doch, ehe man sich versieht, ist es schon wieder Weihnachten. So geht es mir auch diesmal. Eben bin ich noch mit Annelore zusammen und nun bin ich wieder in Deutschland und zwar allein. Es ist später Vormittag und ich stehe inmitten der hektischen Metropole Frankfurt und schon vermisse ich sie. Wir haben kaum geschlafen in der letzten Nacht. Sie hat mich zum Flughafen gefahren und wir sind zusammen gewesen, bis zum allerletzten Moment, als ich einchecken musste. Fliegen hat immer etwas Unwirkliches. Mit dem Auto erarbeitet man sich in gewisser Weise noch die Strecke, die man zurücklegt, aber beim Fliegen geht es so schnell, dass man gar nicht mitbekommt, wo man gerade ist. So ist es fast pervers schnell, wie Annelore und Frankreich und mit ihnen der Süden mit seinem guten Wetter verschwindet. Ehe ich mich innerlich einstellen kann, landen wir in Frankfurt, wo es unangenehm kalt ist. Es nieselt, und der graue Himmel und die sich ihm angleichenden Gesichter der Menschen, die durch die belebten Straßen eilen, passen dazu und bilden genau meine Stimmung ab. Aber bange machen gilt nicht und ich mache mich auf den Weg zu der großen Buchhandlung in der Innenstadt, in der Peter, ein guter Freund von Max arbeitet und in der  es vielleicht Arbeit für mich gibt, was wiederum erklärt, warum ich ausgerechnet nach Frankfurt geflogen bin. Noch in Frankreich hatte ich eines Abends mit Max telefoniert und ihn in groben Zügen in unseren Plan eingeweiht. Er brachte mich auf die Idee, es in Frankfurt bei dem Peter zu versuchen und so bin ich ausgerüstet mit Rucksack und Reisetasche auf dem Weg dahin.

Es scheint nur zwei Zustände für Buchhandlungen zu geben. Entweder es ist gar nichts los und wenige Leute blättern verstohlen in den Büchern und eine oder zwei Buchhändlerinnen warten darauf, einen zu bedienen oder es ist wie hier in Frankfurt. Eine unglaubliche Hektik schlägt mir entgegen. Menschen drängen mit mir hinein oder wollen an mir vorbei wieder raus. Etliche Buchhändler laufen hektisch durch den Laden, meistens mehrere Kunden im Schlepptau oder stehen wie im Fieber an den Computern. Es kommt mir so vor, als würde hier etwas sehr Wichtiges geschehen, dabei wird nur mit Büchern gehandelt. Ich liebe Bücher, aber ich halte das Konsumgut Buch für ein im Grunde altmodisches Medium, mit dem man sich eher gemächlich beschäftigen kann, aber aktuell sehen die Frankfurter und ihre Gäste das wohl ganz anders. Nein in diesem Geschäft werden keine akuten Herzinfarkte behandelt, es werden nur Bücher und Zeitschriften verkauft. Es ist unfassbar und da ich Peter gar nicht kenne, muss ich nach ihm fragen. Als ich einen Buchhändler sehe, der es meiner Vorstellung nach sein könnte, frage ich ihn einfach direkt nach Peter, was mir einen genervten Blick von einem wartenden Kunden im Anzug einträgt. Aber der Buchhändler bleibt ganz ruhig und verweist mich in die Reiseabteilung und tatsächlich dort sehe ich ihn gleich. Peter wirkt noch sehr jung, trägt ein Ziegenbärtchen und hat ein Piercing im Gesicht, seine Haare stehen wirr ab, nur  seine Brille passt irgendwie zum Image des Buchhändlers. Ich spreche ihn an, indem ich ihn von Max grüße. Zuerst kann er damit gar nichts anfangen, dann aber erinnert er sich, fragt mich  sehr professionell, was er für mich tun kann und mir ist sofort klar, dass ich von ihm keine große Hilfe zu erwarten habe und so ist es dann auch. Er weiß nicht, ob jemand gebraucht wird, aber er könne nach Feierabend den Chef fragen und mir dann Bescheid geben. Ich wiederum gebe ihm die Nummer meines Handys. Dann stehe ich im Frankfurter Nieselregen und weiß grade nicht weiter. Die Menschen laufen links und rechts an mir vorbei. So einsam kann man nur unter Menschen sein. Ich verbiete mir, jetzt schon an Annelore zu denken und frage im nächsten Kaufhaus nach einer Touristeninformation. Dort erhalte ich ungefragt einen kleinen Frankfurter Stadtplan und die Adresse von einigen günstigen Pensionen. Ich kann und will heute nicht weiter fahren. Jeder Schritt würde mich notgedrungen Richtung Norden und der Heimat entgegen führen und da will ich jetzt nicht hin. Ich will es mal so sagen, wenn du Indien im Blick hast, dann fährst du nicht nach Buxtehude. Ich fühle mich als Glückskind, als ich in der ersten Pension noch in Reichweite des Zentrums ein kleines und für Frankfurter Verhältnisse günstiges Zimmer bekomme. Dieses Zimmer hat zwar die Dusche im Flur, aber gehört mir allein. Ich bin total erschöpft und lege mich erst einmal hin.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 13

Februar 26, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

13. Kapitel: Neue Pläne

Ich spüre ganz deutlich, dass ich wieder in Bewegung kommen muss. Wir verlassen nicht nur das Gelände, sondern gehen direkt zum Auto und fahren aus Lourdes heraus. Ich bin ganz in mir verloren, eingenommen von den Erfahrungen in Lourdes. Annelore hat mitbekommen, dass irgendetwas mit mir passiert ist und protestiert nicht, als ich solange fahre, bis ich in einem kleinen Ort ein nettes Café gefunden habe. Beim Milchkaffee sitzen wir uns gegenüber. Zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich das Gefühl wieder durchatmen zu können und ebenso nehme ich auch Annelore wieder deutlicher wahr. Ich schaue sie an und sie ist mir so vertraut, als wenn wir schon seit Monaten zusammen unterwegs wären. Mir ist klar, dass sie alles Recht der Welt hat, zu erfahren, was mit mir passiert ist. In kurzen Sätzen bemühe ich mich, meine Gefühle auf dem großen Platz in Lourdes zu beschreiben, aber das ist gar nicht so leicht. Stattdessen flüchte ich mich in eine Frage:

<<Glaubst du, dass wir in unseren Entscheidungen frei sind?>>

Annelore blickt mir intensiv in die Augen, dann verliert sich ihr Blick.

<<Ich weiß es auch nicht, aber ich glaube an das Schicksal.>>, antwortet sie mir.

Daraufhin versuche ich ihr zu erklären, dass im Deutschen das Wort Schicksal beinhaltet, dass uns etwas geschickt wird. Wieder einmal scheitere ich an der Sprachbarriere, deute ihr gegenüber aber an, dass ich auch glaube, dass es Dinge im Leben gibt, die unausweichlich sind.

<<Wenn du einen Sog spürst, dann hast du keine Chance mehr, du musst dem nachgeben. Das ist dann sogar noch stärker als Schicksal.>>, erläutere ich ihr.

Ich erzähle ihr von meiner Kindheit, in der ich ein Junge war, der die Dinge nicht einfach so stehen lassen konnte, sondern alles und jedes hinterfragen musste. Wie anstrengend das für meine Eltern gewesen sein musste, vor allem die Situation, als ich eines Abends zu ihnen trat und ihnen sagte, dass ich glauben würde, dass nicht sie meine Eltern seien. Heutzutage weiß ich, das jedes Kind eine solche Phase durchmacht, doch in mir ist diese Phase nie zu Ende gegangen. Auch heute noch habe ich das Gefühl, hier nicht herzugehören, woanders zu Hause zu sein. Und deswegen bin ich auf der Suche, die mich nach Lourdes geführt hat und mich auch nach Indien führen wird. Jetzt habe ich es das erste Mal wirklich und bewusst gedacht. Es fühlt sich für mich stimmig an und wenn ich es ganz tief in mich einsinken lasse, wird es für mich immer klarer, dass ich in das Mutterland der Spiritualität will. Ich denke, dass es dort, in Indien, die Möglichkeit gibt, auf alle spirituellen Fragen Antworten zu erhalten, und es gibt dort eben auch echte Yogis und Gurus. Es wird mir erst im Nachhinein klar, dass ich einen Großteil meiner Gedanken laut ausgesprochen habe. Fast schuldbewusst schaue ich Annelore an, die aber ganz entspannt scheint.

<<Hast du das Gefühl, dass ich total spinne?>>, frage ich sie.

Sie antwortet mir nicht direkt, lächelt mich aber an, nimmt mich an die Hand, führt mich zum Auto und schon ein paar Minuten später schlafen wir auf einem verlassenen Feldweg im Auto miteinander. Hinterher greifen wir unser Gespräch wieder auf. Sie nimmt mich ernst. So ernst, dass ich selber erkenne, wie wichtig es mir mit dem Tripp nach Indien ist und ja, sie will mich  dorthin begleiten. Unsere gemeinsame Freude führt uns noch enger zusammen.

<<Gut, wenn wir uns da wirklich einig sind, dann lass uns auch gleich konkret werden.>>, schlage ich vor.

Wenn eine Idee konkret umgesetzt werden soll, dann beweist sich ihre Durchführbarkeit an den Tücken der Realität. Wir beginnen sofort, Pläne zu machen. Annelore muss auf jeden Fall zurück an die Uni, könnte aber nächstes Jahr eine gewisse Zeit aussetzen. Sie erklärt mir das so, dass ich die Assoziation von einer Art Sabbatjahr habe. Sie wird sich in den verbleibenden Monaten Mühe geben, Geld für Indien aufzutreiben und schlägt mir ganz nüchtern vor, das Gleiche zu machen.

<<Aber dann sehen wir uns ja nicht?>>, quengele ich etwas verängstigt, worauf sie sagt: „Es gibt doch Telefon, Briefe, Internet, Webcams und Weihnachten sehen wir uns wieder.>>

Ein Plan ist ein Plan. Wir beschließen noch ein paar Tage ans Meer zu fahren, uns und den Sommer zu genießen und dann anzufangen, an der Verwirklichung unseres Traums zu arbeiten.

Diese Tage im Sommer mit Annelore gehören mit zu der schönsten Phase in meinem Leben. Wenn es uns so richtig gut geht, dann fliegt die Zeit. Die Zeit scheint sich mit Hindernissen und Widerständen auf mysteriöse Weise zu verlangsamen. Und so ist es auch in diesem Sommer, denn allzu schnell sind diese Tage der Unbeschwertheit vorbei. Es passiert so oft und ist im Leben eines Menschen doch auch so selten, dass man jemanden trifft, dem man wirklich zugetan ist und von dem die eigenen Gefühle erwidert werden. Natürlich, am Anfang einer Beziehung scheint es immer so zu sein. Jeder idealisiert den anderen, die gegenseitige Anziehung ist immens groß, der Sex meistens fantastisch und nichts scheint die gemeinsame Harmonie, das Glück, stören zu können. So war es in diesen Tagen auch mit Annelore und doch meine ich heute, wo wir im Auto sitzen und in Richtung Bordeaux unterwegs sind, sagen zu können, dass es schon etwas Besonderes mit Annelore und mir ist. Häufig spricht sie das aus, was ich gerade denke und das ist umso erstaunlicher, da es ja die Sprachbarriere gibt, auch wenn mein Französisch durch die tägliche Übung immer besser wird. Ich fühle mich unglaublich verbunden mit ihr und doch ist da eine fast greifbare Traurigkeit, weil wir uns schon morgen trennen müssen. Im Internet habe ich einen billigen Flug nach Deutschland gefunden und bis Weihnachten werden wir dann aller Voraussicht nach nicht zusammen sein können. Meinst du, wir überstehen die Zeit, will ich gerade zu ihr sagen, als sie mich das Gleiche auf französisch fragt. Beide schauen wir uns tief in die Augen, lächeln uns an, aber dann kommen ihr doch die Tränen und sie fährt auf den am Horizont auftauchenden Parkplatz, auf dem wir uns so lieben als wenn es das letzte Mal wäre. Auf unserem Gaskocher mache ich uns einen Kaffee, Annelore hat noch ein paar Kekse gefunden und halb nackt in unseren Schlafsäcken verheddert genießen wir diesen besonderen Moment.

Bald darauf sind wir wieder auf der Straße, wir schweigen, aber es ist ein gutes Schweigen. Wir haben uns noch einmal gegenseitig unseren Plan erläutert und wir haben nun beide eine größere Zuversicht, dass wir es schaffen können, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie ich das Geld verdienen soll.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 12

Februar 25, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

12. Kapitel: Lourdes

Die nächsten Tage sind sehr schön. Wir leben unsere Liebe. Verliebt laufen wir durch Bordeaux, fahren mit Freunden an den Strand und schlafen in den Dünen. Ich bin erfüllt und glücklich und denke wenig an Deutschland und an das, was ich dort zurückgelassen habe. Immer wieder kehren meine Gedanken zurück zu dem Gespräch auf der Party. Irgendetwas in mir ist angeregt worden und lässt mich nicht mehr los. In der Nacht träume ich von dem Swami, von dem mir der mysteriöse Mann auf der Party erzählt hat. Der Swami schaut mich im Traum durchdringend an, er trägt westliche Kleidung und spricht deutsch. In meinem Traum unterhalten wir uns, aber den Inhalt des Gespräches weiß ich am Morgen nicht mehr. Erinnern kann ich mich aber an den letzten Satz von ihm:

<<Wenn du das genau wissen willst, dann musst du zu mir kommen!>>

Ich bin ganz durcheinander und suche nach dem Frühstück das Gespräch mit Annelore unter vier Augen. Ich frage sie direkt, ob sie mit mir nach Lourdes fahren möchte. Da sie noch Zeit bis zum Beginn ihres Semesters hat, und selber noch nie in Lourdes war, ist sie gern bereit mit mir dort hinzufahren. Geldprobleme scheint sie auch nicht zu haben. Das soll mir recht sein. Für sie ist es ihrer eigenen Aussage nach am Wichtigsten etwas mit mir zusammen zu machen und ein Ausflug zu zweit ist genau in ihrem Sinn. Ich bin total davon angetan, wie anpassungsfähig und leicht zu begeistern sie ist, aber am Anfang einer Beziehung ist es immer so. Beflügelt durch das berauschende Gefühl des Verliebtseins idealisieren wir den Partner und können uns viele Dinge gemeinsam vorstellen. Häufig müssen wir diese Gefühle relativieren, wenn wir länger zusammen sind und das Verliebtsein abebbt, aber so weit sind Annelore und ich noch nicht.

Schon am nächsten Morgen hat sie ein Auto organisiert und wir sind unterwegs nach Lourdes. Wie kann ich die Gefühle beschreiben, wenn man mit einem Menschen, den man liebt und der einen ebenso liebt, durch eine wunderschöne Landschaft auf einen Ort zufährt, der Abenteuer und Heilung verspricht. Unsere Euphorie wird dann allerdings etwas gebremst, als wir in den Ort einfahren, denn nahezu jedes zweite Geschäft bietet Behältnisse an, um das heilende Wasser transportieren zu können. Das scheint kein Problem zu sein, nur sind diese Gefäße in Form von Jesus und Maria und anderen christlichen Gestalten zu kaufen. Eine Ansammlung von Kitsch, ein „Imperium von Staub“, wie es Johnny Cash in einem seiner letzten Songs so treffend zum Ausdruck brachte. Ich habe selten einen Ort gesehen, in dem das Gesetz der Polarität so deutlich wird. Annelore ist ganz still geworden, als würde sie sich schämen, dass dieses Grauen zu ihrer Kultur gehört. Ich tröste sie und schnell gehen wir an den Läden vorbei. Einerseits ist es entwürdigend, dass mit den Krankheiten und Hoffnungen der Menschen Geld verdient wird, andererseits ist es aber auch verständlich, denn da, wo ein Bedarf ist, entsteht auch ein Angebot. Schließlich kommen wir auf den großen Platz, der zu der Grotte führt und wieder sind wir nicht richtig auf das vorbereitet, was uns erwartet, denn so viele Rollstühle, kranke und behinderte Menschen habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Fast möchte man sich schämen, dass man gesund und jung ist. Über allem schwebt  auch eine Form von christlicher Aura, so dass Annelore und ich uns nicht mehr berühren und schweigend nebeneinander her gehen. Mögen auch zwei Päpste hier ihre Aufwartung gemacht haben, mag es auch eine beeindruckende Fülle an Wunderheilungen geben, inzwischen glaube ich nicht mehr an das Wunder von Lourdes, sondern habe das Gefühl einer Verschwörung von falsch verstandenem Christentum und richtig verstandenem Kapitalismus aufgesessen zu sein. Halbherzig schlage ich Annelore vor, umzudrehen und zurückzufahren, aber sie ist jetzt wild entschlossen, das heilige Wasser zu probieren. Dieses ist tatsächlich gratis, kommt aber nicht mehr direkt aus der Quelle, was bei der Masse an Menschen auch kaum möglich wäre, sondern wird aus ordinären Wasserleitungen ausgeschenkt. Voller Misstrauen trinke ich es und dann erlebe ich tatsächlich ein kleines spirituelles Wunder, denn meine Wahrnehmung verändert sich drastisch. Im einen Moment beuge ich mich über eine ordinäre Wasserleitung, um fast schuldbewusst einen Schluck für heilig ausgegebenes Wasser zu trinken und im nächsten Moment verändert sich alles. Zuerst verschwinden nahezu alle meine negativen Gedanken und Zweifel und mein Geist öffnet sich. Zumindest fühlt es sich für mich so an, als hätte ich Scheuklappen aufgehabt und als seien diese nun entfernt worden. Ich schaue in den Himmel und die Wolken, die diesen bedecken, verschieben sich so, dass sie einen Teil der Sonne durchlassen, der in diesem Moment Annelore`s unglaublich grünen Augen leuchten lässt. Es ist so, als wenn die Welt ihren unermüdlichen Rhythmus verlangsamt und mit ihm verlangsamen sich alle Bewegungen. Alles wird deutlich und klar und für einen Moment, der im Grunde kein Moment mehr ist, scheint die Welt anzuhalten.

Aber dann setzt der Rhythmus wieder ein und was bleibt ist, dass sich mein Kopf leicht und weit anfühlt und dass ich unglaublich milde gestimmt bin. Ich beobachte mich dabei, wie ich den anderen Menschen, die mich eben noch mit Abscheu erfüllt haben, zulächele und ein behinderter Junge im Rollstuhl lächelt zurück und für einen Augenblick ist in mir das Wissen, dass die Welt so wie sie ist absolut in Ordnung ist. Auch wenn es den Anschein hat, dass dem nicht so ist. Ich drehe mich im Kreis, umfasse dann alle christlichen Auren ignorierend Annelore und wirbele sie um mich herum. Sie ist ganz überrascht von meinem Ausbruch, lässt es aber zu. Wir ernten zwar eine Menge an ernsten und ablehnenden Blicken, aber es gibt andere, die uns zulächeln. Es sind nicht die Gesunden, die uns zulächeln, es sind die Behinderten und Kranken. Ich setze Annelore wieder ab, schaue ihr in die Augen, schaue in den Himmel, schaue über den Platz hin zur Kathedrale und bin tatsächlich eins mit allem. In diesem Moment weiß ich genau, wer ich bin und was mein Weg ist. Mein Schicksal ist vor mir ausgebreitet, ich bin mit allem verbunden und das fühlt sich fantastisch an.

Doch dann ist es genauso schnell wieder vorbei, wie es gekommen ist. Dieser Augenblick vergeht genauso, wie es alle Augenblicke vor ihm getan haben und ich bleibe in mir und als isoliertes ich zurück. Auch wenn ich weiterhin Frieden in mir spüre, habe ich aber doch das Gefühl, etwas unglaublich Wertvolles verloren zu haben. Für einen Moment lang scheint es so, als würde ich dort vor unglaublich vielen Menschen zu weinen anfangen, aber ich kann mich so weit unter Kontrolle bringen, dass ich es nicht tue und auch das erscheint mir als Verlust. In den folgenden Minuten bringt sich mein ganzes System wieder unter Kontrolle, der Computer wird neu hochgefahren und in mir verbleibt ein Mix aus Freude und Trauer, aber das fühlt sich jetzt gerade richtig an. In diesem Moment bemerke ich, dass Annelore wohl schon das zweite oder dritte Mal eine Frage wiederholt. Sie schaut etwas unwirsch drein, muss dann aber lachen, als sie mein verwirrtes Gesicht sieht. Nun erst verstehe ich, was sie sagt. Sie möchte wissen, ob wir nun auch die Grotte besichtigen wollen. Ich sehe die große Schlange, die sich dort gebildet hat und wohl auch den ganzen Tag nicht abnehmen wird und sage ja. In dem benebelten Zustand, in dem ich mich befinde, nehme ich das Warten kaum wahr, viel zu interessant sind all die Eindrücke, die auf mich einprasseln. Die Grotte selber finde ich dagegen nicht so interessant, vielmehr bin ich ergriffen von den Szenen, die sich dort abspielen. Manche Menschen sinken in tiefe Gebete, fangen an zu schluchzen oder rufen laut ihren Gott an. Fast wird mir das alles zu viel und ich bin froh, als wir am anderen Ende der Grotte wieder herauskommen. Mein Wunsch ist es, das Gelände möglichst schnell zu verlassen, denn ich habe das Gefühl, hier keinen klaren Gedanken denken zu können und ich brauche dringend mal wieder ein paar davon. Lourdes, der Traum vom Swami, das merkwürdige Gespräch, all diese Dinge wollen verarbeitet werden.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe

Februar 22, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

11. Kapitel: Die Begegnung

Nach einigem Hin und Her stehe ich nun vermutlich vor dem Haus, in dem Annelore wohnt. Geschrieben hatte sie mir, dass sie hier mit zwei Freundinnen wohnt und dass immer was los ist. Ich klingele und zuerst passiert gar nichts. Dann geht irgendwo oben ein Fenster auf und bevor ich noch mitbekomme, wer es ist, höre ich einen Schrei. Das Fenster knallt wieder zu und nur einen Moment später liegt sie mir in den Armen, küsst mich und redet französisch auf mich ein, so dass ich erst einmal gar nichts verstehe. Sie zieht mich ins Treppenhaus, drückt und herzt mich zwischendurch, um mich dann weiter in Richtung Wohnung zu schieben. So dauert es eine ganze Weile, bis wir endlich oben angelangt sind. Ihre beiden Freundinnen stehen schon an der offenen Wohnungstür.  Ich erkenne Virginie wieder, die mich nach Sitte in Bordeaux je zweimal auf beide Wangen küsst und auch die dritte im Bunde verfährt so, wobei ich höre, dass sie Maya heisst. Ich bitte sie alle langsam zu sprechen oder wenn es geht, sogar die englische Sprache zu benutzen.

<<Ich kann sprechen ein wenig deutsch.>>, sagt Maya und schaut mich aus dunkelbraunen Augen an, als würde sie mir ein unschätzbares Geheimnis anvertrauen. Aber ich habe nur Augen für Annelore, die viel besser aussieht, als ich sie in Erinnerung habe. Das freut mich, denn meistens haben wir übersteigerte Erwartungen, so dass wir oft eher enttäuscht sind, wenn wir jemanden wiedersehen. Zuerst trinken wir Kaffee. Mir scheint, dass die Franzosen immer erst einmal einen Kaffee trinken müssen, bevor sie etwas tun. Die Mädchen reden auf mich ein und immer wieder  muss ich sie unterbrechen, damit sie langsamer sprechen oder mir etwas genauer erklären, was ich nicht verstanden habe. Im Grunde bin ich auf Annelore fixiert. Ich verzehre mich danach, sie zu berühren und mit ihr allein sein zu können. Dann endlich haben ihre Freundinnen ein Einsehen und lassen uns wirklich allein. Für einen Moment habe ich die Befürchtung, dass es nun irgendwie komisch werden könnte, aber Annelore zerstreut sofort alle Bedenken, indem sie sich bei mir auf den Schoß setzt und sofort anfängt mich zu küssen. Aus Zärtlichkeit wird Leidenschaft und wir küssen uns, als wäre es für jeden von uns das letzte Mal. Unter anderen Umständen hätte es auch jetzt schon zum Äußersten kommen können, aber wir werden wieder gestört, als Virginie hereinplatzt.

<<Oh, störe ich euch?>>, fragt sie und grinst dabei.

<<Nee, gar nicht…>>, erwidere ich und lächele sie so an, dass sie weiß, dass sie kaum hätte mehr stören können, was sie aber nicht weiter aufhält, denn sie berichtet uns, dass gleich eine Party beginnen wird, zu der wir unbedingt hingehen müssen. Annelore schaut mich fragend an. Ich will nicht gleich der Spielverderber sein, obwohl ich gut hätte weiter knutschen können, aber ehe ich mich versehe, sind wir auf dem Weg zur Party. Nach einer wilden Fahrt quer durch Bordeaux kommen wir an einem Haus an, aus dem schon von weitem laute Musik zu hören ist.

Die Party verwirrt mich total, denn ich treffe viele Leute, die ich nur zum Teil verstehen kann und von denen ich keinen kenne. Ganz anders geht es naturgemäß Annelore, die sich mit wechselnden Menschen unterhält, wobei ich keine Ahnung habe, in welcher Beziehung sie zu diesen steht. Für einen Moment lang fühle ich starke Eifersucht in mir, dann wieder fühle ich mich verlassen, aber Annelore kehrt immer zu mir zurück und zeigt mir und allen anderen, dass sie an mir interessiert ist. Ich sitze in der Nähe eines offenen Fensters und trinke Bier. Allmählich verlieren sich die Eindrücke in einem großen Nebel und ich lasse immer mehr los und lasse stattdessen alles auf mich wirken. In diesen Zustand hinein platzt ein Typ, der mich auf englisch anspricht. Er ist schon etwas älter, trägt einen Bart, riecht etwas staubig und erzählt mir ungefragt, warum er zur Zeit in Bordeaux ist. Als ich mich schon frage, was das soll, fragt er mich ganz unvermittelt, ob ich den Sinn meines Lebens schon gefunden hätte. Obwohl ich verdutzt bin, werfe ich ihm doch ein paar Floskeln hin. Diese scheinen ihm zu genügen, denn unaufgefordert erzählt er mir, dass er nach einer schweren Krankheit nach Lourdes gefahren ist und er dort geheilt worden ist. Aber damit ist er noch nicht fertig. Er krault seinen Bart und berichtet davon, dass er kurz danach eine Vision von einem indischen Swami gehabt hat und seitdem wäre sein Leben ganz anders. Daraufhin schaut er mich sehr intensiv an, bis ich den Blick senken muss, weil ein komisches Gefühl in mir aufsteigt.  Es fühlt sich ein wenig so an, wie verrückt zu werden. Ich möchte diesem Gefühl nicht zu nahe kommen und versuche stattdessen ihn abzulenken, so dass er mir mehr von Lourdes erzählt.  200 km liegt Lourdes von Bordeaux entfernt. Vor über 150 Jahren hat eine Frau namens Bernadette Soubirous in der Nähe einer Grotte immer wieder Erscheinungen gehabt. In diesen Erscheinungen  zeigte sich hauptsächlich eine in weiß gekleidete Frau. Während der Untersuchungen dazu wurde die Quelle in der Grotte freigelegt und diese zeigte in der Folge Heilwirkungen. Heute befindet sich dort ein bedeutender Wallfahrtsort, an dem es schon viele Wunderheilungen gegeben haben soll. Auch mehrere Päpste sind bereits dort gewesen und es finden sich Menschen unterschiedlichster Länder, die in Lourdes Heilung und Hoffnung suchen. Ich höre ihm fasziniert zu und ermuntere ihn dann auch über seinen Swami zu sprechen.

<<Er kann Wunder tun!>>, ruft er aus und für mich klingt das ein wenig so, als wenn er seinen Guru damit anpreisen möchte. Als ich nachfrage, was der Swami denn für Wunder tun könne, erzählt er mir, dass der Swami Dinge materialisieren kann.

<<Er kann deine Gedanken lesen und kennt dein ganzes Leben, auch wenn er vorher nicht mit dir gesprochen hat. Aber das größte Wunder ist, dass eine Begegnung mit ihm dein ganzes Wesen verändert.>>

Ich will ihn gerade fragen, wie denn das eigene Wesen verändert wird und ob ihm selbst das auch schon geschehen ist, da kommt Annelore zurück, küsst mich und zieht mich auf die Tanzfläche. Dort drehe ich mich um, aber der Mann ist fort. Ich tanze mit Annelore, sage ihr dann, dass ich zur Toilette muss und suche überall nach dem Mann. Ich kann ihn nirgends finden und keiner, den ich frage, scheint ihn zu kennen. Kurz darauf dränge ich Annelore zum Aufbruch. Ich sehe ihr an, dass sie gern noch mit mir weitergefeiert hätte, aber sie kommt mit mir mit. Bei ihr Zuhause geht sie duschen und ich gehe mit ihrem Notebook ins Internet. Ich finde viele Seiten über Lourdes und nach einigen Versuchen finde ich auch den Swami und seinen Ashram in der Nähe von Mumbai in Indien. Auf einem Bild von ihm scheint sein Blick mich zu durchbohren und schnell schließe ich den Deckel vom Notebook. Annelore ruft nach mir. Ich gehe ans Waschbecken. Sie will ein Handtuch, aber als ich es ihr geben will, lässt sie es fallen und zieht stattdessen mich in die Duschkabine.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 10

Februar 21, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

10. Kapitel: Paris und weiter

Am nächsten Morgen bin ich früh wach und laufe ein wenig herum, um zu sehen, ob ich in der Nähe etwas zu essen bekomme. Ich fühle mich völlig heimatlos und auch ein wenig abenteuerlich. Die Mädchen schlafen noch und einen Moment lang denke ich daran einfach wegzugehen, aber das finde ich nicht richtig. Ich setze mich an einen Baum und lasse mir die Morgensonne ins Gesicht scheinen. Es kommt mir so vor, als hätte es einen solchen Moment in den letzten Jahren in meinem Leben nicht gegeben, aber ich weiß, dass ich übertreibe, um den Moment zu überhöhen. Schon bald werde ich die beiden Mädchen verlassen, denn es treibt mich weiter. Kurz ziehen vor meinem inneren Auge all die Menschen vorbei, deren Weg ich in der letzten Zeit gekreuzt habe. Jeder hatte eine ganz besondere Botschaft für mich, auch wenn ich diese im einzelnen noch nicht verstehe. Das erinnert mich an die Prophezeiungen von Celestine, die ich vor einiger Zeit gelesen habe. Dort wird unter anderem beschrieben, dass jede menschliche Begegnung eine tiefere Bedeutung für uns haben kann. In jeder Begegnung steckt eine besondere Information für uns. Es liegt in gewisser Weise immer auch an uns selbst, wie tief wir in das Leben, den Alltag und seine Begegnungen schauen wollen. So als hätte alles mehrere Dimensionen, die aber jeweils nur für denjenigen sichtbar sind, der auch ein Bewusstsein für die betreffende Dimension hat. Lissi und Franzi verkörpern für mich Lebensfreude und Spontanität trotz eines für sie geregelten Alltagslebens zu Hause. Für mich gibt es oft nur das eine oder das andere, ein sowohl als auch fand ich bislang immer recht heuchlerisch, in dem Sinne, dass sich da jemand nicht entscheiden kann. Was ich noch schlimmer finde, ist, dass jemand durch seine mögliche Entscheidung für etwas jemand anderen nicht auf die Füße treten mag. Das finde ich feige. Doch allmählich werde ich auch in dieser Ansicht eines Besseren belehrt.

Lissi bewegt sich und wird wach. Ich gehe zu ihr und lege mich für einen Moment neben sie. Sie kuschelt sich an mich, doch darauf will ich jetzt nicht mehr eingehen und ich sage ihr, dass ich weiter muss und dass sie Franzi grüßen soll. Sie dreht sich zu mir und bringt zum Ausdruck, dass ich ein netter Typ bin und sie gerne besuchen kommen könne. Sie nennt mir Stadt und den Namen der Versicherung, bei der sie arbeitet. Dann drückt sie mich leicht weg.

<<Nun geh schon.>>, sagt sie, lächelt mich dabei aber an. Ich stehe auf und gehe los. Nach einiger Zeit drehe ich mich um und sehe sie am Auto stehen und mir nachwinken. Für einen Moment lang überlege ich, ob ich umkehren und mich von ihnen zum Bahnhof fahren lassen soll, gehe dann aber weiter. Immer weiter. Das könnte ein Lebensmotto sein, denn viele unserer Probleme im Leben entstehen genau dadurch, dass wir an den Dingen oder Menschen festhalten. Andererseits kann ein ständiges „weiter“ auch als Flucht interpretiert werden, was es in diesem speziellen Fall für mich auch ist. Lissi könnte mir gefährlich werden, was mich wundert, denn eigentlich bin ich auf Annelore fixiert. Zu Hause kenne ich solche Verhaltensweisen von mir selbst gar nicht, es muss etwas damit zu tun haben, dass ich recht spontan unterwegs bin.

Ich laufe, bis ich zu einer Bushaltestelle komme. Das Laufen tut mir gut, es klärt den Kopf, auch wenn ich allmählich Hunger bekomme. Der Bus fährt sogar fast bis zum Gare du Nord. Dort kann ich einen Zug nach Bordeaux bekommen. Am Bahnhof ist die Hölle los. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich eine Fahrkarte gekauft und gecheckt habe, wo und wann der Zug abfährt. Schließlich ist es soweit und ich sitze mit meinem Baguette in einem Abteil und freue mich auf die Fahrt. Ich sitze zwar nicht im TGV, weil mir dieser zu teuer ist, aber auch dieser Zug braucht nur knapp fünf Stunden bis Bordeaux, so dass ich bereits am Nachmittag in Bordeaux sein werde, und wie wird es von dort an weiter gehen? Im Moment weiß ich es nicht, aber das macht mir auch keine Sorgen, denn ich bin im Reiserausch und es fühlt sich so an, als ob mich keiner aufhalten kann. Aufhalten kann mich vielleicht im Moment keiner, nur der Schlaf kann mich stoppen, denn kaum ist der Zug losgefahren, bin ich auch schon eingeschlafen. Erst kurz vor Bordeaux werde ich wieder wach und fühle mich total orientierungslos. Wie in Trance oder noch im Traum gefangen, steige ich in Bordeaux aus und hole mir einen Kaffee. Dieser macht mich soweit wach, dass ich darüber nachdenken kann, was ich nun tun will. Es ist bereits spät am Nachmittag und ich habe keine Ahnung, ob ich Annelore so einfach überfallen kann. In der Innenstadt finde ich ein Internetcafe und gebe ihre Adresse ein. Google maps zeigt mir sofort, wo sie wohnt. Es ist gar nicht mal so weit entfernt. Der nur wenig nette Verkäufer rät mir, den Bus zu nehmen. Meine Mails hole ich lieber nicht ab, ich will gar nicht wissen, was zu Hause los ist, auch mein Handy habe ich bislang nicht aufgeladen. So fühle ich mich frei und das will ich auch bleiben, bis ich weiß, was mit mir und Annelore passiert. Unsere Welt hat sich in einem Ausmaß verändert, wie uns das kaum bewusst ist. Heutzutage ist jeder von uns immer erreichbar. Das Handy und das Internet machen es möglich, an den meisten Orten der Welt direkt auf unsere Informationen und Kontakte zugreifen zu können. Wenn ich früher verreist bin, war ich einfach nicht erreichbar. Nur, wenn ich selbst mich gemeldet habe, entstand ein Kontakt. So können uns Dinge, die uns freier machen sollen, oftmals sogar in unserer Freiheit beschneiden.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 9

Februar 20, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

9. Kapitel: Auf dem Weg nach Paris

Die beiden jungen Frauen sprechen deutsch und französisch. Im Gespräch vermischen sich beide Sprachen auf eine witzige Art und Weise. Sie wollen Urlaub machen und ihr Französisch verbessern. Sie sind Kolleginnen bei einer Versicherung und als sie mir das erzählen, kichern sie beide, als hätten sie mir erzählt, dass sie Unterwäschemodels wären. Elisabeth „Lissi“ und Franziska „Franzi“ sind so hübsch, dass ich gar nicht glauben kann, dass sie in einer Versicherung arbeiten. Sie geben zu, viele Verehrer zu haben und dass sie beide im Moment Singles sind.

<<Bringt doch nichts im Urlaub.>>, meint Lissi, lächelt aber nicht mich, sondern Franzi an. Schon bald fährt Franzi von der Autobahn ab und wir rasen die Nationalstraße entlang. Lissi guckt immer wieder nach rechts und ich vermute, dass sie auf die Toilette möchte, aber die ersten beiden Parkplätze sind ihr wohl nicht gut genug und so fahren wir weiter. Plötzlich kreischt sie auf und Franzi lenkt den Wagen nahezu automatisch auf den Parkplatz.

<<Hast du Bock auf Kiffen?>>, fragt mich Lissi und obwohl ich in der Regel darauf verzichte, sage ich spontan ja. Währenddessen fährt Franzi bis in die hinterste und versteckteste Ecke des Parkplatzes. Kein weiteres Auto ist zu sehen. Es riecht angenehm nach Nadelbäumen, der Himmel ist aufgerissen und es jagen sich die Wolken, als würden sie an einem Rennen teilnehmen, doch der Wind ist warm und es fühlt sich gut an, ans Auto gelehnt nur so dazustehen und in den Himmel zu schauen.

<<He, bist du schon stoned?>>, fragt mich Lissi und reicht mir ein Gerät, was wie eine Mischung aus Pfeife und Bong aussieht. Ich zünde die Mischung an und nehme einen vorsichtigen Zug.  Es schmeckt würzig und scheint gutes Marihuana zu sein. Lizzi und Franzi, die jetzt auch aus dem Auto kommen, sind da bei weitem nicht so vorsichtig. Sie ziehen recht kräftig an der Bong und fangen an albern zu werden.  Ich frage mich, was solche jungen Frauen bei einer Versicherungsgesellschaft machen, aber im Grunde ist es mir egal. Das Leben ist schön und ich erwische mich dabei, wie ich vor mich hin grinse. Die beiden Mädchen lachen viel und fangen an, mich auszufragen. Vor allem Lissi kommt mir dabei körperlich sehr nahe. Sie riecht gut, wie eine Mischung aus Natur und etwas Schweiß. Sie hat unglaublich schönes Haar und in dem Licht des Spätnachmittags leuchten ihre Augen ganz grün. Fast übergangslos steigt Begehren in mir auf. Immer, wenn sie sich bewegt, verrutscht ihr Shirt und zeigt kleine Hautpartien, schöne Haut, leicht gebräunt. Ich würde gern meine Hand nehmen und ihr Shirt etwas hochheben und ihre Haut streicheln. Na, dies ist vielleicht einer der ungewöhnlichsten Gedanken, die je gedacht wurden, spreche ich in Gedanken recht zynisch zu mir selber. Ich kann es nicht verdrängen und denke auch an Annelore, die ich im Moment betrüge, obwohl ich nichts gemacht habe. Wir sind noch nicht einmal zusammen und doch fühle ich mich ein wenig schuldig, weil meine Gedanken sich mit dem Körper einer anderen Frau beschäftigen. Es ist interessant, wie wir in uns unser eigenes System konstruieren und wie wir dann sozusagen zu einem Teil dieses Systems werden. Ich konstruiere, dass ich aufgrund meiner vorhandenen Gefühle zu Annelore bald mit ihr zusammen sein werde. Wenn ich mit ihr zusammen bin, dann bin ich ihr auch treu. Da ich ihr treu bin, ist Untreue oder auch nur der Gedanke daran etwas Falsches. Es sind diese selbst konstruierten Bilder, die uns so oft gefangen halten. Doch dann  ist es mir egal. Vielleicht, weil das Dope wirkt, oder einfach, weil Lissi so süß ist. Franzi nimmt sich eine Decke und legt sich neben das Auto ins Gras. Ich möchte Lissi von Annelore erzählen und erklären, wohin ich warum unterwegs bin. Das mache ich aber nicht, stattdessen gehe ich einen Halbschritt auf sie zu, lege meine Hand auf den Bund ihrer Jeans und lasse sie am unteren Rücken unter ihr Shirt wandern und ihre Haut streicheln. Lissi lehnt sich an mich und eine kleine Ewigkeit stehen wir so, aber mehr passiert nicht. Lissi löst sich sanft von mir und legt sich zu Franzi auf die Decke. Aus der engen Verbundenheit falle ich ins Getrenntsein und fühle mich verloren. Auch das kann eine Wirkung der Droge sein, die extreme emotionale Zustände erzeugt, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen müssen. Letztlich interpretieren wir ja immer die Wirklichkeit und die Droge verändert  nur die Art der Interpretation.

<<Wer soll eigentlich fahren?>>, frage ich in die Stille hinein und sie antworten nahezu unisono:

<<Immer der, der so doof fragt!>>, dabei kichern sie, Lissi`s Kichern wird zum Lachen, dem auch ich nicht widerstehen kann und bald lachen wir alle drei.

Später bin tatsächlich ich es, der fährt. Neben mir bemüht Franzi sich, wach zu bleiben und die Karten zu lesen. Lissi schlummert hinten, nur ab und zu ist ein leichter Seufzer von ihr zu hören.

<<Das macht sie immer so.>>, sagt Franzi. Ich bin wie im Rausch und kann mir nichts Schöneres vorstellen, als leicht bekifft in der Abenddämmerung auf französischen Landstraßen in Richtung Paris zu fahren. Obwohl auch in mir die Müdigkeit des langen Tages aufsteigt, ist es doch ein erleuchtendes Erlebnis in das nächtliche Paris einzufahren. Nach der dunklen Landstraße haben die Lichter der Großstadt etwas Erweckendes, aber auch etwas Verfremdendes. Man fühlt sich plötzlich klein, wie eine Ameise in ihrem Staat. Allmählich werde auch ich müde, ein Blick zur Seite zeigt mir, dass inzwischen alle beide schlafen. Ich fahre von der Hauptstraße ab, halte am Straßenrand und wecke Franzi, um sie zu fragen, wo ich denn nun hinfahren soll. Sie weiß es auch nicht und letztlich landen wir in einem abgelegenen Park, wo wir mehr oder weniger gemütlich den Rest der Nacht verbringen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 8

Februar 19, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

8. Kapitel: Auf der Straße

Schon seit zwei Stunden stehe ich am Autobahnzubringer Richtung Süden und kein Auto will halten. Es hat leicht angefangen zu nieseln und ich frage mich zum wiederholten Male, warum ich das ehrlich gemeinte Angebot von Hanna und Emil nicht angenommen habe, noch ein paar Tage zu bleiben, aber ich muss das jetzt durchziehen, auch wenn es mir im Moment nicht gerade leicht gemacht wird. Als ich innerlich schon fast bereit bin aufzugeben, hält doch ein Wagen. Der Typ meint, er wird bis Aachen fahren und ich kann mitkommen. Ich erzähle ihm, wie schwer es ist, mitgenommen zu werden, und das ich bis nach Südfrankreich will.

<<Früher war trampen in, heutzutage gibt es das kaum noch.>>, meint er.

<<Vieles hat sich verändert und das Wenigste zum Positiven!>>, fügt er dann noch hinzu.

Es riecht in seinem Auto nach Zimt und ich suche vergebens ein vergessenes Stück Kuchen. Er heisst Rolf, hat längere Haare, die gut mal wieder gewaschen werden könnten und ist Student. Ewiger Student, wie er selbst sagt. Er studiert Philosophie und das Studium endet nie.

<<Weißt du, das Studium der Philosophie endet mit dem Studierenden.>>, holt er weit aus. Ich weiß überhaupt nicht, worauf er hinaus will. Oder anders gesagt, verstehe ich nur Bahnhof. Ich muss meine Gedanken in meiner Mimik sichtbar gemacht haben, denn er redet weiter: <<Philosophie hat doch damit zu tun, den Menschen oder die Welt zu verstehen, denn auch sie geht von bestimmten Grundvoraussetzungen aus. Zum Beispiel, dass es eine Welt und Menschen gibt, weil was gäbe es sonst zu verstehen? Und wenn du an die Veden denkst, dann wird darin gesagt, dass die Welt Maya ist, Illusion. Und dann versuchen wir etwas zu verstehen, das im Grunde nur Illusion ist.>>

Nun habe ich das Gefühl, selber in so einer Art von Philosophie Grundkurs zu sein und glücklicherweise habe ich bereits von den Veden gehört, diese sind mit die ältesten Schriften der Menschheit, die zuerst nur mündlich überliefert wurden und aus dem Hinduismus stammen. In ihnen finden sich viele Geheimnisse der Welt und sie können durchaus als spirituelle Offenbarung verstanden werden. Da ich nichts dagegen habe, raucht Rolf nun eine Zigarette. Es ist eine selbst gedrehte, die er von der Ablage nimmt.

<<Kannst du mir folgen?>>, fragt er mich und qualmt mich voll. Ich öffne mein Fenster ein wenig, aber es regnet nun heftiger und ich schließe es schnell wieder.

<<Aber was ist nun, wenn eben nicht nur die Welt Illusion ist, sondern auch wir selber? Klar, wir gehören ja zur Welt und wenn diese nicht real ist, dann sind wir es auch nicht.>>

Dann schweigt er, zieht an seiner Zigarette und schaut mich aus dem Augenwinkel etwas merkwürdig an. Wenn ich Illusion bin, wieso bin ich mir selbst dann trotzdem so sicher. Wie kann ich denken, dass alles Illusion ist und es bleibt dann doch real. Wenn das jetzt eine Quizsendung wäre, dann wüsste ich die richtige Antwort und es würde eine Art Tusch gespielt werden oder vielleicht eine Fanfare und das Quiz wäre zu Ende, aber in Wirklichkeit sitze ich in einem Auto, mit einem mir unbekannten Menschen, auf dem Weg nach Aachen. Ich überlege einen Moment lang, ob ich Rolf meine Gedanken mitteilen soll, bin mir aber sicher, dass er diese auch schon gedacht hat und ich versuche etwas anderes.

<<Warum hörst du dann nicht auf zu studieren und gehst nach Indien zu einem Guru oder so was ähnliches? Dann könntest du deine theoretischen Erkenntnisse praktisch erfahren.>>, will ich von ihm wissen. Was er antwortet, verblüfft mich total, denn ich habe etwas ganz anderes erwartet.

<<Ich kann nicht. Es fehlt mir dazu etwas. Mut vielleicht oder ein tieferer Drang die Wahrheit wirklich wissen zu wollen oder es ist einfach für mich nicht vorgesehen?>>

Das sagt er so, dass es wie eine Frage klingt und das erste Mal, seit ich in seinen Wagen gestiegen bin, lächelt er.

<<Stattdessen studiere ich ein wenig, helfe meinem Professor, fahre ab und zu Taxi und kümmere mich um meine Kinder.>>

Ja da ist es wieder, das illusionäre Leben hat die Tendenz, sich ganz schön real anzufühlen. Rolf hat zwei Kinder, lebt aber von ihnen und ihrer Mutter getrennt. Diese hat längst einen Neuen, lebt gut situiert in einem besseren Stadtteil von Aachen und ab und zu darf er seine Kinder sehen. Als hätten wir in diesen paar Sätzen alles gesagt, was zwei Menschen einander sagen können, schweigen wir uns nun an. Ich entspanne mich auf dem Beifahrersitz und erlaube mir, ein wenig von Annelore zu träumen. Dann muss ich wohl eingenickt sein, denn Rolf rüttelt mich an der Schulter und meint, dass wir da wären. Er lässt mich an einer belebten Straße mitten in Aachen raus und während ich mich fürs Mitnehmen bedanke, tut er es für das Gespräch. Dann bin ich wieder allein. Und auch wieder nicht, denn links und rechts rauschen die Autos an mir vorbei. Inzwischen ist es Nachmittag, ich habe Hunger und Durst und weiß im Moment so gar nicht, wie es weitergehen soll. Ich laufe an der Straße entlang, bis ein Hinweisschild mir sagt, wo es zur Grenze geht. Unterwegs esse ich ein Brötchen und trinke etwas Wasser. Ich positioniere mich an einem Zubringer und rechne damit, hier lange warten zu müssen. Ich habe einen dünnen Schlafsack dabei und kann zur Not auch irgendwo draußen übernachten, aber nur, wenn es wie jetzt trocken bleibt. Ich stelle mich hin und halte den Daumen heraus. Wieder komme ich mir total blöd vor, als würde ich ein altes Ritual vollziehen, das heutzutage kein Mensch mehr kennt. Aber dieses Ritual scheint weiterhin wohl bekannt zu sein und es passieren tatsächlich auch immer wieder Wunder, denn es hält nahezu sofort ein Wagen. Vielleicht hätte ich im Vorfeld meine astrologischen Transite checken sollen, denn es scheint eine wirkliche Glückssträhne zu sein, weil im Auto sitzen zwei junge Frauen sitzen, die mich nett anlächeln. Und das Beste ist, dass sie nach Paris wollen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe 7. Teil

Februar 18, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

7. Kapitel: Hannover 

Ohne mich groß zu verabschieden, sitze ich einige Tage später im Zug nach Hannover. Es ist doch immer wieder interessant zu beobachten, wie schnell etwas gehen kann, wenn man sich entscheidet und in eine Richtung bewegt. Die moderne Forschung hat im Bereich der Entscheidungsfindung festgestellt, dass erst der Impuls zum Handeln da ist und im Nachhinein der mentale Befehl dazu kommt. Wenn wir also beispielsweise unseren Arm bewegen, bewegt sich erst der Arm und dann denken wir daran, den Arm zu bewegen. Wenn diese Forscher Recht haben, sind wir mit unserem Kopf immer zu langsam. Ja und außerdem kann daraus gefolgert werden, dass wir keinen freien Willen haben. Damit wäre alles vorherbestimmt, festgelegt, determiniert. Somit wäre es jetzt schon klar, ob und wann, unter welchen Umständen, und mit welchem Ergebnis für die Zukunft ich Annelore wiedersehen werde. Irgendwie ist diese Vision beruhigend und andererseits ist sie auch erschreckend. Sind wir nur Marionetten eines bereits geschriebenen Drehbuchs? Obwohl, wenn wir nicht wissen, dass alles vorherbestimmt ist, ist es das für uns ja auch nicht. Wenn der Schauspieler nur die Szene kennt, die er gerade spielt, sind die nächsten Szenen für ihn unbekannt, auch wenn diese schon im Drehbuch stehen. Genauso ergeht es dem freien Willen. Wenn ich nicht weiß, dass ich keinen freien Willen habe, habe ich diesen ja, zumindest subjektiv gesehen. Das ist alles schon ganz schön verwirrend. Kann ich mich also total entspannen, da ja ohnehin bereits feststeht, wohin der Weg führt? Obwohl ich mich wiederum nur dann entspannen kann, wenn es vorgesehen ist, dass ich mich entspanne. Oder wie ein Weiser mal gesagt hat: „Es gibt keinen Weg – gehe ihn“.

Bei all diesen tief schürfenden Gedanken habe ich gar nicht gemerkt, dass der Zug schon fast Hannover erreicht hat. Ich bin sehr gespannt, ob mich Hanna und Emil abholen werden. Das wäre sehr schön. Und tatsächlich stehen sie am Bahnsteig. Der kleine Emil winkt schon, ohne dass da jemand ist, den er kennt. Obwohl es fast ein Jahr her ist, dass wir uns gesehen haben, rennt er auf mich zu und springt mir in die Arme. Hanna lächelt, scheint sich ebenso zu freuen, dass ich da bin. Fast sofort habe ich meiner Schwester gegenüber ein vertrautes Gefühl. Wir steuern ein nahe gelegenes Café an und trinken etwas. Emil rennt herum, krabbelt unter den Tisch und stört die Bedienung. Er ist aber so süß dabei, dass ihm keiner wirklich böse sein kann.

<<Begrüßt er alle immer so enthusiastisch?>>, möchte ich von Hanna wissen.

<<Na, liegt vielleicht daran, dass er keine männliche Bezugsperson mehr hat, seitdem Benno weg ist.>>, erklärt sie mir.

Benno ist der Vater von Emil. Er und Hanna waren ein paar Jahre zusammen, aber vor zwei Jahren haben sie sich getrennt und Benno lebt jetzt hauptsächlich in Spanien und kümmert sich nur sehr sporadisch um Emil. Diese Situation ist nicht einfach für Hanna, aber mit viel Energie, Selbstbewusstsein und Humor meistert sie ihr Leben ganz gut.

Später fahren wir in die Wohnung, in der sie mit Emil inzwischen lebt. Auch wenn die Wohnung nur klein ist, hat es Hanna doch geschafft, ihr Atmosphäre zu verleihen. Es riecht ein wenig nach Wäsche, aber auch frisch und sauber. So riechen in der Regel immer nur Wohnungen von Frauen. Ich habe es nie hinbekommen, dass es bei mir ähnlich frisch riecht. Das ist vielleicht auch der Grund, warum es mir so auffällt. Jedenfalls fühle ich mich dort gleich wohl und Emil geht es anscheinend genauso, denn er will sofort mit mir spielen, aber in Wirklichkeit will er mit mir ins Gespräch kommen.

<<Hast du kein Auto?>>, will er zuerst wissen, während wir dabei sind, ein Auto aus Lego zu bauen.

<<Doch, aber ich wollte lieber mit dem Zug fahren.>>

Ich verschweige Emil, dass mir das Geld fehlt und ich auch dem Wagen nicht soweit vertraue, um mit ihm nach Frankreich zu fahren. Er scheint zumindest mit der Antwort zufrieden zu sein, aber noch nicht befriedigt, was das Stellen von Fragen anbelangt.

<<Hast du keine Frau?>>, ist seine nächste Frage. Was soll ich nun darauf antworten, aber dann versuche ich es mit der Wahrheit. Das soll ja bei Kindern ganz gut funktionieren.

<<Doch, ich habe eine Frau. Sie lebt in Frankreich. Das ist ganz weit weg. Aber da will ich jetzt bald hin, und sie wiedersehen.>>

Da bleibt ihm der Mund offen stehen und für einen Moment lang habe ich Angst, dass sich eine Fliege dort hinein verirrt.

<<Mami und ich sind jetzt allein!>>, stellt er ganz nüchtern fest, schaut mich dabei aber an, als könne ich mit einer Zauberantwort diesen Zustand beenden. Da erlöst mich Hanna mit dem Ruf aus der Küche, dass es etwas zu essen gibt. Wir essen Nudeln und Salat dazu und Emil findet es offensichtlich richtig gut, dass er nicht allein mit seiner Mutter ist. Auch Hanna freut sich und lächelt mich immer wieder an. Emil darf aufstehen und spielen, während Hanna und ich allein mit dem dreckigen Geschirr am Tisch sitzenbleiben. Ich ermuntere sie, von sich und ihrem Leben mit Emil zu erzählen. Es ist nicht leicht ohne Vater für ihn und Mann für sich und obwohl es sehr wohl Angebote gibt, denn meine Schwester ist sehr hübsch, kann und will sie sich jetzt nicht wieder so schnell binden.

<<Außerdem ist Emil ein Problem. Ich kann ihm ja nicht ständig neue Männer vorstellen.>>, sagt sie. Auf meine Nachfrage hin bejaht sie, dass es schon Leute, wie eine gute Freundin gibt, die mal auf ihn aufpassen, aber irgendwie sei sie noch nicht wirklich frei für eine neue Beziehung. Und dann geht der schwarze Peter an mich. Ob ich denn wirklich nach Frankreich will und wie es dann weitergehen soll?

<<He, vergiss nicht, dass du meine Schwester bist und nicht meine Mutter!>>, stoppe ich sie und erkläre ihr, dass ich gar nicht die Wahl habe, sondern dass es mich regelrecht gen Süden treibt.

<<Ich muss diesem Impuls nachgehen, sonst werde ich das mein ganzes Leben bedauern!>>

Ich biete ihr an, den Abwasch zu machen, während sie Emil ins Bett bringt. Mein Plan ist es, von Hannover aus zu trampen, denn ich will mein weniges Geld so gut wie möglich zusammenhalten. Früher ist es total „in“ gewesen zu trampen, heutzutage macht das kaum noch ein Mensch, aber ich will es trotzdem probieren. Wenn es nicht funktioniert, nehme ich eben einfach den Zug. Den Abend verbringen wir zu dritt. Hanna, ich und eine gute Flasche Rotwein.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 6

Februar 15, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

6. Kapitel: Der Tag der Freiheit 

 

Am nächsten Morgen springe ich voller Elan und Energie aus dem Bett. Ich habe meinen Plan klar vor Augen und bin gewillt, ihn in die Tat umzusetzen. Ich rufe bei der Arbeit an und melde mich krank, dann rufe ich meinen Arzt an. Da dieser mich seit meiner Kindheit und vor mir meine Eltern behandelt hat, bekomme ich einen schnellen Termin und bin kurz darauf in der Praxis. Dr. Volkbert wird wohl bald sechzig sein, sieht aber 10 Jahre jünger aus. Ich weiß aus eigener Beobachtung, dass er Marathon läuft und auch so gut drauf ist. Ich erzähle ihm meine Lage, dass es so nicht weiter geht in meinem Leben, dass ich jetzt unbedingt nach Frankreich muss und nicht mehr in dieser Art  arbeiten kann und ob er mich nicht länger krankschreiben kann.

<<Gegen diese Krankheit gibt es kein Mittel.>>, sagt er, als ich mit meinem leidenschaftlichen Dialog fertig bin.

<<Welche Krankheit?>>, will ich wissen und fühle mich wie bei der Telekom, weil ich eine so lange Leitung habe.

<<Liebeskummer!>>

Und er fährt fort: <<So lange kann und will ich dich nicht krankschreiben, aber deinen Impulsen solltest du trotzdem nachgeben. Nur baue dein neues Leben nicht auf Lügen auf, sondern mache es richtig.>>

Vielleicht war genau das der Anstoß, den ich noch brauchte. Auf dem Weg von der Praxis rufe ich Max an und verabrede mich mit ihm im nächstgelegenen Café. Manchmal muss ich einfach nur Kaffee trinken und in Ruhe nachdenken und ein guter Freund kann mir beim Nachdenken sicherlich behilflich sein. Seine Neugier bringt es mit sich, dass Max sehr schnell ins Café kommt. Zuerst läuft richtig coole Ibiza Musik, aber zeitgleich mit Max Erscheinen haben sie Sting aufgelegt.

<<Na, hast du Sting mitgebracht?>>, frage ich ihn bei unserer Begrüßung.

<<Hä?>>, antwortet er, aber ich erkläre es ihm nicht weiter, sondern unterbreite ihm meinen Plan.

<<Ich werde kündigen und nach Frankreich fahren!>>, bringe ich es gleich auf den Punkt. Nun ist Max weder mein Vater, noch ein Lehrer von mir, sondern er ist mein Freund und so schaut er zwar zuerst etwas betreten, umarmt mich dann aber und meint nur:

<<Wird aber auch Zeit, dass du aufwachst und mal was machst!>>

Mit seiner Bestätigung und der fachkundigen Meinung von Dr. Volkbert bleibt mir keine Ausflucht mehr. Nun habe ich mich in diese Lage gebracht und auch wenn noch etwas Angst in mir aufsteigt, spüre ich doch auch den Hauch von Freiheit. Viel zu lange arbeite ich nun schon in diesem Altenheim und auch wenn mich manche der Alten vermissen werden, muss ich mich doch um mich und um mein Leben kümmern.

Am nächsten Tag spreche ich bei meiner Chefin im Altenheim vor. Ich erkläre ihr die Umstände meines Lebens, die es notwendig machen, etwas zu verändern. Es spricht für sie, dass sie mich verstehen kann, mir keine Steine in den Weg legt und mir sogar anbietet, mich wieder bei ihr zu melden, sollte ich erneut in diesem Beruf arbeiten wollen.

Das habe ich schon oft beobachtet. Das Universum oder das Leben unterstützten uns, wenn wir auf dem richtigen Weg sind. Aber was ist der richtige Weg? Don Juan, der Meister von Carlos Castaneda würde sagen, „es ist ein Weg mit Herz“. Es ist der Weg, der uns vorgegeben ist. Wenn wir auf diesem Weg sind, dann fühlt sich das richtig an, ist stimmig und die Türen öffnen sich. Genau das ist es, was ich erlebe. Ich  kündige offiziell bei der Sekretärin des Heims. Verrechnet mit meinen restlichen Urlaubsansprüchen habe ich nur noch wenige Tage zu arbeiten und dann bin ich frei. Kurz darauf rufe ich meine jüngere Schwester Hanna an und melde mich zum Besuch an. Hanna ist mir von meinen beiden Schwestern die Vertrautere, mit ihr habe ich mich immer gut verstanden.  Sie freut sich, mich zu sehen und heißt mich herzlich willkommen. Darüber freue ich mich auch, denn zum Ersten wohnt sie in Richtung Bordeaux und zum Zweiten kann ich dann meinen Neffen wieder sehen. Plötzlich wird es mir noch deutlicher, dass das Universum auf meiner Seite ist und mir helfen möchte. Lächelnd fahre ich mit dem Rad durch unsere Stadt und hier und da wird mein Lächeln sogar erwidert. Die Welt reagiert immer auf uns. Was wir in sie hineinstecken kommt auch irgendwann und irgendwo wieder heraus. Beim Bahnhof hole ich eine Fahrkarte nach Hannover, denn dort wohnen meine Schwester und ihr Sohn.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 5

Februar 14, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

5. Kapitel: Der Brief und seine Folgen

Erst spät komme ich an diesem Tag nach Hause. Ich bin körperlich und seelisch ausgelaugt, aber  gleichermaßen geistig unterfordert. Fast schon automatisch schaue ich in meinen Briefkasten und  finde dort zu meiner großen Freude einen Brief von Annelore. Ich mache es mir gemütlich, um den Brief in Ruhe lesen zu können. Am Ende hat sie auf deutsch geschrieben „Ich liebe dich.“ Der ganze Brief drückt Liebe aus. Sie schreibt, dass sie mich bewundert, ein Begriff, den ich so für mich nicht benutzt hätte und dass sie es kaum erwarten kann, mich wieder zu sehen, am liebsten bei sich zu Hause. Lange Zeit sitze ich mit diesem Brief in der Hand auf meinem Balkon und träume vor mich hin, bis mich ein Anruf aufschreckt.

Es ist ein guter Freund von mir, der mir mitteilt, dass Jens am Abend auf dem Motorrad von einem Auto erwischt worden ist und noch am Unfallort gestorben ist. So schnell kann das gehen. Ich bin total geschockt. Auch wenn Jens nicht der Beste meiner Freunde war, so kannten wir uns doch gut und er war bei einigen Gelegenheiten mit dabei. Noch vor einigen Minuten war ich nur voller Liebe und jetzt hat mich die Realität eingeholt. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, von dem wir wissen, dass es weiß, dass es sterben wird und doch verdrängen wir diese Grundtatsache des Lebens perfekt. So sind wir geschockt, wenn es jemanden erwischt, den wir kennen. Ich weiß nicht, wohin mit mir und rufe Max an. Kurz darauf treffen wir uns. Wir trinken und reden über Jens, indem wir uns an gemeinsame Erlebnisse mit ihm erinnern. Die Gegenwart des Anderen tröstet uns. Erst sehr spät erzähle ich Max auch von dem Brief von Annelore und meinem Wunsch, sie unbedingt wieder sehen zu wollen und dass mich der Tod von Jens noch mehr darin bestärkt hat, keine Zeit mehr zu verschwenden. Wie gesagt sind wir trotz besseren Wissens davon überzeugt, selber unsterblich zu sein. Immer passieren die schlimmen Dinge anderen Leuten, aber nicht uns. Erst, wenn es Menschen in unserer Nähe erwischt, wachen wir ein wenig auf. So ergeht es mir mit Jens. Sein unerwarteter Tod zeigt mir, dass es auch mich jederzeit treffen kann und dass es keinen Zweck hat, Dinge zu verschieben. Andererseits gibt es in uns auch eine Art von Selbstschutz, die es uns möglich macht, schlimme Ereignisse und Dinge zu verdrängen, so dass sich das alte Gefühl der persönlichen Unsterblichkeit meist sehr schnell wieder einstellt.

Die nächsten Tage vergehen wie in Trance. Ich verrichte meine Arbeit und bin viel zu Hause. Als wenn das Kollektiv mit uns um Jens trauern würde, ist auch das Wetter schlechter geworden. Nahezu jeden Nachmittag regnet es und so sind aus mehreren Gründen die Strandtage vorbei. Am   Freitag in dieser Woche findet die Beerdigung statt. Es ist nicht meine erste Beerdigung. Drei Jahre liegt es inzwischen zurück, dass eine Freundin an Krebs gestorben ist. Ähnlich wie damals ist auch heute die Kapelle gerappelt voll. Fast jeden Zweiten kenne ich vom Sehen. In der ersten Reihe sitzen die Eltern von Jens und seine jüngere Schwester. Sie weint und weint. Ich sehe viele Menschen schon vor dem Beginn der Trauerfeier mit feuchten Augen. Der Pfarrer spricht über Jens und das Unverständnis darüber, dass ein junger Mensch mitten aus seinem Leben gerissen wird. Er spricht über Trauer und darüber, dass wir alle irgendwann diesen Weg zu gehen haben. Ich schalte ein wenig ab und träume vor mich hin. Ich werde aber wieder wacher, als der Pfarrer die tiefe  Bedeutung von Freundschaft anspricht und davon, wie wichtig es ist, dass wir einander beistehen. Dann kommt er zum Ende und bevor der Chor seinen Part übernimmt, sagt er etwas, was mich lange nicht mehr loslässt.

<<Wir wissen nicht, welchen Plan Gott mit jedem von uns verfolgt, aber vielleicht gibt Gott uns auch den freien Willen, damit wir erkunden, was unser Weg in diesem Leben ist. Möge er ein gottgefälliger sein.>>

Gut, lassen wir den letzten Satz weg, aber der Anfang scheint auf mich und meine momentane Lage zu passen. Was mag mein Weg im Leben sein?

Dann ist die Beerdigungsfeier zu Ende, ich kondoliere den Eltern und der Schwester, die am Ausgang stehen und gehe davon. Max folgt mir.

<<He, willst du nicht mit ins Gemeindehaus zu Kaffee und Kuchen?>>

Ich will nicht, gehe dann aber doch mit. Das Gemeindehaus liegt ganz in der Nähe und Max und ich gehen schweigend dorthin. Davor steht Catrin. Natürlich steht ihr schwarz, sie ist allein und raucht.

<<Seit wann rauchst du?>>, will ich von ihr wissen und sie antwortet karg: <<Nur heute!>>

Bevor wir reingehen können, packt sie mich am Arm, schaut mir tief in die Augen und sagt: <<Wusstest du, dass ich mit Jens mal geknutscht habe?>>

Wusste ich nicht, interessiert mich auch nicht, aber irgendwie muss ich trotzdem fragend ausgesehen haben, denn sie fährt fort: <<Mehr war aber nicht, denn ich fand ja schließlich dich gut!>>, dabei zwinkert sie mir zu.

Ich weiß wirklich nicht, was das jetzt soll, aber es ist mir auch egal. Irgendwie geht das Kaffeetrinken vorbei und als ich den Raum verlasse, bin ich richtig deprimiert. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich mit mir hin soll. Meistens fahre ich an den Strand, wenn ich in dieser Stimmung bin, dort befindet sich eine meiner Lieblingslokalitäten. Es ist eine urige Kneipe mit Meerblick, was will man mehr und die Jungs haben auch im Winter und bei Regen auf, auch wenn keiner kommt, aber es gibt immer so Leute wie mich, die hier gerne abhängen. Obwohl es noch nicht einmal Abend ist, trinke ich ein Bier, setze mich ans offene Fenster, sehe auf das graue Meer, schaue den Möwen beim Fliegen zu und beobachte den Regen, der mit einer Regelmäßigkeit fällt, als wolle er mir sagen, „ich kann viel besser weinen als du“. Aus einem werden schnell viele Biere und es ist klar, dass ich den Wagen stehenlassen muss, aber das ist auch nicht das erste Mal. Wieder denke ich an Annelore und daran, dass ich morgen schon wieder zur Arbeit muss. Trotz des Alkohols formt sich ein Entschluss in mir. Der Tod von Jens, die Liebe und Anziehung von Annelore motivieren mich, etwas grundlegend in meinem Leben zu ändern. Die Idee, die ich habe, muss noch richtig durchdacht werden und ganz plötzlich bin ich wieder nüchterner und auch ein wenig euphorisch, weil es sich so richtig anfühlt. Gleichzeitig sind da Angst und Zaudern. Es hält mich nicht mehr in der Kneipe. Mit einem Moin verlasse ich sie und stürme hinaus in den Regen. Dieser hat sich ein wenig beruhigt und fällt mäßig aber regelmäßig. Es sind keine Menschen unterwegs und der Regen dämmt alle Geräusche, so dass ich ein wenig das Gefühl habe, der letzte Mensch auf Erden zu sein. Ich laufe bestimmt fast eine Stunde, bis ich die Haltestelle der Buslinie finde, die auch am Sonntag fährt und eine weitere Stunde später bin ich zu Hause.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 4

Februar 13, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

4. Kapitel: Fortsetzung folgt

War es das jetzt schon mit Annelore und mir? Natürlich nicht, denn bereits am nächsten Tag sehen wir uns wieder. Der Sommer lässt uns nicht im Stich und so treffen wir uns alle am Nachmittag am Strand. Ich habe gehofft, dass sie wieder an den gleichen Strandabschnitt fahren würde und in gewisser Weise ist das auch eine Art Gottesurteil für mich. Ist sie am Strand, dann geht etwas zwischen uns, wenn nicht, dann eben nicht. Tatsächlich bin ich viel nervöser als am Abend zuvor und zuerst ist es auch irgendwie merkwürdig zwischen uns. Plötzlich schüchtern, küssen wir uns zur Begrüßung fast wie Fremde und es dauert eine ganze Weile, bis das Eis zwischen uns bricht. Letztlich hilft uns das Wasser. Denn wir gehen gemeinsam baden und das gegenseitige Nass machen und Rumtollen hilft uns, etwas unverkrampfter mit der Situation umzugehen. Im Wasser zieht sie mich plötzlich an sich, so dass ich ihren nahezu nackten Körper an meinem spüre und schon bald liegen wir knutschend am Strand. Und wir sind nicht die einzigen. Auch mein Freund Max hat es auf eine der Französinnen abgesehen und ist ebenfalls nicht ganz erfolglos.

Die nächsten Tage verfliegen wie im Wind. Wir erleben eine unbeschwerte Zeit und es passt, dass ich Urlaub habe und wir einen der schönsten Sommer der letzten Jahre haben. Annelore und ich schlafen nicht miteinander, auch wenn ich von Max erfahre, dass es ihm und anderen in dieser Hinsicht ganz anders ergeht. Aber Annelore und ich verstehen uns immer besser und häufig unternehmen wir abends auch mal etwas allein. In den Gesprächen mit ihr verbessert sich mein Französisch immer mehr und aus meiner Faszination wird ein immer stärkeres Gefühl. Obwohl wir es wissen und innerlich die Tage zählen, kommt der Moment des Abschieds viel zu schnell und viel zu früh. In der Nacht davor verbringen Annelore und ich die Nacht miteinander und beinahe passiert es dann doch, dass wir miteinander schlafen. Wir erleben gemeinsam den Sonnenaufgang. Ich bringe sie zum Bahnhof, wo wir all die anderen wieder sehen. Von meinen Freunden ist am frühen Morgen nur Max da. Annelore und ich versprechen uns einander zu schreiben und ich sage ihr, dass ich sie in Frankreich besuchen werde. Es ist sehr traurig und etwas verloren bleiben Max und ich stehen, als der Zug um die Ecke biegt und uns allein zurück lässt.

In den folgenden Tagen holt mich der Alltag schnell wieder ein. Ich muss wieder zur Arbeit, denn auch mein Urlaub ist vorbei. Jeden Tag denke ich an sie. Es fällt mir so schwer wie nie zur Arbeit zu gehen und mich den Menschen zu widmen, die auf mich angewiesen sind. Es ist in diesen Zeiten sehr hart, als Altenpfleger zu arbeiten. Die Stelle wird schlecht bezahlt, dazu habe ich meistens geteilten Dienst, manchmal sogar Nachtwachen und bin ständig von Alter, Krankheit, Leiden und Tod umgeben. Der Buddha hat gesagt, dass es niemanden erspart bleibt, diesen Dingen zu begegnen. Der Buddha ist der Sage nach als Königssohn geboren worden. Ihm wurde bei seiner Geburt geweissagt, dass er entweder ein Weltenführer oder ein Sannyasin, ein der Welt Entsagender, werden würde. Sein Vater fürchtete die zweite Möglichkeit und versuchte alles Leid von seinem Sohn fern zu halten. An seinem 29. Geburtstag ergab es sich, dass der künftige Buddha vier verschiedene Ausfahrten aus dem behüteten Palast unternahm. Dabei sah er einen alten, einen kranken und einen toten Menschen. Bei seiner vierten Ausfahrt sah er einen Mönch. Da reifte in ihm der Entschluss es dem Mönch gleich zu tun und noch am selben Abend verließ er den Palast und seine Familie und wurde zum Entsagenden. Im Prinzip ergeht es mir ähnlich wie Gautama, denn ich bin von alten, kranken und oftmals toten Menschen umgeben, aber wie ein Buddha fühle ich mich dann doch nicht. Ich habe meine Gefühle, meine Bedürfnisse und meine Sehnsüchte noch lange nicht überwunden. Ganz im Gegenteil würde ich am liebsten kündigen und nach Frankreich fahren, um Annelore wieder zu sehen.

<<Träumen sie junger Mann?>>, fragt mich da Frau Schmidtke, der ich wie jeden Abend ihre Medikamente bringe. Es sind eine Menge Pillen, etwas fürs Herz, etwas gegen die Magenbeschwerden, und etwas zur Beruhigung, obwohl sie das meistens gar nicht bräuchte und noch weitere mehr. Frau Schmidtke kann sehr klar und weise sein oder zu anderen Zeiten auch total abgetreten.

<<Ich habe nur nachgedacht.>>, antworte ich ihr, doch sie lässt nicht locker.

<<Sie sollten nicht träumen oder nachdenken, sondern ihr Leben genießen, vielleicht mit einem jungen Mädchen!>>

Während sie das sagt, sieht sie selber aus wie ein junges Mädchen. Ein junges Mädchen, das sie ja einmal gewesen ist, auch wenn das nahezu achtzig Jahre zurück liegt. Ich weiß, dass sie zwei Söhne bereits verloren hat und kaum einmal Besuch bekommt. Es geht leider vielen der alten Menschen hier so.

Da sie es am nächsten Tag wieder vergessen haben wird, erzähle ich ihr beim Bett ausschütteln von Annelore und meiner Sehnsucht ihr nachzureisen. Und wieder überrascht sie mich, indem sie sagt: <<Machen Sie das doch. Sie sind noch jung. Ich laufe ihnen schon nicht weg und diesen Job>>, – sie sagt tatsächlich Job – <<bekommen Sie doch immer wieder!>>

Was soll man da noch sagen? Ich danke ihr und sage, dass ich darüber nachdenken werde.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 3

Februar 11, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

3. Kapitel: Gespräch im Park

Hand in Hand, aber schweigend gehen wir vom lauten Biergarten in den stillen Park. Es ist eine sternenklare Nacht und immer noch so warm, dass man keine Jacke braucht. Wir setzen uns auf eine Parkbank. Unser Gespräch besteht wie immer aus französischen und englischen Phrasen und manchmal muss ich mehrfach nachfragen, bis ich wirklich verstehe, was sie eigentlich meint. Sie  gibt mir zu verstehen, dass sie mich richtig gut findet und auch gern mit mir allein wäre, aber sie hat auch Angst, denn im letzten Jahr wurde sie nach einer ähnlichen Situation schwanger und hat dann abgetrieben. Mit großen braunen Augen schaut sie mich an, als sie mir das erzählt. Ich weiß zuerst gar nicht, was ich fühlen soll. Sie tut mir leid, ich bin eifersüchtig auf den Fremden, der sie geschwängert hat und uns den Abend verdirbt. Dann finde ich mich selber blöd, weil ich solche Gedanken habe. Letztlich bin ich verwirrt und weiß gar nichts mehr. Intuitiv erfasst sie sofort, was mit mir los ist und meint, dass wir doch nichts überstürzen müssen und alles gut ist. Ist es im Prinzip ja auch, aber meine Gefühle überrollen mich. Irgendwie bin ich gereizt und zunehmend genervt von der Situation, mit der ich in Wirklichkeit nicht gut umgehen kann. Ich sage erstmal gar nichts mehr. Annelore schaut mich an, lächelt traurig, nimmt ihr Handy und redet dann so schnell auf französisch, dass ich gar nichts mehr mitbekomme.

<<Lass uns zurückgehen>>, sagt sie, <<Virginie ist noch da>>.

Tatsächlich sitzt Virginie als letzte an unserem Tisch, nur ein angetrunkener Typ ist auch noch da. Ich kenne ihn nicht, er hat sich wohl Hoffnungen gemacht. Annelore und Virginie begrüßen sich, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen, dabei waren wir gar nicht so lange weg. Ich stehe herum wie bestellt und nicht abgeholt. Wir drei bleiben tatsächlich noch einen Moment im leer gewordenen Biergarten und wissen nicht recht weiter. Um es nicht noch schlimmer zu machen, als es ohnehin schon ist, wage ich mich vor, küsse beide zum Abschied und gehe davon. Ich spüre dabei Annelore`s Blick in meinem Rücken, drehe mich aber nicht um. Dann bin ich ganz allein. Soll ich nun traurig sein? Mich grämen? Warum eigentlich? Gut, wir sind nicht im Bett gelandet, aber das hatte ich ohnehin nicht angestrebt und dass sie mich mag, ist ja offensichtlich. Mit diesen Gedanken gehe ich nach Hause und ins Bett.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 2

Februar 10, 2013

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

2. Kapitel: Treffen am Abend

Zur Zeit wohne ich allein. Ich bin aus einer Wohngemeinschaft ausgezogen, weil ich durch meine Arbeit und das damit verbundene Schichtsystem zu unterschiedlichen Zeiten schlafen und aufstehen muss. Außerdem, und da bin ich ganz ehrlich, hat es mich oftmals genervt, den Inhalt meines Kühlschrankes teilen zu müssen. Jeder Mensch hat seine ganz speziellen Eigenarten und eine der meinen ist es, dass ich wie ein Hamster lebe. Ich kaufe mir zum Beispiel ein paar Jogurts auf Vorrat ein, um sie dann nach einer anstrengenden Schicht im Altenheim genüsslich zu verzehren. Da kann ich mich schon Stunden vorher darauf freuen; im Kopf sehe ich mich vor dem Fernseher sitzen und einen meiner Hamster-Jogurts verdrücken. In der Wohngemeinschaft konnte ich um die Uhrzeit nicht mehr den Fernseher einschalten und die Wahrscheinlichkeit war groß, dass einer meiner lieben Mitbewohner meine Jogurts aufgegessen hatte. So gesehen fühle ich mich sehr wohl damit, allein zu wohnen.

Nun sitze ich in meiner Wohnung und bin total aufgeregt. Immer wieder sehe ich das Gesicht von Annelore vor meinen inneren Augen, und auch ihr Geruch scheint sich mir eingebrannt zu haben. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass der Geruch der am weitesten ins Unterbewusstsein reichende Sinn sein soll und in uns oftmals archaische Gefühle anspricht. In meinem Fall ist es jetzt absolut so. Ich bin nicht übertrieben eitel, aber für diesen Abend gebe ich alles. Ich dusche und rasiere mich ausgiebig und ziehe mein Lieblingshemd an. Im Spiegel gefällt mir, was ich sehe, obwohl ich mich immer auch irgendwie wundere, dass ich die Person sein soll, die ich im Spiegel sehe. Meine innere Wahrnehmung von mir selbst passt nicht unbedingt zu dem, was ich dort erblicke. So, als wäre die Person im Spiegel jemand anderes. Ähnlich geht es mir auch, wenn ich mich beim Sprechen oder beim Singen aufgenommen habe und das hinterher abhöre. Es klingt schon nach mir, aber bin ich das? Max meint, ich neige zum Grübeln und auch zum Philosophieren. Also reiße ich mich mehr von meinen Gedanken als vom Spiegel los und lege Musik auf. Mir ist nach Soul und ich tanze ein wenig im Zimmer herum, als mein Handy klingelt. Es ist Max. Er will mich abholen.

Kurz darauf sind wir bereits unterwegs. Weil wir bestimmt etwas trinken werden, fahren wir mit dem Fahrrad. Es ist Sommer und der Abend ist genau richtig. Der Himmel ist leicht rot gefärbt, die Luft ist süß und lau, die Amseln singen, ein leichter Lufthauch ist spürbar. Ich bin gut drauf und als ich Max ansehe, ist mir klar, er auch. Der Abend kann kommen, hoffentlich kommen die Mädchen auch. Wir haben uns in einem Biergarten im Norden der Stadt verabredet, dort ist es schön und auch ein bisschen unverbindlich, denn wir kennen uns ja noch gar nicht. Bei diesem Wetter ist der Laden doch recht voll. Ich sehe einige Leute, die ich kenne und grüße noch vom Rad herunter. Wir sind früh dran und schlendern ein wenig herum, nachdem wir die Räder abgestellt haben. Natürlich treffe ich meine Ex-Freundin Catrin mit ihrem neuen Freund. Ich muss zugeben, dass sie extrem gut aussieht. Sie ist leicht gebräunt, trägt die Haare offen und neu getönt. Ja so etwas fällt mir sofort auf, obwohl ich ein Mann bin. Das war bei mir schon immer so, ich weiß auch nicht warum. Meine Mutter hat immer mich gefragt, was sie anziehen solle oder ob sie richtig geschminkt sei und nicht meinen Vater oder meine Schwestern. Außerdem, wenn man mit zwei Schwestern aufwächst, dann weiß man einfach mehr von Frauen als andere und wenn ich ganz ehrlich sein soll, es interessiert mich auch irgendwie. Nicht, dass es mir nicht doch einen kleinen Stich versetzt, wenn ich Catrin so sehe. Sie hat ein wenig abgenommen und trägt ein T-Shirt, das viel kürzer echt nicht sein dürfte. Auch irgendwie gut, dass es bei uns im Norden am Abend nicht immer so heiß ist, denn dann werden die Shirts auch schnell wieder länger.

<<Redest du mit dir selbst?>>, fragt Max mich, schaut mich an, grinst blöd und meint: <<Nee, du sabberst!>>, und lacht.

Ich boxe ihn auf die Schulter und gehe zu dem Tisch, an dem Catrin, ihr neuer Freund und einige andere sitzen. Ich begrüße alle und sage ihr, dass sie gut aussieht. Sie schiebt sich das Haar hinter die Schultern, schaut mir tief in die Augen und sagt: <<Du auch.>>

Dann gehe ich wieder und sehe noch, wie sie sich mit ihrem neuen Freund intensiv bespricht. Geschieht ihr recht, denke ich.

Es ist schon merkwürdig, wie zerbrechlich und wandelbar unser Gefühl ist. Jede Kleinigkeit kann es verändern, nur wenn wir selbst es verändern wollen, wenn wir einfach gut drauf sein wollen, dann ist das nicht so einfach.

Max und ich begeben uns zum vereinbarten Treffpunkt. Viele Menschen strömen an diesem schönen Abend in den Biergarten. Als Erste trudeln unsere Freunde ein. Alle haben sich schick gemacht, Simon hat ein äußerst penetrantes Aftershave aufgelegt und schon meldet sich mein Heuschnupfen. Nach dreimaligen Niesen in Folge stelle ich mich einfach weiter weg. Genau in diesem Moment kommen sie. Wir hören sie, bevor wir sie sehen. Sich in die Höhe schraubende weibliche Stimmen in Französisch und lautes Lachen kündigen sie an. Wir hören, dass die Mädchen ausnehmend guter Laune sind. Dann stehen sie vor uns und für einen Moment weiß keiner, was er tun soll. Dann gehen wir aufeinander zu und umarmen uns in einer Art, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen und alle bekommen die obligatorischen Küsse. Nur Annelore scheint plötzlich schüchtern zu sein, kaum blickt sie mich an, lächelt nicht, steht eng bei ihren Freundinnen und spricht nicht. Dabei hat auch sie sich besonders hübsch gemacht. Sie hat ihr Haar geflochten und trägt ein weißes Top, das ihren klaren Teint und ihre gebräunte Haut gut zur Geltung bringt. Ich schaue zu Virginie, die meinen Blick erwidert, mit den Schultern zuckt und Annelore einen kleinen Klaps gibt. Wir gehen zu unserem Tisch. Schon bald geht es hoch her. Englische, deutsche und französische Satzfetzen fliegen hin und her, es wird viel gelacht und mit der Zeit bilden sich Pärchen. Ähnlich wie Annelore bin auch ich an diesem Abend eher still, beobachte das Treiben, nippe gedankenverloren an meinem Bier und warte auf das, was da kommen mag oder auch nicht. Von den Nachbartischen wird zum Teil neidisch auf uns geblickt und immer wieder versuchen andere junge Männer bei uns anzudocken.

Dann nehme ich meinen Mut zusammen und setze mich direkt neben Annelore. Ihr Blick ist so süß, dass ich sie am liebsten in den Arm nehmen möchte, was ich aber natürlich nicht tue. Ich versuche es mit den Rudimenten meiner Kenntnisse in Französisch und frage sie, wie es ihr geht. Sie antwortet mit „ganz gut“. Ich bestelle ihr ein weiteres Bier und mühe mich um ein Gespräch. Sie trinkt einen großen Schluck, nimmt mich an die Hand und zieht mich hinter ihr her. Während ich den Tisch verlasse, sehe ich noch, wie Virginie uns lächelnd nachschaut. Annelore zieht mich weiter, wir verlassen den Biergarten und gehen in den Park, bis wir allein unter einer Eiche stehen. Sie legt die Arme um mich und küsst mich. Ich lege meine Hände an ihre nackten Hüften und streichele ihre sonnenwarme Haut. Leidenschaft braust auf, die uns beide erschreckt. Wir halten inne, lösen uns voneinander und stehen für einen Moment wie hilflos da. Sie lächelt mich an, gibt mir einen lauten Kuss auf den Mund und meint so etwas wie <<alles ist gut>>. Wir gehen Hand in Hand zurück zu den anderen, die natürlich mit lauten Sprüchen unser Wiederkommen kommentieren. Der Abend hat es in sich, wir trinken viel, lachen, flirten und genießen unser Leben. Ich beobachte, dass sich die Bildung von Pärchen fortsetzt. An der einen oder anderen Ecke wird bereits geküsst. Auch Annelore und ich küssen uns immer wieder und in mir steigt die Sehnsucht empor, allein mit ihr sein zu können. Ich sage es ihr. Sie reagiert mit einem Lächeln, wirkt aber auch verunsichert. Sie will mit mir reden. Vorsichtshalber verabschiede ich mich, was wiederum einige Sprüche nach sich zieht und ich hoffe, dass Annelore und die anderen nicht gut deutsch verstehen.

Fortsetzungsroman: Annelore, der Guru und die Liebe Teil 1

Februar 9, 2013

 

 

Nach meinem ersten Roman: „Bagwan, Lana und der Rest“ habe ich einen zweiten Roman „Annelore, der Guru und die Liebe“ geschrieben. Diesen möchte ich als regelmäßigen Fortsetzungsroman auf meinem Blog anbieten.

1. Die Begegnung

Ja, wie soll man eine Geschichte beginnen, die schon so oft erzählt worden ist? Vielleicht beginne ich sie mit meinem Vater. Als dieser noch lebte, sagte er immer: „Der Anfang ist der Anfang und das Ende ist das Ende.“ Kam mir immer so banal vor, aber wenn man selber etwas älter wird, merkt man, dass viele Dinge, die einem in der Jugend banal vorkamen, es irgendwann nicht mehr sind. Es beginnt an einem schönen Sommertag, den ich mit Freunden am Strand verbringe. Ich komme aus dem Wasser und will mich gerade wieder auf mein Handtuch legen, da sehe ich sie. Wie beschreibt man eine Vision, wenn man sie hat, ohne sich der Lächerlichkeit hinzugeben und ohne all die Plattheiten zu wiederholen, die andere bereits darüber geschrieben haben? Macht nichts, ich wiederhole sie einfach. Mir stockt der Atem, denn kurz nach mir verlässt eine junge Frau das Meer, sie beugt sich zur Seite, um ihr langes Haar auszuwringen, dann hebt sie den Kopf und sieht mich an. Es ist kein kurzer verschämter Blick. Sie schaut nicht weg, sondern lächelt mich an, um dann zu ihren Freundinnen zu gehen. Aus der Ferne, ihr nachblickend, höre ich sie lachen und reden. Was sie reden, klingt nicht deutsch, sondern französisch. Was macht eine Gruppe von Französinnen in Norddeutschland am Strand? Mein Freund Max sagt, geh hin und sprich sie an, aber ich kann nicht. Ich habe Angst vor einer Abfuhr und ich traue meinem Französisch nicht. So bleibe ich liegen und beobachte sie aus der sicheren Distanz. Meine Freunde gehen baden und ich bleibe allein am Strand. Da die letzte Nacht kurz gewesen ist und ich gleich gearbeitet habe, bin ich sehr müde und schlafe ein. Wenn man tagsüber am Strand einschläft, hat das oft etwas Unwirkliches. Genau in diesem Moment erlebe ich einen  wilden Traum, aus dem ich durch eine Berührung an der Schulter herausgerissen werde. Ich öffne meine Augen und blicke in spöttisch blickende braun-grüne Augen.  Ich höre eine Frage, die ich nicht verstehe. Das fremde Mädchen lächelt mich an und wiederholt die Frage in gebrochenem Englisch.

<<Sie will Feuer>>, sagt Max, der gerade aus dem Wasser kommt.

<<Etwas, das du auch brauchst, so schwerfällig, wie du gerade bist. Siehst du überhaupt, wer da vor dir steht?>>

Erst durch die Worte von Max wird mir klar, dass es eine der Französinnen ist, die sich im knappen Bikini über mich beugt. Wie mit einem Knall kommt die Welt zu mir zurück. Ich höre die Wellen an den Strand schlagen, das Kreischen der Möwen, sehe meine Freunde nass aus dem Wasser kommen, sehe die Gruppe von Französinnen, die kichernd beobachtet, wie ihre Freundin mit dem immer noch im Sand liegenden Deutschen klar kommt und ich sehe sie. Ja, es ist die altbekannte Geschichte, aber wenn sie dir passiert, dann ist sie weder alt noch bekannt, dann ist es wie die Geburt des Universums, ein Urknall, der aus dem Nichts Alles in Erscheinung bringt. Mein Herz schlägt wie wild, mein Blut rauscht, meine Stimme zittert, als ich zu ihr sage: <<Non, je ne fume pas!>>

Wie gut, dass ich in der Schule französisch gewählt hatte und nicht Latein und das ich mich daran erinnere, was rauchen heißt. Sie wendet sich Max zu, aber es ist Sven, der ihr Feuer gibt. Sie zieht an der Zigarette, wie es nur unerfahrene Raucher tun und unerwarteter Weise wendet sie sich wieder mir zu und sagt, dass sie Annelore heißt. Sie dreht sich um und geht sie zu ihren Freundinnen, die sie sofort umringen, albern lachen und französisch durcheinander reden.

<<Du musst da jetzt rübergehen.>>, schnauzt mich Max an.

<<Hast du ihre Figur gesehen, du Depp?>>

So darf nur mein bester Freund mit mir reden und auch nur, wenn er tatsächlich Recht hat. Ein Teil von mir hat ihre Figur gesehen, aber in Erinnerung geblieben sind mir nur ihre Augen und ihr braunes Haar, das ihr immer wieder ins Gesicht gefallen ist und die Bewegung ihrer Hand, mit der sie es zurückgestrichen hat. Nein, ich bin eigentlich nicht der romantische Typ und ja, ich bemerke gut gebaute hübsche junge Frauen in der Regel, wenn sie vor mir stehen, aber irgendwie ist das  jetzt eben ein Sonderfall. Ich bin normal schüchtern wie andere auch, aber ich bin auch mutig, wenn es darauf ankommt. Ich stehe auf, schüttele und streiche mir den Sand vom Körper und gehe zum Erstaunen meiner Freunde zu der Gruppe der jungen Frauen. Als sie merken, dass ich auf sie zukomme, bilden sie einen Halbkreis und Annelore steht in deren Mitte. Ich nenne meinen Namen und begrüße sie auf französisch. Sie lachen über meine Akzent und vielleicht über den einen oder anderen Fehler, den ich mache, sind aber auch erfreut, dass ich ihre Sprache spreche. Eine kleine Dunkelhaarige mit dem Namen Virginie tritt zu mir, gibt mir je zwei Küsse abwechselnd auf jede Wange und sagt, dass sie es in Bordeaux eben so machen, wenn sie sich begrüßen. Jedes der fünf Mädchen kommt zu mir und begrüßt mich auf diese durchaus angenehme Weise. Nicht unbedingt zufällig kommt Annelore als Letzte auf mich zu. Mit ihrem nahezu nackten Körper tritt sie nah an mich heran und küsst mich auf die Wangen. Mir scheint, dass sie bei jedem Kuss länger verweilt, als es sein müsste und obwohl sie den Tag am Strand verbracht hat und bestimmt schon im Wasser war, riecht sie gut, rein und süß und nach irgendetwas, das ich nicht einschätzen kann, wofür ich kein Wort weiß, wofür es aber Empfindungen gibt. Max, Jens und Simon kommen jetzt auch dazu und es kommt zu einer Reihe von Küssen und Begrüßungen, was hier in Norddeutschland am Strand etwas Bizarres hat. Nach und nach erfahren wir, dass sie zum Studienaustausch hier sind und noch mehrere Tage bleiben werden. Eines der Mädchen scheint dringend los zu müssen und drängt darauf, den Strand zu verlassen. Ich finde das sehr schade, denn immer wieder treffen sich Annelore`s und meine Blicke und so bin wieder ich es, der den Anstoß gibt und fragt, ob wir alle uns nicht vielleicht treffen wollen. Nach kurzer in drei Sprachen geführter Konversation verabreden wir uns für den Abend.